Macht kaputt was euch kaputt macht – Ton Steine Scherben

1975 kehrten die Scherben der Stadt Berlin den Rücken und zogen nach Fresenhagen ins norddeutsche Hinterland. Hinter ihnen lagen fünf Jahre in der linken Berliner Polit-Szene. Die meiste Zeit lebten sie von der Hand in den Mund, am Schluss waren sie pleite und ausgepumpt – nicht zuletzt durch den Druck, der auf ihnen lastete. Als politische Band mussten sie ständig Stellung beziehen, an Demos teilnehmen und Flugblätter unterschreiben. Als bei einem Konzert im Audi-Max zwei Mädchen aus dem Georg-von-Rauch-Haus auf der Bühnen zu ihrer Musik tanzten, wurde der Band von der gestrengen Linken vorgeworfen, sie hätten Go-Go-Girls engagiert. No Fun. Das Leben eines politischen Rebellen hat hart, steinig und entbehrungsreich zu sein. Vergnügungen sind eskapistisch und bourgeois. Selbst 1970, als ihre erste Single im Eigenvertrieb erscheinen sollte, war das kein Grund zur Freude und Begeisterung. Für Rio Reiser und seine Mitstreiter war klar, dass „Macht kaputt was euch kaputt macht“ niemals die Charts stürmen würde und dass sie die Single selbst in die linken Buchläden stellen mussten, damit sie gekauft wird. Nicht einmal einen Namen hatte die Band, als die Bänder mit den zwei Titeln für A- und B-Seite ins Pressewerk gingen. Darüber wurde in einer langen Sitzung beraten und abgestimmt, achtzig Vorschläge wurde eingereicht, bis schließlich der richtige Name gefunden wurde: Ton Steine Scherben. Auf dem desaströs organisierten Fehmarn-Festival, wo Jimi Hendrix seinen letzten Auftritt hatte und der Veranstalter mit den Eintrittsgeldern kurz vor Schluss das Weite suchte, spielten die Scherben den Song zum ersten Mal vor einem großen Publikum. Mit durchschlagendem Erfolg: Das verlassene Büro der Organisationsleitung ging in Flammen auf, später dann auch die gesamte Bühne. Und ein paar Tage später hielt die Band dann eine neun Seiten lange Anzeige der Hamburger Staatsanwaltschaft in Händen.

Weihnachten 1970 waren etwa 6.000 selbstvertriebene und eigenhändig verpackte Singles verkauft. Fast so etwas wie eine Erfolgsgeschichte. Oft wurde „Macht kaputt was euch kaputt macht“ später als erster Punk-Song bezeichnet. Das rollende Riff und der prägnante, plakative Text scheinen unterstreichen das. Aber die Single ist mehr als ’nur‘ destruktiver Punk: Rockmusik mit agitatorischen Lyrics, die den Wunsch nach Veränderung formulieren. Nicht resignativ, nicht illusionslos, sondern aktiv, konstruktiv, voller Hoffnung. Und wenn auch ein Rebell hart und kompromisslos sein muss, so treiben ihn Emotionen und letztlich auch die Liebe. Wie Rio und seine Scherben.

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