Jahre, die ihr kennt

Chaotische Kreationen auf der Rückseite: Postkarten an Ringo, Johns Jahre in New York, die Beatles in Indien

Manchmal sind es die Randfiguren, die der Nachwelt einen Moment der Geschichte übermitteln. Paul Saltzman, ein damals 24Jähriger Sinnsucher, saß eines Abends mit John Lennon im Ashram, ein Schwarm Papageien hatte sich auf den Bäumen niedergelassen. Nachdem Saltzman von seinem Liebeskummer berichtet hatte, sprach John, der mit Cynthia nach Indien gekommen war: „Ja, und die Liebe kann manchmal ziemlich hart sein, stimmt’s?“ Dann schwiegen die beiden. Ein Adler kreiste am Himmel. „Aber das Gute ist, daß man immer noch mal neu anfangen kann, oder?“ bemerkte John. „Sicher“, sagte Saltzman. Sie schwiegen wieder. Schließlich verabschiedete sich John: „Dann mach ich mich mal auf und schreib noch ein bißchen an meiner Musik.“

So ging es zu, 1968, beim Maharishi Yogi. Der war klug genug, auf die Lesung aus den Veden zu verzichten, als George seine Kassetten-Aufnahme von „The Inner Light“ vorspielen wollte. Der Maharishi „lachte wohlwollend“. Einmal kritzelte Paul einen Text auf ein Stück Papier und begann zu singen – es war der Refrain von „Ob-La-Di, Ob-La-Da“. Donovan hatte John eine neue Gitarren-Picking-Technik beigebracht. „Mit enormer Freude und Energie griff er in die Seiten und sang, und schließlich setzte auch Ringo ein, indem er den Rhythmus schnippste. Die Sonne war zu diesem Zeitpunkt bereits hinter den Hügeln versunken, ein leichter Jasminduft verteilte sich über das Gelände, und in den Wäldern ertönte der schrille Ruf eines Pfauen. Nach einer Weile machten wir uns auf zu unserem Abendessen.“ Ach, wäre man doch dabeigewesen! Ringo hatte aus England einen Koffer mit Bohnen in Büchsen mitgebracht.

Auf dem „Weißen Album“ erschienen ein halbes Jahr später die erstaunlichen künstlerischen Erträge der Besinnungstage, auch schon Johns bittere Bilanz, „Sexy Sadie“.

Die Beatles sind ja an manchem schuld, möglicherweise auch an Indien-Kult, Esoterik. Sektentümelei. Aber natürlich hörten sie niemals auf, Briten zu sein, Humor zu haben und Selbstironie. Noch in den dunkelsten Zeiten schickten die Freunde Postkarten an Ringo nach „Sunny Heights“ in Surrey, später nach Tittenhurst Park, Monaco und zum Sunset Plaza, Hollywood. Stets waren die Motive der Ansichtskarten außerordentlich bizarr, wo nicht ausgesucht geschmacklos. John und Yoko schickten 1969 eine Karte mit dem jungen, strahlenden Prince Charles. Nachdem John in Japan erstmals die Eltern von Yoko getroffen hatte, dichtete er: „The slow days/ Echoes heard/ In a Corner of kyoto.“

Paul dagegen, eher prosaisch und verschlagen, schickte das Bild eines Guardsman vor dem Windsor Castle – mit Bärenfell‘ Mütze und Trommel: „You are the greatest drummer in the world. Really.“ Nach dem „Weißen Album“ war Ringo eine Weile aus dem Kreis verschwunden, kam aber zurück. „Und als ich dann wirklich wieder eingestiegen bin, hatte George das ganze Studio mit Blumen dekoriert. Es war ein sehr schöner Moment. Manchmal hat man solche Situationen im Leben. wo einfach alles zuviel wird. Und darum bin ich abgehauen. Also versuchte Paul hier was gut zu machen, nur ein Jahr zu spät eigentlich. Und jedesmal, wenn ich ihn auf eine Tasse Tee besucht habe, hab ich ihn am Schlagzeug erwischt!“

Bob Gruen lernte Lennon kennen, als er ihm nach einem Konzert anbot, Abzüge von den eben gemachten Fotos unter der Wohnungstür durchzuschieben — er wohne gleich um die Ecke. John und Yoko lebten 1971 direkt an der Bank Street und führten einen, tja, offenen Haushalt, in dem Freunde, Bekannte, Bedienstete herumlungerten. Einmal klingelte .Jesus aus Toronto“‚ an der Tür. Bei John lief immerzu ein gewaltiger Fernsehapparat: John sah für sein Leben gern fern. Ich tand das ausgesprochen irritierend; einmal beschwerte ich mich sogar darüber bei ihm und fragte, warum das Ding immer laufen müsse. ,Wenn das Fenster offen ist‘, antwortete John, ,kann man sich ja auch trotzdem noch unterhalten. Und der Fenseher ist mein Fenster, nur daß er mir die ganze Welt zeigt.“

Für ein fotografisches Statement gegen die drohende Ausweisung des Ehepaars John und Yoko übersetzten Lennon und Gruen nach Liberty Island, wo sie Fotos vor der Freiheitstatue machen wollten, im Battery Park zeigte John auf die Gebäude: „Ich wette, ich bezahle in jedem dieser Häuser Miete! In jedem einzelnen davon arbeitet ein Anwalt gerade für mich an irgendetwas. Weißt du, es ist komisch mit meinen Anwälten. Beim ersten Termin haben sie eine nette, solide Praxis, doch schon beim zweiten Termin sind sie in ein größeres Büro umgezogen, und dort hängt dann immer ein Bild von mir an der Wand.“

Gruen dokumentierte die Nachwehen des „Lost Weekend“, der Trennung von Yoko, und die ersten Tage nach der Geburt von Sean. Er fotografierte das Liebespaar, den Hausmann, Warhol, Bowie, Nüsson. Augenblicke im Studio, wie John und Yoko zuhörten, als „Starting Over“ erstmals im Radio gesendet wurde. Am Tag seines Todes hatte John eine Videokassette für Gruen im Foyer des Dakota Building deponiert. Ein paar Tage vorher rief John nach dem letzten Foto auf der Straße, bevor er in eine Limousine stieg: „Du bist der einzige, der diese Jacke fotografieren darf! Bis später dann.“

Es sollte nicht sein.

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