Incubus live in Hamburg: Eher wie Anthony Kiedis auf Valium

Incubus spielen im Hamburger Stadtpark – und demonstrieren, warum die einstmals so großartige Band mittlerweile in Vergessenheit geraten ist.

Die wichtigste Frage, die sich an diesem Abend, lange bevor der tatsächliche Abend denn eigentlich begonnen hat, stellt, ist die Frage, warum denn noch so verdammt viele Fragen offen sind. Da wäre zum Beispiel die Frage nach dem Warum. Incubus sind auf kleiner Europa-Tour – aber warum? Was gibt es zu bespielen? Klar, den Festival-Sommer, den nimmt man gerne mit, aber darüber hinaus gibt es eigentlich mehr Gründe, die gegen eine Tour zu diesem Zeitpunkt, als Gründe die für eine Tour zu diesem Zeitpunkt sprechen. Zum Beispiel, dass sich Incubus-Band-Bassist Ben Kennea gerade von einer Gehirntumor-OP erholt und man sich für die Live-Auftritte einen Ersatz beschaffen musste. Und dass es überhaupt keinen Tour-Anlass in Form von neuen Incubus-Produkten gibt.

Das letzte Mal, dass die südkalifornische Band den Kontinent bespielte, das war 2018, und da gab es gerade ein neues Studioalbum, welches man auf den Bühnen dieser Welt präsentieren oder zumindest promoten wollte. „Eight“ hieß das Album, weil es das, ja genau, das achte (und bis heute letzte) Studioalbum der Band war, und an der Titelwahl kann man schon erkennen, dass Incubus bereits zu diesem Zeitpunkt ihren Peak in Sachen Kreativität schon ein Stück weit hinter sich gelassen hatten. Fünf Jahre ist das her. Besser geworden ist es seitdem nicht.

Dann wären da die vielen Fragen oder eher die vielen Fragezeichen, die die Sache mit der Vorband aufwirft. Wobei, Vorband, das ist ein großes Wort, wenn das Konzept Band dann doch bloß in einer einzigen Person kulminiert. Eigentlich spricht man da besser von einem Voract. Lealani. Lealani ist ein, nun, freundlich gesagt, ziemlich eigenwilliges Ein-Frau-Musikprojekt. Die Multiinstrumentalistin beschreibt sich selbst als „Alien from a Fantastic Planet“, die „art + cartoons + whatever I feel like“ macht, und so klingt das Ganze dann auch, mit der Betonung auf dem whatever, und das Feeling, ja, das Feeling, seien wir ehrlich, das ist von Hörerseite aus nicht so gut. Ist das Avantgarde oder kann das weg? Zumindest diese Frage lässt sich an einem Abend voller Fragezeichen recht eindeutig beantworten.

Incubus waren vier Handvoll Hits und dreieinhalb fantastische Alben

Aber die eigentlich allergrößte Frage, auf die man sich an diesem Abend eine Antwort erhofft, ist dann doch die etwas größere Frage, warum eine Band wie Incubus mittlerweile zu dieser Riege von Bands gehört, die dann doch ungerechtfertigterweise in Vergessenheit geraten sind, obwohl sie nicht bloß eine bedeutende popkulturelle Scharnierfunktion, sondern auch ein paar Alben hinterlassen hatten, die bis heute als grandios bewertet werden müssen. Incubus, das muss einmal gesagt sein, waren eine kurze Zeit über eine verdammt erstklassige Band.

Incubus ganz früher (Photo by Mick Hutson/Redferns)

Gegründet Anfang der 1990er in Südkalifornien, entdeckt von KoRn-Label Immortal Records, waren sie die letzten Ausläufer des NuMetal-Hypes, obwohl sie eigentlich nie auch nur im Ansatz den klassischen NuMetal-Genrekern bedienten, sondern eine ganze eigene Form von funkdominierter Crossover-Frickelei entwarfen, mit der sie dann wiederum zu den Aushängeschildern des frühen 00er-Jahre Alternative-Booms wurden. Sie ist schon bemerkenswert, die Karriere von Incubus, die, wenn man es genau nimmt, seit bereits 30 Jahren besteht, sich aber auf eine Blütezeit von gerade einmal fünf Jahren reduzieren lässt, in denen sie vier Handvoll Hits und dreieinhalb fantastische Alben auf den Markt brachten (von „Make Yourself“, 1999,  „A Crow Left Of The Murder“, 2004, oder, mit Abstrichen, „Light Grenades“, 2006).

An diesem Abend löschen Incubus die Fackel des Rock’N‘Roll

Montag jetzt also, Hamburg, Stadtpark, viele offene Fragen und ein sonniger Abend. Es dürfte gar nicht einmal so viele öffentliche Orte in der Stadt geben, in denen es zu diesem Zeitpunkt so entspannt zugeht, wie im Winterhuder Stadtpark, schließlich spielt ein paar Kilometer weiter der HSV unter den denkbar schlechtesten Vorbedingungen beinahe zeitgleich um eine Zukunft in der Erstliga. Aber die thirtysomethings, die sich dennoch vor der Freilichtbühne eingefunden und das „whatever I feel like“- Sound-Gesangs-Gemülle von Lealani überstanden haben, scheinen tiefenentspannt zu sein.

Das Publikum ist insgesamt mehr als angenehm, bis auf das tänzelnde Hippie-Paar vor der Bühne, welches augenscheinlich noch unter den Ayahuascainduzierten Eindrücken der letzten Bali-Reise steht, sieht man den thirtysomethings an, dass sie sich zu dem bestmöglichen Zeitpunkt ihres Lebens einmal dafür entschieden haben, die womöglich bestmögliche Musik gehört zu haben, was sie dann eben auch damals zu Incubus und heute an diesen Ort geführt hat.

Incubus – „Drive“:

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Während das Hippie-Pärchen noch immer vor sich hintanzt, betreten Incubus ziemlich pünktlich um 20 Uhr die Bühne und stimmen „Karma, Comback“ an, eine jüngst veröffentlichte B-Seite, die dann leider auch schon die gesamte Tonalität des Konzertes vorgibt. Statt mit einem rockigen Opener energetisch nach vorne zu gehen, entscheidet man sich für eine mittelmäßige Midtempo-Nummer, die es in ihrer Mittelmäßigkeit noch nicht einmal auf ein reguläres Album der Band geschafft hat. Hier sollte bereits klar werden, was sich einige Songs später dann vollends bestätigt: Incubus sind nicht gekommen, um eine Rockshow zu spielen. Incubus sind gekommen, um eine Werkschau abzuhalten. Die musikalischst-mögliche Interpretation ihres Œuvres, welches sie bloß präsentieren, statt tatsächlich performen wollen.

Brandon Boyd war schon immer ein guter Sänger und mittlerweile ist er mehr als das, mittlerweile ist Brandon Boyd sogar ein verdammt guter Sänger und es ist ziemlich offensichtlich, dass er den Fokus des Konzertes darauf legt, das auch unter Beweis zu stellen. Leider wird das dem Gesamterlebnis Incubus nicht so wirklich gerecht. Incubus bezogen ihre Stärke als Band schon immer aus der Vermengung ihres funkgeprägten Grooves, ihrer gitarrenlastigen Aggressivität und dem südkalifornischen Chill, doch in Hamburg wollte man sich dieser Formel nicht mehr bedienen. Aggression is over. Incubus sind gekommen um Musik zu machen. Nicht mehr um die Fackel des Rock’N’Roll weiterzutragen.

Ein Blockbuster im Nachmittagsprogramm

Zwar beherrscht Boyd, der trotz fortgeschrittenen Alters mittlerweile wie eine 1991er-Jahre-Version von Anthony Kiedis aussieht, noch immer die ein oder andere genretypische Pose, doch die Dominante ist mittlerweile der kalifornische Chill, der ihn im Laufe der Show verleitet, sich seines Shirts und (zumindest einem) seiner Schuhe zu entledigen und hin- und wieder die superlangen Haare in das noch immer sehr schöne Gesicht fallen zu lassen. Doch auch das täuscht nicht darüber hinweg, dass hier eher ein Anthonoy Kiedis auf Valium auf der Bühne steht.

Die letzten Ecken und Kanten haben sich Incubus wohl in den letzten Jahren irgendwo abgeschliffen, die Band ist genügsam geworden. Das Set wird instrumental zwar sauber, aber völlig lustlos heruntergespielt. Nicht einmal Bassausnahmetalent Nicole Row, die ehemals bei Panic! at the Disco ausgeholfen hatte, bevor Panic! at the Disco nicht mehr Panic! at the Disco sein wollte, und jetzt sämtliche Incubus-Tour-Termine begleitet, schafft es, auch nur den Hinweis von Schwung in die träge Performance zu bringen. Niemals springt der Funke zum Publikum so wirklich über. Dabei würde schon ein homöopathisches Fünkchen reichen, um in der Hitze des Abends einen großen Flächenbrand auszulösen.

Incubus – „Love Hurts“:

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Das heißt nicht, dass alles schlecht ist. Immer mal wieder kommt auch Stimmung auf. Immer dann, wenn die Band ihren Trademark-Sound vom 1999er-Album „Make Yourself“ intoniert. Oder wenn wieder einmal einer der zahlreichen Hits gespielt wird, die dann doch tatsächlich so zahlreich sind, dass man sie schon beinahe vergessen hatte. „Wish You Were Here“, „Love Hurts“, „Pardon Me“, „Drive“, „Anna Molly“, „Nice To Know You“. Aber der Song, mit dem Incubus ihr so ganz eigenes Laut-Leise-Groove-Schema perfektionierten, „Megalomaniac“, der wird gar nicht erst gespielt, und dann ist die Show auch schon wieder beendet, noch bevor die Sonne richtig untergegangen ist. Ein Incubus-Konzert im Stadtpark ist wie ein Blockbuster im Nachmittagsprogramm bei offenen Vorhängen. Ein Blockbuster, bei dem man die besten Szenen rausgeschnitten hat.

Nicht alle offenen Fragen werden an diesem Montagabend beantwortet, aber die Frage, warum diese Band, die im Stadtpark in diesem Sommer irgendwann zwischen Nena und „Best Of Poetry Slam“ (!) gespielt hat, warum diese Band, die mit all ihren Hits wirklich nicht vergessen werden sollte, dann aber doch nach und nach in die relative Vergessenheit abgerutscht ist, diese Frage, die beantwortet sich dann leider doch von ganz alleine. Und ein paar Kilometer weiter, da besiegelt auch der HSV, dass er eine weitere Saison lang zweitklassig bleiben wird. Kein guter Abend für Hamburg.

Incubus – „Megalomaniac“:

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Mick Hutson Redferns
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