Kokett, nicht bitter

Die kanadische Folk-Musikerin Amelia Curran gilt es zu entdecken – solange sie sich nicht ins Private zurückzieht

Was könnte besser zu einer kanadischen Songschreiberin passen als die Abgeschiedenheit, die totale Zurückgezogenheit, Eskapismus als Kunstform? „Ich verlasse mich auf den Luxus der Privatsphäre“, sagt Amelia Curran. Da verwundert es nicht, dass sie trotz sechs veröffentlichter Alben und einiger Auszeichnungen hierzulande nahezu unbekannt ist und in Europa bisher gerade mal ein einziges Konzert gespielt hat. „Normalerweise lässt man mich auch nicht allein übers Geschäft reden“, schiebt Curran schüchtern nach. Und spätestens da begreift man, dass sie mit ihrem eher bescheidenen Erfolg kokettiert, wie es manche Musiker tun, um nicht bitter zu klingen.

Mit „Spectators“, ihrer aktuellen Platte, könnte sich das Blatt allerdings wenden. Denn Currans musikalische Talente sind alles andere als bescheiden. Stimme und Songs haben ihr schon Vergleiche mit den Cowboy Junkies, Natalie Merchant und Leonard Cohen eingebracht, was Curran mit einer weiteren lakonischen Bemerkung quittiert: „Sicher ist das toll, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Leute von mir erwarten, dass ich jemand anders sein soll als ich selbst.“ Tatsächlich aber bewegen sich die Songs auf dem dunkel-melancholischen „Spectators“ an der Schnittstelle zwischen einigen ihrer größten Vorbilder. Das liegt zum einen an den ingeniösen Streicher-Arrangements des bulgarisch-kanadischen Komponisten Todor Kobakov, zum anderen an Currans kühlem Timbre, das wie eine Mischung aus Margo Timmins und Lucinda Williams anmutet. Doch um ja nicht allzu dick aufzutragen, relativiert sie schnell: „Im Kern besteht meine Musik aus simplen Folk-Songs.“

Diese denkt sie sich in der Regel in Newfoundland aus, wo sie seit ein paar Jahren in einer Künstlerkolonie lebt und arbeitet. Die Songwriter-Szene sei selbst in einem so riesigen Land wie Kanada eine eher kleine, intime. „Man trifft sich jeden Sommer auf Festivals und diskutiert die verschiedenen Projekte. Jeder liebt seinen Job und ist bereit, dem anderem im Studio zu helfen“, erzählt Curran. Auch am Theater hat sie sich zwischendurch mal versucht, als Stückeschreiberin und Schauspielerin. „Eine Zeitlang habe ich wirklich darauf beharrt, dass dies das Richtige für mich ist“, erzählt Curran. Deshalb sieht sie sich noch immer in erster Linie als Autorin. Ihre Arbeit sei die „Analyse von Emotionen“, woraus unter Umständen ein äußerst langwieriger Prozess werden kann. So geht sie manchmal zwei Jahre lang schwanger mit einem Song, bevor sie ihn schließlich für fertig befindet. „Songwriting ist entweder ein Acht-Stunden-Job oder eine Überraschung aus heiterem Himmel“, weiß Curran.

Ob sie derlei Weisheiten auch live zum Besten gibt, bleibt abzuwarten. Eine kleine Europa-Tour ist für die nächsten Monate gebucht – auch wenn die Künstlerin selbst nicht genau sagen kann, wo und wann. Die geschäftlichen Belange sind halt nicht ihr Steckenpferd. Aber vielleicht stimmt es auch, dass es ihr nicht darauf ankommt. „Ich fühle mich in kleinen Folk-Clubs zu Hause.“ Die sehen zumindest von innen überall ähnlich aus. Denn ein bisschen Privatsphäre braucht Amelia Curran auch auf der Bühne. max gösche

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