Jenseitige Entführung

Der österreichische Autor Wolf Haas holt seinen Helden Brenner zurück.

Ding“ war sein letztes Wort. Er benutzte es oft, wenn er den richtigen Begriff nicht finden konnte. Aber was ist schon der richtige Begriff, wenn man von einer Kugel getroffen in der Küche liegt. Am Ende von „Das ewige Leben“, dem – so hieß es damals – allerletzten Fall des Detektivs und Ex-Kommissars Simon Brenner, ließ der Autor Wolf Haas nicht etwa seinen Protagonisten sterben, sondern seinen Erzähler. Und zwar in dem Moment, als der sich nach fast sechs Büchern zum ersten Mal in die Handlung einmischte und dem Brenner so das Leben rettete. „Ich dachte mir, wenn ich die Serie beende, dann erschieße ich nicht den Detektiv, sondern die Sprache“, erklärt Haas. „Ein paar Jahre später ist mir dann dieser schöne Spruch in den Sinn gekommen, den man Dauerquatschern an den Kopf werfen kann: Wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen. Da dachte ich, sollte ich je wieder einen Brenner-Roman schreiben mögen, fang ich einfach mit diesem Satz an. Der Erzähler ist tot, aber ich hab vergessen, sein Maul zu erschlagen, und das erzählt weiter.“

Und so kam es dann auch. In „Der Brenner und der liebe Gott“ (Hoffman und Campe, 18,99 Euro) ist dieser rhapsodierende, stetig abschweifende Erzähler wieder da. Immer noch so altklug wie früher, aber – wie es sich im Jenseits schickt – gelassener als zuvor. Und auch der Brenner, der harte Hund, ist ein bisschen gelassener geworden. Chauffiert nun – von allen nur „Herr Simon“ genannt – die zweijährige Helena zwischen ihren Eltern, einem Baulöwen aus Kitzbühel und einer Abtreibungsärztin aus Wien, hin und her. Als die Kleine schließlich an einer Autobahnraststätte aus der Limousine entführt wird, während ihr Fahrer eine Tafel Schokolade für sie kauft, wird aus dem Chauffeur Simon endlich wieder der eigenwillige Ermittler Brenner. Ein Heimatloser, der nur bei seinen Fällen zu Hause war, den es vermutlich – so mutmaßt Haas – außerhalb seiner Fälle auch gar nicht gibt. Er beginnt seine Ermittlungen an der Tankstelle, diesem Nicht-Ort, der zum Tatort wurde, und landet natürlich sehr bald wieder mitten im österreichischen Korruptionssumpf. Genauer gesagt, landet er in einer Senkgrube, aber schon Thomas Bernhard hat ja seine Heimat als „Senkgrube der Lächerlichkeit“ bezeichnet.

„Ich hab einmal in den .Stadtgeschichten‘ von Armistead Maupin gelesen, dass sich Pornohefte erholen können“, erklärt Haas das Comeback des Brenner. „Wenn sie einem langweilig geworden sind und man versteckt sie für ein paar Jahre im Schrank, sind sie wieder wie neu. So ähnlich ist es mir mit dem Brenner gegangen. Nachdem ich ein ganz anderes Buch geschrieben hatte, war er mir so fremd, dass er wieder interessant war.“

Das „ganz andere Buch“ war „Das Wetter vor 15 Jahren“. Eine Liebesgeschichte, die so wenig Liebesgeschichte ist, wie die Brenner-Krimis Krimis sind. Auch in diesem Buch ist die Handlung nachrangig, sind Erzähler und (gesprochene) Sprache der Hauptgegenstand. Und auch hier führt uns der studierte Linguist Haas die sprachliche Verfasstheit von Wirklichkeit vor – dieses Mal erweitert um die kulturellen Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland, denn der Roman wird in Form eines Interviews zwischen einer (nord-)deutschen Literatur-Journalistin und einem österreichischen Autor namens Wolf Haas erzählt.

„Das ist schon seltsam. Als ich ,Das Wetter vor 15 Jahren‘ schrieb, war das ganze Projekt ja auf den ersten Blick total weit weg vom Brenner“, erklärt Haas. „Erst als das Buch schon längst erschienen war, dachte ich mir: Da schau her, da gibt’s ja total viele Ähnlichkeiten zum Brenner, und ich bin über tausend Umwege wieder bei der gesprochenen Sprache gelandet. Bin schon gespannt, wie das mit mir weitergeht. Irgendwie ist die gesprochene Sprache einfach viel lebendiger als dieser zweihundert Jahre alte Prosa-Tonfall.“

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