Messerscharfe Gegenwart

Mit „"Kürzere Tage" legt die Autorin Anna Katharina Hahn ein kesses Romandebüt vor.

Auf den Büchern von Anna Katharina Hahn müsste stehen, was wir aus der Gillette-PR kennen: Edelstahl, gehärtet und auf beiden Seiten dreifach geschliffen. Als Freigabe dazu ein Gel. Sie wurde mal zum Wettlesen in Klagenfurt eingeladen. Arschkarte, sie musste als Erste lesen. Also fing sie an: „Und dann konnte ich es ganz deutlich hören, rein, raus, rein, raus, du verstehst schon, dieses … Stöhnen, ohne jede Hemmung, und dann sie, als zweite Stimme, nahezu musikalisch, Mezzosopran würde ich sagen, immer im Wechsel, über zwanzig Minuten, nicht zum Aushalten!“ Die Juroren waren nicht begeistert. Einer bekundete, die Autorin habe sich im Ton vergriffen. Dazu kann oder darf oder muss man sagen: Treffer, voll ins Schwarze. Der Ton ist nicht der ältlicher Juroren.

Mittlerweile hat Hahn sogar ein paar Preise und Stipendien gewonnen, doch in die gängigen Vermarktungsmechanismen des Literaturbetriebs passt sie immer noch so wenig wie eine geballte Faust in einen Samthandschuh.

„Kürzere Tage“ (Suhrkamp, 19,80 Euro) heißt nun nach zwei Erzählungsbänden ihr erster Roman. Deutschland vor oder nach der jüngsten oder nächsten Krise. Die Heldin, mit der wir einsteigen, lebt eine gesicherte Existenz, doch kaum ist Papa mit dem Kind zur Tür raus, zieht sie sich die erste Zigarette rein. „Roth-Händle“. So wie während der Schwangerschaft, als sie schaurig spürte, wie das Embryo zusammenzuckte. Im Haus gegenüber sieht sie, was ihr wie eine heilige Familie vorkommt. Schnitt, neue Nahaufnahme: Die berufstätige Mutter hat sich einen Mann geangelt, hart und emsig schaffend, aber auch primitiv wie Freitag in „Robinson Crusoe“.

„Viele fürchten sich davor, die Gegenwart anzusteuern“, weiß Anna Katharina Hahn. „Wenn, dann machen sie das am ehesten in kleinen privaten Reden, die über den eigenen Zehnagel nicht hinausblicken. Mich wundert auch, dass sich viele in ihrem Schreiben auf die Vergangenheit beziehen, so als hätte das Zeitlose mehr Bestand, als gäbe es da eine gewichtige Tradition, auf die man sich beziehen könnte.

Dabei gab es im 19. Jahrhundert sehr viele Autoren – auch Fontane! -, die sich mit ihrer Gegenwart auseinandergesetzt haben, mit aktueller Politik und Geschichte. Blick auch nach vorne, darum geht es doch in der Literatur. Wenn man sich heute, egal wie literarisch und ordentlich es sein mag, nur mit der Vergangenheit beschäftigt, dann ist das doch der pure Eskapismus.“

Die Gegenwart ist viel zu aufregend, um aus der Literatur verbannt zu werden, und darum schreibt Anna Katharina Hahn. Weil es einfach sein muss. Man kann ihr nur dankbar dafür Sein.

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