Mein liebster Feind: der Drummer

Michael Rother hat Herbert Grönemeyer als Gastsänger, spielt mit John Frusciante - doch die Hassliebe zu Neu!-Partner Klaus Dinger lässt ihn nicht los

Der Dorian Gray des Krautrock? Michael Rother ist der jugendlichste 53-Jährige, den man sich vorstellen kann: sportlich, smart und bestens informiert Oft sieht man ihn in Hamburger Hipster-Treffs, wie dem Golden Pudel Club oder der Daniela Bat Einige der Musiker, die ihn auf seinem ersten Soloalbum seit neun Jahren begleiten, hat er dort auch aufgelesen. „Remember – The Great Adventure“ ist ein feines elektronisches Lounge-Album geworden. Auf drei Liedern hören wir sogar Neu!-Fan Herbert Grönemeyer: „Es ist nicht der typische Grönemeyer, das haben schon viele Leute gesagt“, erklärt Rother, „aber ich finde, der Gesang klingt so noch interessanter. Die Stimme, die man von seinen Platten kennt, hätte in meinem Umfeld gar nicht gepasst“

Da kann man geteilter Meinung sein. Die sehr entspannte Musik ist oft näher an der flauschigen Seite von Massive Attack als an der Radikalität der frühen Krautrock-Tage. Damals, als Michael Rother und Klaus Dinger (nach einem Gastspiel bei Kraftwerk) Neu! gründeten, waren sie eine der aufregendsten Bands überhaupt. Der rohe Groove beeinflusste Bands wie Sonic Youth oder Radiohead, die zart schwebenden Gitarren waren ein Vorschein von Ambient. Quentin Tarantino packte kürzlich den Neu!-Titel „Super 16“ auf den Soundtrack von „Kill Bill 1“.

Doch die Beziehung zwischen Dinger und Rother war von Anfang an hochexplosiv. „Wir waren nie befreundet – wir haben uns gegenseitig gebraucht. Seine Kraft beim Trommeln war atemberaubend, da ist manchmal regelrecht das Blut gespritzt“ Rother redet viel über Dinger. Oft klingt es so, als müsse er eine traumatische Beziehung verarbeiten. Als sei Dinger die dunkle Seite von Neu! gewesen.

Dabei trennten sich die Wege der beiden Musiker eigentlich schon 1975 nach drei Alben und einer Single. Rother gründete mit Moebius und Roedelius Harmonia, startete eine Solo-Karriere und wurde von David Bowie eingeladen, an „Heroes“ mitzuarbeiten.

Dann stand Dinger wieder vor der Tür. Die beiden einigten sich auf eine zweite Chance und nahmen 1985 in Düsseldorf das Album „Neu! 4“ auf. Leider fehlte Toningenieur Conny Plank, der ruhende dritte Pol der vorangegangen Alben. Schnell kam es wieder zu Streitereien und einer „unkonstruktiven Patt-Situation“, über die Rother sagt: „Einiges von dem entstandenen Material war zwar ganz schön, aber weil wir uns gegenseitig nicht trauten, haben wir beschlossen, die Bänder zu versiegeln“. Doch Mitte der Neunziger erhielt Rother ein Fax: „Herzlichen Glückwunsch, morgen erscheint in Japan Neu! 4′“. Dinger hatte die versiegelten Tapes geöffnet, ein wenig daran herumgebastelt und dann einen illegalen Vertrag mit dem japanischen Label „Captain Trip“ geschlossen. Das mittelmäßige Album wurde vom Markt genommen.

Es gab immer wieder Streit. LSD-Liebhaber Dinger wehrt sich gegen jeden Versuch einer offiziellen CD-Veröffentlichung der alten Neu!-Alben: „Einmal hat Klaus sogar eine Anzeige geschaltet: ‚How Michael Rother smashed a milion dollar deal.‘ Obwohl Daniel Miller von Mute die Platten gern veröffentlicht hätte, prozessierte Klaus über zwei Instanzen, gleichzeitig wurden im Ausland jede Menge Boodegs verkauft.“ Erst Grönemeyer gelingt es, die Streithähne wieder an einen Tisch zu setzen. Zu den Wiederveröffentlichungen auf „Grönland“ geben Neu! sogar Interviews allerdings in getrennten Räumen. Trotzdem gibt es Menschen, die behaupten, Rothers neues Album sei nur deshalb nicht bei „Grönland“ erschienen, weil Label-Betreiber Herbert insgeheim von „Neu! 5“ träumt: einer grandiosen Reunion, die freilich noch aufzunehmen wäre. Und ein sich zurückgesetzt fühlender Klaus Dinger wäre dazu sicher nicht bereit.

Rother kann’s egal sein. Nach seinem Auftritt mit den Red Hot Chili Peppers in Hamburg spielt er mit John Frusciante im August ein paar Gigs in den USA. Und wenn man sich „Remember -The Great Adventure“ anhört, dann spürt man: Michael Rother muss sich nicht an eine glorreiche Vergangenheit erinnern. Er hat die Zukunft noch immer vor sich.

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