König ohne Königreich

Nach Chelsea will Elvis Costello schon lange nicht mehr gehen. Es scheint so, als habe er mittlerweile in Amerika ein neues musikalisches Zuhause gefunden. Von Maik Brüggemeyer

Wo ist Elvis?“, ruft Roger Daltrey, als er die Tür aufreißt. Doch alles, was er dahinter findet, sind ein paar Typen mittleren Alters, die angestrengt aufs Porzellan starren. Der The-Who-Sänger hatte hier wohl die Künstlergarderobe des Ronnie Scott’s vermutet, ist aber auf dem Herrenklo gelandet. Er dürfte Englands traditionsreichen Jazzclub noch nicht allzu oft betreten haben in seinem Leben. Daltrey ist auf der Suche nach Elvis Costello, der ein paar Minuten zuvor sein mittägliches Konzert ziemlich abrupt beendet hat. Und er ist nicht der Einzige – das gesamte Vereinte Königreich scheint derzeit nach dem britischen Elvis zu suchen wie nach einen verlorenen Sohn. Als hätte man erst jetzt, mit seinem neuen, wie schon der Vorgänger „Secret, Profane and Sugarcane“ in Nashville aufgenommenen Album „National Ransom“ bemerkt, dass er fort ist.

Dabei lebt Costello schon seit 20 Jahren nicht mehr in England (zurzeit ist er mit seiner Frau, der kanadischen Jazz-Pianistin Diana Krall, und den gemeinsamen Söhnen in Vancouver zu Hause), und seine Liebe zur amerikanischen Musik ließ sich ja schon 1977 auf seinem Debüt „My Aim Is True“ nicht überhören, ganz zu schweigen von der Motown-/Stax-Revue „Get Happy!!“, dem Country-Cover-Album „Almost Blue“, „King Of America“ usw. usf. Nach den Aufnahmen zu „The Delivery Man“ im Süden der USA erklärte er 2004 sogar, Clarksdale habe ihn an den Liverpooler Vorort Birkenhead erinnert, aus dem sein Vater stammte. Es schien, als wollte er sich selbst umpflanzen in die Heimat von John Lee Hooker, Son House und Tennessee Williams. In den letzten Jahren wurde er dann auch ein ständiger Gast im US-Fernsehen, vertrat David Letterman in dessen „Late Night“-Show, gastierte in Episoden von „Two And A Half Men“ und „30 Rock“, bekam seine eigene Talkshow „Spectacle“, in der er unter anderem Ex-Präsident Bill Clinton interviewte, und spielte im Weißen Haus vor Barack Obama.

Als er nun mit Cowboyhut und akustischer Gitarre auf der Bühne des Ronnie Scott’s stand, wirkte er tatsächlich ein bisschen wie ein Alien. Stolz erzählte er von seiner neuen amerikanischen Band, The Sugarcanes, und wie sie bei den Konzerten nach den Aufnahmen zum letzten Album förmlich explodiert war, so dass er gleich seinen Freund, den Produzenten T Bone Burnett hatte anrufen müssen, um noch eine Platte zu machen. Und wie sich dann immer mehr Musiker im Sound Emporium Studio in Nashville eingefunden hatten. Neben den Sugarcanes etwa die Attractions-Nachfolge-Band The Imposters, Gitarrist Marc Ribot, Pianist Leon Russell und ortsansässige Songwriter wie Vince Gill und Buddy Miller.

Costello schien also nicht besonders zu fremdeln zur lunch hour mitten in London. Bis er „One Bell Ringing“ anstimmte, ein neues Stück über ein unschuldiges Opfer eines Anti-Terroreinsatzes in der Londoner U-Bahn im Mai 2005. Man merkte, wie er sich während der Performance in Rage sang und genau in dem Moment, als sich all sein Ärger über diese Tragödie im Speziellen und seine Landsleute im Allgemeinen in einem lauten, fiesen Gitarrensolo entladen sollte – hörte man gar nichts, weil der Tonabnehmer bei seinen barschen Bewegungen wohl Schaden genommen hatte. Costello wechselte die Gitarre, bellte „Thank you for coming“, warf sich in den Titelsong des neuen Albums und verschwand ohne ein weiteres Wort. Der Gitarrentechniker schaute, das Instrument des Anstoßes in der Hand, betreten zum Mischpult und hob ratlos die Schultern.

Hat Roger Daltrey Sie noch gefunden nach dem Konzert?

(lacht) Ja, ich war sehr überrascht. Wir kennen uns eigentlich gar nicht so gut. Anfang des Jahres haben wir zufällig bei einem Benefizkonzert nebeneinander gesessen. Pete Townshend kenne ich besser, weil wir in seinem Studio in den Achtzigern „Blood And Chocolate“ abgemischt haben.

Auf ihrem neuen Album ist ein Song namens „Jimmie Standing In The Rain“. Da geht es um einen Sänger, der Ende der 30er-Jahre mit Cowboy-Songs durch die Musikhallen im Norden Englands tourt, und niemand will ihn hören. Er scheint quasi das Gegenteil von Ihnen zu sein – Sie sind im englischen Norden aufgewachsen, gehen in die Country-Hauptstadt Nashville und jeder scheint dort zu lieben.

Keine Ahnung, ob sie mich lieben. Aber Nashville ist eine gute Adresse, um Musik aufzunehmen. Da gibt es tolle Studios. Und die Leute scheinen das bereits seit einiger Zeit zu wissen. Schon in den Fünfzigern wurden dort großartige R&B-Platten aufgenommen. Da sind alle möglichen Genres zu Hause. Die wichtigste Industrie ist natürlich heute diese modern country music, die ich nicht ausstehen kann. Diese Bodybuilder-Typen mit den schwarzen Hüten, die etwas spielen, das klingt wie schlechter 90s- oder 80s-Rock. Hat nicht so besonders viel zu tun mit Merle Haggard oder Hank Williams – jedenfalls für mich nicht.

Die britische Presse scheint Ihnen Ihre neue Liebe zu Amerika ein bisschen übel zu nehmen.

Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich hier damals angefangen habe und sie nun so eine Art Eigentumsrecht gelten machen wollen. Ich habe ein besseres Gefühl, wenn ich hier auftrete als noch vor ein paar Jahren, aber ich fühle keine besondere Verbindung mehr. Ich meine, meine Familie ist ja von einer Seite irischer Abstammung und daher habe ich mich nie so ganz zugehörig gefühlt.

Es sind auch eher Leute aus der alten Country-Tradition, denen Sie auf dem Cover ihres neuen Albums danken. Cowboy Jack Clement zum Beispiel, dem wir unter anderem den Klassiker „Guess Things Happen That Way“ und die Bläserarrangements von „Ring Of Fire“ verdanken …

… ganz zu schweigen von Jerry Lee Lewis! Jack hat das Studio gebaut, in dem wir aufnahmen. Und er hat uns dort besucht. Auch Donnie Fritts, ein Freund von T Bone, kam vorbei, und bedankte sich für das, was ich für ein Reissue von „Dusty In Memphis“ über seinen Song „Breakfast In Bed“ geschrieben habe. Als ich Donnie erzählte, ich hätte noch nie Dan Penn getroffen, obwohl ich ihn für Songs wie „Dark End Of The Street“ und „Do Right Woman“ so bewundere, sagte er: „Das kann behoben werden“, rief ihn an, und dann kamen sie abends gemeinsam ins Studio. Solche Begegnungen helfen einem, sich nicht wie in einem U-Boot zu fühlen, während man aufnimmt. Man ist ja vollkommen abgeschlossen von der Außenwelt.

Als Sie „Imperial Bedroom“ aufnahmen, arbeitete nebenan Paul McCartney.

Ja, am anderen Ende des Flurs. Michael Jackson war auch da. Und zwischen uns machten The Jam „Precious“. Als wir „Punch The Clock“ aufnahmen, spielten nebenan Alice Cooper und Duran Duran (lacht)! Und als wir für „Secret, Profane And Sugarcane“ in Nashville waren, arbeitete Vince Gill im Nebenstudio an einem Polka-Album. Ich mag diese Kombinationen. Das zeigt, was alles möglich ist zur gleichen Zeit.

Um eine andere Art von Parallelität geht’s auf „National Ransom“. Nämlich darum, wie sich Geschichte wiederholt. Im Titelsong etwa setzen sie die Great Depression von 1929 mit der Finanzkrise der letzten Jahre in Beziehung.

Ich habe das nicht so geplant, aber das ist tatsächlich ein wichtiges Thema auf der Platte. Solche Themen bilden sich häufig zufällig heraus, wenn man schreibt, weil die Gedanken zu einer bestimmten Zeit einfach um ähnliche Dinge kreisen.

Als Sie in den Siebzigern anfingen, wütete in England der Punk. Da hat sich niemand für die Vergangenheit interessiert. Es ging nur ums Jetzt. „National Ransom“ ist nun eine Art Geschichtsstunde. Könnte es sein, dass Songs in flüchtigen Zeiten wie diesen wieder eine neue Relevanz als Erinnerungsspeicher bekommen?

Interessante These. Da ist sicher was dran. Aber es gibt natürlich auch immer noch jede Menge Leute, die sehr selbstbewusst das Neue verfolgen – auch wenn das dann gar nicht mehr so neu ist. Doch man sollte da nicht snobistisch sein, nur weil sie es später entdecken als man selbst …

Sie scheinen auf „National Ransom“ einen literarischen Ansatz zu verfolgen. Einige Songs spielen in den 20er-Jahren, und Sie haben in der Diktion dieser Zeit geschrieben. Das erinnert ja schon fast an „Mason & Dixon“ von Thomas Pynchon – nur eben mit Musik.

Es wäre natürlich schön, wenn die Leute dem Album so viel Substanz beimäßen, dass sie es sich öfter konzentriert anhörten. Doch viele sind sicher ungeduldig, wenn sie nicht sofort verstehen, um was es bei den einzelnen Songs geht. Das liegt aber nicht daran, dass sie schlecht geschrieben sind, sondern daran, dass es Texte sind, die auch musikalisch funktionieren müssen. Es ist schwierig, sich beim Schreiben zu zügeln, wenn man um all die Möglichkeiten weiß, die man hat. Ich habe keine Lust, so zu tun, als hätte ich keine Ahnung, nur weil diese Komplexität nicht in eine Welt passt, die in soundbites denkt. Die Möglichkeit, seine Meinung zu allem zu versenden und herauszuposaunen, was man über die Geschmacksrichtung des Capuccinos denkt, der gerade vor einem steht, ist nicht unbedingt ein Fortschritt.

Es gibt aber auch eine Gegenbewegung dazu – größere Komplexität, Triple-Alben sogar …

Oh ja, Joanna Newsoms Sachen sind wundervoll! Ich finde, wenn man als Künstler etwas konzipiert und das in dieser Größenordnung hört, muss man es auch so umsetzen. Mir hat die Konzeption von „National Ransom“ als Doppelalbum, denn das ist es für mich, auch viel Spaß gemacht. Auch wenn ich weiß, dass die wenigsten Leute es in dieser Form hören werden. Am Ende sind Alben für mich eh nur noch die Ankündigung fürs Konzertpublikum, dass sich mein Repertoire erweitert hat. Ich freue ich mich vor allem darauf, die neuen Songs live zu spielen. Was übrigens auch bedeutet, dass ich öfter auf Tour bin und jede Form von Zugehörigkeitsgefühl eh erodiert ist – ich bin ein fahrender Sänger, das ist mein Leben. Ich gehöre niemanden, weder der britischen Presse, noch dem amerikanischen Präsidenten.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates