KINO


Der klassische Dreier

Dominik Graf zeigt Friedrich Schiller als Pop-Autor, Revolutionär und Utopisten der Liebe

Die geliebten Schwestern Florian Stetter, Hannah Herzsprung Regie: Dominik Graf/Start: 31.7. ****

Warum braucht Deutschland noch einen Film über Schiller? Das könnte man angesichts „Die geliebten Schwestern“ fragen. Aber das ist natürlich großer Unsinn, wenn man mal genauer hinschaut. Denn Schiller schreibt besser, klüger und viel zeitgemäßer als etwa Goethe, der überschätzte Rockstar der literarischen Klassik, zudem war er ein echter Intellektueller, und der heilige Johann Wolfgang nur ein eitler Staatsliterat und Salonlöwe. Aber die Frage stellt sich gar nicht. Denn Historisches kommt zwar schon vor, aber wie jedes gutes Kostümdrama ist dies ein vollkommen aktueller Film: über uns, über Sex und Pop und Celebritykultur und eine Medienrevolution.

Wie soll man sich zwischen Weisheit und Glut entscheiden können? Das ist die Frage. Sie müssen beide gleich faszinierend gewesen sein, schön und klug, charmant und leidenschaftlich, diese beiden Schwestern Charlotte und Caroline von Lengefeld. „Weisheit“ und „Glut“ waren die freundschaftlichen Code-und Kosenamen, die ihnen immerhin kein Geringerer gab als der Dichter Friedrich Schiller, als er sie in dem stürmischen Sommer 1788 kennenlernte und sich Hals über Kopf in sie verliebte – in beide. Das war aus vielerlei Gründen problematisch: Schiller war nicht nur ein rebellischer Pop-Autor seiner Zeit und politischer Unruhestifter, sondern vor allem ein armer Poet, der den Fräulein von Stand nicht das bieten konnte, was in puncto materielle Sicherheit erwartet wurde. Zudem war Caroline bereits verheiratet, wenn auch unglücklich; Charlotte, die Jüngere, die als Hofdame in Weimar engagiert war, sollte eigentlich eine bessere Partie machen. Trotzdem wurde sie dann 1790 Schillers Frau, nachdem der als Geschichtsprofessor in Jena nun auch immerhin über ein festes Einkommen verfügte.

Der deutsche Film- und Fernsehregisseur Dominik Graf („Im Angesicht des Verbrechens“, „Der rote Kakadu“) erzählt die Geschichte dieser Liebe zu dritt. Sie ist im Wesentlichen historisch verbürgt, Graf nimmt sich nur in den Details Freiheiten. Daraus ist ein hochspannender, emotional mitreißender und vor allem absolut moderner Film geworden, der gleichermaßen von der Liebe erzählt wie von der Kunst. Denn Graf nimmt die ganze Epoche in den Blick: Er zeigt, wie Goethe, als „Gigant von Weimar“, gewissermaßen schon der alternde Rockstar aus den Jugendtagen der Vierzigjährigen, erstmals auf den jungen aufstrebenden Glam-Helden Schiller trifft, den er schätzt, neben dem er aber auch endgültig wie von gestern aussieht. Er zeigt, wie beide Literaten für ihre Zeitgenossen Celebrities waren, deren Anwesenheit für Menschenaufläufe und Nervenkrisen sorgte: Frauen fielen beim Anblick der Poeten in Ohnmacht oder sogar aus dem Fenster.

„Die geliebten Schwestern“ ist ein wunderbares, faszinierendes, sehr authentisches Zeitbild, in dessen Hintergrund die Französische Revolution tobt, sich aber auch eine Medienrevolution ereignet: Gipsplatten machen plötzlich Massenbuchdruck möglich: Die moderne Zeitung wurde erfunden. Und auch die Kommunikation lief fast in Chat-oder Kurzmitteilungsgeschwindigkeit: Der Postillon kam bis zu zwölf Mal am Tag, und so schmierte und kleckste man laufend das Büttenpapier voll, parfümierte seine intimen „Noten“ noch höchst passioniert, und schickte sie versiegelt von Haus zu Haus, Straße zu Straße. Graf zeigt diesen rasanten, so knappen wie pathetischen Austausch immer wieder in Großaufnahme: kaum leserlich, doch aus der Schrift kommt die Emotion – manchmal überschlägt sich die Kommunikation, es wird durcheinandergeschrieben, durcheinandergeredet, und Graf montiert diesen wilden Austausch zu einem virtuosen Taumel der Worte.

Im Zentrum steht aber das Verhältnis der Schwestern und eine überaus progressive Liebesutopie: die „ménage à trois“. Trotz aller Zwänge erscheinen diese Menschen auch im Vergleich zur Gegenwart überaus frei und innerlich unabhängig. Durchweg überzeugen auch die Darsteller: Hannah Herzsprung und Henriette Confurius als Schwestern, Florian Stetter als junger Schiller. Filmisch orientiert sich Graf erkennbar an französischen Vorbildern, besonders an François Truffaut: Sicher denkt man bei dieser Konstellation zunächst an „Zwei Mädchen aus Wales“ oder sogar „Jules und Jim“, doch auch „Das grüne Zimmer“ wäre eine zulässige Referenz.

„Die geliebten Schwestern“ ist das Gegenteil des gediegenen Historienkinos – irgendwann dann ist der Punkt erreicht und der Film könnte ewig so weitergehen; man möchte nicht, dass er endet, so wie man nicht möchte, dass das Leben und die Liebe zu Ende gehen.

RÜDIGER SUCHSLAND

Sag nicht, wer Du bist

Xavier Dolan, Lise Roy Regie: Xavier Dolan/Start: 21.8. ***

Der Frankokanadier Xavier Dolan ist das Muttersöhnchen des zeitgenössischen Kinos. Bereits fünf Spielfilme hat der 27-Jährige gedreht – der neueste, „Mommy“, hat gerade in Cannes einen Preis gewonnen – und es geht meistens um das eine: Mütter und die Liebe zu ihren Söhnen. So auch die Adaption des Theaterstücks „Tom à la ferme“ von Michel Marc Bouchard, die jetzt unter dem Titel „Sag nicht, wer Du bist“ ins deutsche Kino kommt.

Tom, der vom Regisseur gespielte Protagonist des Films, fährt zu Beginn raus aufs Land, um in der Provinz die Beerdigung seines Geliebten zu besuchen. Doch Agathe (Lise Roy), die Mutter des Verstorbenen, weiß nichts von der Homosexualität ihres Sohnes, und dessen Bruder Francis (Pierre-Yves Cardinal) besteht darauf, dass das so bleibt, und macht Tom schließlich zu seinem Gefangenen. Während der Film voranschreitet, lernen wir aber auch den Mikrokosmos der Farm besser kennen, besonders den geheimnisvollen Bruder des Toten, einen Choleriker, der Tom sowohl verachtet als auch zu lieben scheint.

Auch in seinem vierten Film besticht der Regisseur durch virtuose Bildideen, die aber diesmal vergleichsweise dezent ausfallen: Mehrfach wird Hitchcock zitiert, etwa die berühmte Verfolgungsjagd mit Cary Grant im blassgelben Maisfeld aus „Der unsichtbare Dritte“, auch das aus dem Stummfilm bekannte Mittel des flexiblen Bildrahmens – von Cinemascope bis zur Verengung aufs 5:4 – beherrscht er.

Weniger überzeugend sind die vielen, auf die Dauer distanzlosen Close-ups, die der Regisseur/Hauptdarsteller sich gönnt: während ihm eine einzelne Träne aus dem Auge rinnt, er in Unterhose auf dem Bett liegt usw. Ein Cary Grant ist Dolan dann halt doch nicht.

„Sag nicht, wer Du bist“ ist so schräg wie sexy. Doch dieser Film ist keine Liebesgeschichte, sondern ein Psychothriller, was in diesem Fall nicht das Gleiche ist. Auch Hitchcock, wir erinnern uns, erzählte gern von Müttern.

RÜDIGER SUCHSLAND

Jimmy’s Hall

Barry Ward, Simone Kirby Regie: Ken Loach/Start: 14.8. ***

„Jimmy’s Hall“ sei sein letzter Film, erklärte Ken Loach, der Kämpfer für die Armen und die Unterdrückten. Konsequent, dass er am Ende noch einmal an den Anfang zurückgeht: in das Jahrzehnt seiner Geburt, zu einem seiner Ahnherrn. Er erzählt die Geschichte von Jimmy Gralton, einem politischen Aktivisten, der in den Dreißigern ohne Anhörung deportiert wurde, weil er im irischen County Leitrim zum Missfallen der Kirche ein Gemeindezentrum eröffnet hatte, in dem er u. a. Feste und Unterricht veranstaltete. Loach zeigt sich ein letztes Mal als menschenfreundlicher Erzähler, „Jimmy’s Hall“ ist nicht mehr als ein Nachklapp zu seinem letzten Meisterwerk „The Wind That Shakes The Barley“ mit etwas zu versöhnlichem Ende.

MAIK BRÜGGEMEYER

22 Jump Street

Channing Tatum, Jonah Hill Regie: Phil Lord &Chris Miller Start: 31.7. ***

Wenn es so etwas wie ein Meta-Sequel gibt, dann ist dieses schamlos alberne, selbstreferenzielle Sequel zu „21 Jump Street“ (2012) eines. Der Titel bezieht sich auf die Adresse des neuen Hightech-Hauptquartiers (gegenüber vom alten), wo die Undercover Cops Schmidt (Jonah Hill) und Jenko (Channing Tatum) immer noch die gebellten Befehle von Captain Dickson (Ice Cube) entgegennehmen. Dieses Mal schickt er sie ins College, um einen Drogenring auffl iegen zu lassen. Natürlich passen sie da nicht rein. Und dass wir quasi den gleichen Film noch mal sehen, ist bei Sequels nun mal Tatsache. Aber Hill und Tatum gelingt es, jedes noch so abgeranzte Buddy-Movie-Klischee mit Leben zu füllen.

PETER TRAVERS

Night Moves

Jesse Eisenberg, Dakota Fanning Regie: Kelly Reichardt/Start: 14.8. *** 1/2

Mit „Night Moves“ kehrt die New Yorker Filmemacherin Kelly Reichardt zum vierten Mal in den Nordosten der Vereinigten Staaten zurück. Oregon gilt nicht unbedingt als repräsentativer US-Bundesstaat – umso erstaunlicher ist es, mit welcher Sorgfalt die Regisseurin in ihren Filmen die sozialen Verhältnisse ihres Landes abzubilden versteht. Vielleicht stimmt es aber auch, dass das wahre Amerika eben nicht in den Metropolen zu finden ist, sondern in den Kleinstädten entlang der endlosen Highways. Auch „Night Moves“ spielt abseits der großen Städte, doch der Blick auf die gesellschaftliche Peripherie ermöglicht eine sehr genaue Milieustudie, unter deren Oberfläche sich die sozialen Spannungen abzeichnen. Josh und Dena leben in einem landwirtschaftlichen Kollektiv, den Raubbau an der Umwelt sehen sie wie fast alle Menschen in diesem grünen Landstrich kritisch. So kritisch, dass die beiden mit Hilfe des Kriegsveteranen Harmon beschließen, einen Staudamm zu sprengen. Als politisches Statement gewissermaßen. „Lachse sterben, nur damit unsere iPods laufen“, rechtfertigt Josh die militante Aktion. Aber dann geht bei dem Anschlag etwas schief und das Gewissen der Umweltaktivisten wird auf eine harte Probe gestellt.

Doch bei Reichardt wird daraus kein Öko-Thriller. Die Regisseurin versteht es wieder meisterhaft, dramatische Konventionen zu unterlaufen. Zwar beweist sie mit „Night Moves“ erstmals, dass sie auch konventionelle Register ziehen kann, aber ihr dokumentarischer Blick schweift immer wieder von solch eindeutigen Setzungen ab. Die Arbeit auf der Farm schildert sie genauso penibel wie die wachsenden Zweifel der Figuren an der Legitimität ihrer politischen Aktion. Ruhig blickt sie auf ihre Antihelden, ohne moralisch Stellung zu beziehen. Da verwundert es nicht, dass sich unter ihrer rigorosen Inszenierung auch der kleinste Anflug von Star-Appeal aus dem Spiel von Jesse Eisenberg, Dakota Fanning und Peter Sarsgaard verflüchtigt. Ein kühler Film mit heißem Topic.

ANDREAS BUSCHE

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