Lee Hazlewood

Legendärer Produzent, vielbewunderter Sänger und Songwriter, Selfmademan und Maverick: Lee Hazlewood mangelte es nicht an Erfolg, doch mied er stets die Medien, scheute öffentliche Auftritte. Nun ist er todkrank, hat ein letztes Album fertiggestellt und gewährte Audienzen in seinem Haus in der Nähe von Las Vegas.

Schon beim spätabendlichen Anflug, in der Warteschleife über der Wüste von Nevada, lässt Las Vegas die eben noch hell strahlenden Sterne verblassen. Die Stadt blinkt und glitzert so grell, als wolle sie Besucher aus dem All anlocken. Unten, eingetaucht ins Milliarden Watt tiefe Lichtermeer, hat es den Anschein, als wären die Aliens bereits gelandet. Halloween. Ein Ausnahmezustand, der in der Weltkapitale des unwahrscheinlichen Glücks drei Tage lang währt. „It’s bigger than Christmas“, informiert freundlich die Empfangsdame des Golden Nugget. No kidding. Über einem der sündhaft teuren Hotels am Strip schwebt schaukelnd ein gigantischer, von innen beleuchteter Kürbiskopf, der diabolisch grinst, wenn der Wüstenwind seine Plastikhaut streichelt. Vegas liebt diesen Grusel wie jede Verschwendung, die Dollars sitzen lockerer als sonst, in den Casinos herrscht Hochbetrieb. High life.

Bei Sonnenaufgang entweicht das Leben wie in den Karpaten. Glutrot angestrahlt macht die Bergkette, die einer weiteren Ausdehnung der wuchernden Boom-Stadt natürliche Grenzen setzt, ihrem Namen alle Ehre: Sunrise Mountains. So jedenfalls nennt sie der Volksmund.

Irgendwann früher, das weiß die im Hotelzimmer neben der Bibel ausliegende Broschüre, hatte jeder Berg einen eigenen Namen. Einen indianischen allerdings, den sich kaum einer merken mochte. Bei Tageslicht, während die nachtaktiven High Rollers schlafen, bleiben die meisten Blackjack-Tische verwaist, die Roulette-Räder stehen still. Es ist die Zeit der einarmigen Banditen und ihrer zahllosen Opfer. Ältere Ladies zumeist, die mit ausdruckslosen Gesichtern die Automaten bedienen, Reihe um Reihe, Stunde um Stunde.

Lee Hazlewood, Jahrgang 1929, erinnert sich noch an die Goldgräbermentalität, den Rausch vor 50 Jahren. Wild sei es zugegangen, doch habe er schon damals nicht viel übrig gehabt für Ablenkungen und Flausen. Geld zu machen sei schon früh sein Ziel gewesen, zuweilen sein einziges, doch sei er immer völlig damit ausgelastet gewesen, Ideen auszubrüten und umzusetzen. Weshalb er es auch nie lange an einem Ort ausgehalten habe. „Ich bin im Südwesten aufgewachsen und schon als Kind viel herumgekommen, weil mein Vater auf verschiedenen Ölfeldern gearbeitet hat. Wir lebten in Oklahoma, Texas, Arkansas, überall. Diese Nichtsesshaftigkeit hat mich geprägt. Und es mir später erleichtert, auch in fremden Ländern schnell heimisch zu werden.“‚ In Europa zumal, „wo man alle paar Meilen eine andere Sprache spricht“, wie er nicht ohne Süffisanz anmerkt. Hazlewood lebte in London und Paris, lange in Spanien und noch länger in Schweden. Eine gewisse innere Unruhe habe ihn zu häufigen Standortwechseln veranlasst. „Aber meistens steckten Frauen dahinter oder Arbeit. Und das mit den Jahren zunehmende Bedürfnis, ein ruhiges Leben zu führen, unerkannt und unbehelligt von irgendwelchen Verpflichtungen.“ Für ein paar Jahre ließen sich Lee und seine Frau Jeane dann in Florida nieder. Nun sei er wieder in den Südwesten zurückgekehrt, aus familiären Gründen „und um zu sterben“.

Lee Hazlewood hat Krebs im kritischen Stadium. Und keine Scheu, darüber zu reden. Eine Niere habe er bereits verloren, erklärt er ohne Larmoyanz, die Knochen seien stark in Mitleidenschaft gezogen. An der Wand des Wohnzimmers hängt ein altes Röntgenbild, das Jeane wie ein Kunstwerk gerahmt hat, weil es an eine andere Krankheit erinnert, die er kämpfend besiegte. Diesmal, so Lee schulterzuckend, stehe er auf verlorenem Posten. Er habe es mit Chemotherapie versucht und fahre regelmäßig zur Behandlung nach Phoenix. Das sei besser als nur herumzusitzen und auf den Tod zu warten. „Und, wer weiß“, bemerke ich hilflos, „vielleicht…“ „Hell, no“, unterbricht mich Lee, solche Spekulationen seien sinnlos.

Wir sitzen uns im Halbdunkel gegenüber. Nur durch die schmalen Schlitze der Jalousie fällt etwas Licht herein, Lee trägt Bademantel, Basecap und Sonnenbrille. Er wirkt ausgemergelt und schwach, hat Schmerzen. Sein Rücken bringe ihn um, er müsse deshalb unser Gespräch hin und wieder unterbrechen und sich in die Badewanne legen, weil das Linderung verschaffe. „Und noch etwas“, sagt er mühsam lächelnd, „I’m doped up. Ich stecke so voller Drogen, dass die Erinnerung mich manchmal im Stich lässt. Kann auch sein, dass ich ein paar Namen und Zahlen nicht mehr abrufen kann.“ That’s alright, sir. „Nein, ist es nicht, das ist mir nur allzu bewusst, aber wenn ich nun schon eine letzte Platte mache, soll sie auch gehört werden. Daran liegt mir viel, gerade weil ich damit ein paar alte Schulden begleiche.“

Hazlewoods Farewell-Album heißt „Cake Or Death“, bezieht seinen Titel von einem Sketch des britischen Komikers Eddie Izzard, dessen bizarren Humor Lee teilt, und ist die seit mehr als 30 Jahren von ihm gewohnte Verblendung von Melodie und Ironie, sentimentalen Momenten und politischen Seitenhieben, launigen Versen und lauschigem oder twangigem Pop. Die „Schulden“ sind eher Gefallen, die ihm erwiesen wurden und die er nun „zurückzahlt, bevor es zu spät ist“. Zweifelhaft, ob irgendeiner der „Gläubiger“, die musikalische Spuren auf dem Album hinterlassen durften, das ähnlich sieht. Bestimmt nicht Bela B., für den sein Duett mit Hazlewood die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches bedeutet. Auch nicht die schwedische Jazz-Vokalistm Ann Kristin Hedmark oder Tommy Parsons, Lees alter Kumpel aus Phoenix. Diskutabel auch, inwieweit ihre Beiträge „Cake Or Death“ befördern oder belasten. Hedmarks Gesang auf „Please Come To Boston“ etwa ist gewöhnungsbedürftig, um es milde auszudrücken. Hazlewood reagiert gereizt auf entsprechende Andeutungen meinerseits und bescheidet meine Frage, warum er denn überhaupt Dave Loggins‘ Marshmellow-Hit von 1974 gecovert habe, mit einen indignierten „‚cause I like it, that’s why“.

Die Dünnhäutigkeit des sonst so souveränen Musikproduzenten hat, wenn es um Kritik an seiner Arbeit geht, ältere Ursachen als die Krankheit. Schon vor Jahren, als wir uns nach seinem Konzert im Berliner Schillertheater unterhielten, verblüffte er mit langem Gedächtnis und Rachegelüsten. Betreffs einer Plattenkritik im „NME“, die ich scherzend erwähnte. Hazlewoods LP „Poet, Fool Or Bum“ wurde dort 1973 mit einem einzigen Wort abgehandelt: „Bum.“ Lee lachte nicht mit. Er würde „diesem Komiker“, dessen Namen er sich gemerkt hatte, „liebend gern noch die gebührende Antwort“ zuteil werden lassen, grantelte der Erfolgsverwöhnte. Und seine Laune verbesserte sich erst, als wir auf Al Casey zu sprechen kamen, den großen Gitarristen, mit dem Lee jahrzehntelang eng befreundet war und mit dem es damals nach schwerer Krankheit gerade wieder aufwärts ging.

Al Casey starb im September 2006, nicht unerwartet. „Es traf mich trotzdem unvorbereitet“, gesteht Lee sichtlich erschüttert. Casey hatte als Musiker, Songwriter, Arrangeur und Produzent noch an etlichen Tracks auf „Cake Or Death“ mitgewirkt, und obwohl es unausgesprochen bleibt: Lee Hazlewood nimmt die Promotion-Strapazen für diese letzte gemeinsame Arbeit auch für Al auf sich. Und für seine kleine Enkelin, die den Refrain des mysteriösen Wunderwerks „Some Velvet Morning“ trällert und davon überzeugt ist, Lee habe den Song für sie geschrieben: „Phaedra is my name.“

Ebenso nachzuhören auf Hazlewoods letzter Platte wie Duane Eddys Bearbeitung der Original-Melodie von „Boots“, eine skurrile Symbiose von Psychoanalyse und klassischer Musik titels „Fred Freud“ sowie der wehmutsvolle Abgesang „T.O.M. (The Old Man)“. Ein typisches Hazlewood-Album halt, befindet der Macher. „Wer meine anderen Platten mag, wird auch von dieser nicht enttäuscht sein.“ Früher sei es ihm nicht eingefallen, seine Solo-Platten als Selbstzweck zu sehen. „Ich betrachtete sie als Demos für richtige Sänger, als Visitenkarte. Heute bin ich zwar kein besserer Sänger als vor 40 Jahren, aber ich habe gelernt, passgenau für diese limitierte Stimme zu schreiben oder zu selektieren. Und ich weiß immerhin, dass es dafür ein Publikum gibt.“

Eine Untertreibung. Gefeierte Auftritte in Europa und zahlreiche tiefempfundene Respektsbezeugungen jüngerer Künstler, von Jarvis Cocker bis Sonic Youth, sind Indikatoren für die Reputation, die der legendäre Exzentriker bei der Pop-Intelligenz genießt. Auf dem Tribut-Sampler „Total Lee.'“ vor vier Jahren coverten Bands wie Tindersticks, Lambchop oder Calexico seine Songs, Bands, von denen er davor nie gehört hatte. „Ich bin dankbar dafür, dass eine nachwachsende Generation Gefallen an meinen Platten findet“, ächzt Hazlewood und steht auf. Time out.

Lee Hazlewoods Stationen in Steno: Geboren am 9. Juli ’29 in Mannford, Oklahoma, bürgerliche Familie, viele Umzüge, glückliche Kindheit. Ging gern zur Schule, begann Medizin zu studieren, doch kam der Korea-Krieg dazwischen. Danach Neuanfang als Radio-DJ, entdeckte Elvis für Phoenix, wollte auch hoch hinaus. Versuchte es als Songschreiber, fand keinen Verlag, machte eigenen Verlag auf. Scheiterte als Plattenproduzent am Desinteresse etablierter Labels, gründete ein eigenes. Mit 27 war der Autodidakt und Selfmademan autark, aber abgebrannt. Mit Sanford Clarks Hit „The Fool“ änderte sich das. Nun sprudelten die Dollars, aber Lee verdingte sich bei Dot, dann bei Reprise. Frank Sinatras Laden. Es lief wie am Schnürchen, the hits just kept on Coming. Jahrelang. Dann verschwand Lee nach Schweden ins selbstgewählte Exil, fühlte sich wohl, arbeitete für das Fernsehen, veröffentlichte Platten, die ihre Meriten hatten. Von denen die Welt indes kaum Notiz nahm. Lee Hazlewood drohte zu einer Fußnote der Musikhistorie zu schrumpfen. Doch dann brach das 21. Jahrhundert an, Lee wurde neu entdeckt, studiert, bewundert, wiederveröffentlicht, Lee live beim „Meltdown-Festival“. Medienpräsenz, als wäre er nie weggewesen. Späte Genugtuung. Kuchen eben.

Während der Leidende im Badewasser Linderung findet, setzt sich Jeane zu mir, zeigt Familienfotos, erzählt vom gemeinsamen Leben und von guten, verlässlichen Freunden wie Duane Eddy. Und von der anderen Sorte, dies aber nur in Andeutungen und natürlich streng vertraulich. Kennengelernt hat sie Lee in einer Bar und sich sofort in ihn verliebt, ohne zu wissen, wer er war. „Das habe ich erst am nächsten Morgen erfahren“, lacht sie. „Lee ist ein wunderbarer Mensch, aufmerksam und liebevoll. Es gibt Leute, die das in Abrede stellen, weil Lee auch brüsk sein kann und abweisend. Aber das ist nur raue Fassade, unter der ein feiner Kerl steckt.“

Die Erholungspausen im Wasser scheinen eine entspannende Wirkung zu haben, doch verbrauchen sich die Reserven in kürzeren Abständen. Versuche, die Intention einiger der ambivalenteren neuen Songs zu hinterfragen, laufen ohnehin ins Leere. Weil Hazlewood die Fragen zwar für „hghly interesting“ erachtet, sich aber wie Bob Dylan weigert, Interpretationshilfen zu geben. „Das habe ich noch nie gemacht, ich halte es für besser, wenn sich jeder eigene Gedanken dazu macht. Ich hindere dich selbstverständlich nicht daran, mir deine Auslegung zu erklären.“

Die meisten Songs bedürften keiner Exegese, wende ich ein, weil sie nicht widersprüchlich sind. „White People Thing“ handelt von der Segregation in den Köpfen, „Anthem“ vom Renegaten-Stolz, als Südstaatler nie die Republikaner gewählt zu haben, und „Nothing“ ist ebendas. Der einzige Song, der mir Kopfzerbrechen bereitet, ist „Baghdad Knights“, weil es als Antikriegs-Statement Entschiedenheit vermissen lässt. Krieg als Football-Spiel mit Kanone? „Vielleicht ist es ja gar kein Antikriegslied“, offeriert Hazlewood, „vielleicht unterscheidet es zwischen dem Krieg und denen, die ihn führen, vielleicht sagt es: fuck the war but respect the knights.“ Keine Auffassung, die ich nachvollziehen könnte. „Nun“, schnauft Lee missbilligend, „deshalb lasse ich mich nicht auf solche Selbstanalysen ein.“

Fair enough. Auch wenn es nicht das einzige Thema ist, über das sich der hinfällige Künstler lieber ausschweigt. Bei Nennung des Namens Suzi Jane Hokom wehrt er sofort ab. Kein Wort werde er über die Dame verlieren. Bedauerlich, denn in die Zeit, die Hazlewood und Hokom als Paar und Partner verbrachten, fallen einige Dinge mit dringendem Klärungsbedarf. Hokoms Rolle bei LHI zum Beispiel, dessen Kürzel für Lee Hazlewood Industries stand, wo Hokom aber als Sängerin, Songlieferantin und Produzentin für Qualität sorgte. Sie war es gewesen, die Gram Parsons‘ International Submarine Band entdeckte, sie war es, die das wegweisende Album „Safe At Home“ produzierte. Und mit Lee Songs schrieb. Und mit ihm sang. War sie nicht eine großartige Sängerin? „Yeah“, schnappt Hazlewood, „singen konnte sie wie ein Engel, aber sie war keiner.“ Vor 35 Jahren hatte er mit seiner Ex-Geliebten abgerechnet, auf LP-Länge. „Requiem For An Almost Lady“ heißt die böse Bilanz einer Beziehung. Von der Lee heute noch nicht abrücken mag.

Er hätte sich seinerzeit fast vom Musikgeschäft verabschiedet. Sowie 1964, als er sich für zwei Jahre vom Plattenmachen zurückzog, weil ihm die Beatles furchtbar gegen den Strich gingen, man ihnen aber nicht entrinnen konnte. „Ich liebte die Stones, das war der echte Stoff. Später, als ich sie persönlich kennenlernte, liebte ich sie noch mehr. Mit Mick habe ich mal Urlaub gemacht. Mit den Beatles konntest du mich jagen. Und du hattest immer das Gefühl, von ihnen verfolgt zu werden. Wann immer man das Radio anmachte, heraus kamen die Beatles. Oder Motown. Eine schlimme Zeit. Man musste britisch sein oder wenigstens so tun als ob, dann konntest du nichts mehr falsch machen. Ich fühlte mich einfach fehl am Platz und zog die Konsequenzen.“ Damals habe er begonnen, die Haare schwarz zu färben. „Sonst hätte ich so ausgesehen“, grinst der moribunde Maverick, nimmt die Mütze ab und zeigt sein schlohweißes, schütteres Haar. Zeit für ein Bad.

Ein paar Minuten später ruft Lee Hazlewood, dass er sich nicht noch mal aufraffen könne. „Sorry, aber das war’s. Thank you for coming.“ Kein richtiger Abschied, ein endgültiger schon.

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