Meine Kindheit als Hollywood- Cartoon

Rosanne Cash über "Ain't No Grave", den Film "Walk The Line" und die Probleme, mit dem Vermächtnis ihres Vaters zu leben

Die Veröffentlichung von „American VI: Ain’t No Grave“ macht mich traurig – weil mir beim Hören – weil mir beim Hören erst bewusst wurde, dass dies die unwiderruflich letzte Platte meines Vaters sein wird. Trotzdem bin ich froh, dass sie endlich herauskommt: Rick Rubin hat schon vor Jahren angekündigt, dass es noch einen abschließenden Teil der Reihe geben würde. Natürlich werden einige Leute behaupten, er hätte die letzten Reste zusammengekehrt – aber sie liegen völlig daneben. Rick ist ein wahrer Künstler. Er würde nie irgendeinen Murks veröffentlichen, um Geld zu machen. Obwohl es schon oft gesagt wurde: Er hat meinem Vater tatsächlich das Leben gerettet!

Ich weiß noch genau, wie schlecht es meinem Dad damals ging. Wie deprimiert er war, dass die Plattenfirma ihm jede Grundlage entzogen hatte, um sich der Welt mitzuteilen. Rick Rubin und mein Vater liebten sich wie Brüder. Ich war unglaublich erleichtert, als ich die erste „American Recordings“ hörte.

Das Schindluder mit dem Erbe von Johnny Cash haben andere getrieben. Ich möchte keine Namen nennen, aber: Es gab in den Jahren nach seinem Tod mehrere Veröffentlichungen mit zweifelhafter Qualität und Motivation, an denen gewisse Leute gut verdient haben. Leider hatte ich kein Vetorecht. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Augen zu schließen, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern und mich darauf zu besinnen, dass ich weiß, was gut und richtig ist.

Als 2005 der Film „Walk The Line“ mit Joaquin Phoenix als Johnny Cash in die Kinos kam, war das eine eher schmerzhafte Erfahrung. Auf mich wirkte das wie ein schrill gezeichneter Cartoon. Ich glaube kaum, dass allzu viele Menschen scharf darauf wären, eine Hollywoodversion ihrer eigenen Kindheit zu sehen – ich war es jedenfalls nicht! Zum Glück merkte ich rechtzeitig, dass dieser Film natürlich für ein Publikum gedacht war, dass keine Ahnung von meinem Vater hat. Obwohl es schön gewesen wäre, wenn man im Kino wenigstens etwas darüber erfahren hätte, was für ein großer Künstler mein Vater war. Die Geschichte, die da erzählt wurde, reduzierte ihn auf einen psychotherapeutischen Problemfall.

Bei den Vorbereitungen für mein aktuelles Album „The List“ habe ich wieder die Liste zur Hand genommen, die mein Dad für mich anfertigte, als ich mit 18 bei ihm im Tourbus saß und er merkte, dass ich keinen der Songwriter kannte, die ihm wichtig waren. „100 Essential Country Songs“ schrieb er darüber – zwölf daraus habe ich ausgewählt und selbst aufgenommen. Ich muss allerdings anmerken, dass es zwischen ihm und mir immer ein Geben und Nehmen gab. Auch ich habe ihm regelmäßig Schallplatten geschickt. Einmal zum Beispiel „Nebraska“ von Bruce Springsteen. Die gefiel ihm so gut, dass er gleich zwei Songs daraus in sein Programm nahm. Er war kein reiner Sturkopf, sondern ein sehr offener Mensch.

Und so bescheiden er auch war – er hatte einige seiner eigenen Lieder mit auf die Liste geschrieben. „I Walk The Line“ habe ich sogar für das neue Album ausprobiert. Am Ende haben wir es jedoch aussortiert. Die Gefahr war zu groß, dass meine Platte auf diesen einen Song reduziert werden könnte. Aber wenn es um das Erbe und Vermächtnis meines Vaters geht, stehe ich prinzipiell auf dem Standpunkt: Lieber trete ich selbst in seine Fußstapfen, bevor das Leute tun, denen es nicht zusteht.

Rosanne Cashs Album „The List“ ist bei Manhattan/EMI erschienen

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