Die Faust zum Gruße

PHILATELIST MÜSSTE MAN SEIN! Ein dickes Vergrößerungsglas ins Auge geklemmt, von wassergefüllten Tellern umgeben, in denen zur gefühlvollen Markenablösung Briefe schwimmen, Besuche im Berliner Museum für Kommunikation, um die blaue Mauritius im Keller anzugucken – und dann könnte man sich auch noch vor die SPD-Parteizentrale stellen, um die Sonderbriefmarke zu „150 Jahre SPD“ abzugreifen. Am ersten Tag gab es gar einen Sonderstempel dazu, der, so stand es auf der Partei-Homepage, von Peer Steinbrücks Kanzlerkandidatenhand „peersönlich“ auf den Bogen gestempelt würde. Au weia, der Schalk hat sich im Jubiläumsjahr fest in den Nacken der SPD-Website-Betreuer gekrallt.

Dabei gibt es eigentlich gar nicht so viel zu lachen bei den Genossen, Genossinnen und denen, die irgendwo dazwischen sind. 150 Jahre SPD, und die Kacke dampft, denn Steinbrück bekommt trotz Robbie-Williams-artiger Wahlkampftournee nur miese Kritiken: NRW würde lieber Frau Kraft wählen; auch der Rest von Deutschland glaubt nicht so richtig an ihn. Und sein alter Freund und Steuerhinterzieher Uli Hoeneß hat erstens noch andere Amigos, und zweitens drückt das Thema den steinbrückschen Schuh ohnehin.

Wie kann man also anständig 150 Jahre feiern mit so viel Ärger im Gepäck? Heute, am 23.5., wenn dieses Heft erscheint, soll nämlich in Leipzig ein großer Festakt zum Jubiläum stattfinden – mit Bands wie Legion Of The Damned, Cliteater, Kadaverficker und Diaroe huch, jetzt hab ich das SPD-Fest doch glatt mit der gleichzeitig stattfindenden Deathund Grind-Metal-Veranstaltung „Extremefest“ in Hünxe verwechselt,’tschuldigung! Nein, beim SPD-Fest treten höchstwahrscheinlich auf: Angela Merkel und Jule Neigel huch, erstaunlich, aber auch nicht schlimmer als Diaroe, und es ist toll, dass Frau Merkel trotz ihrer Nebenbeschäftigung als wahlkämpfende Bundeskanzlerin der gegnerischen Partei Zeit findet. Hoffentlich wird nicht kurzfristig abgesagt, und dann muss Steinbrück doch den ganzen Abend alleine singen.

Die SPD-Jugend feiert schon ein bisschen früher, aber dafür schneller: Beim ebenfalls im Mai stattfindenden Dortmunder Workers Youth Festival, mit Rotfront-Grußfaust-Logo und einem kleinen Ankündigungs-Imagefilm, der so schnell geschnitten ist, wie Alte denken, dass Junge ticken. Kaum hat man angefangen, einen der Slogans zu buchstabieren, ist er auch schon wieder verschwunden: „united we make hi “ futsch. „workshops, open space and blind actionism “ futsch. Moment, stand das da wirklich?

Aber apropos Genossen, Genossinnen und vor allem die dazwischen: Die Band, die beim Workers Youth Festival als Hauptakt auftritt, heißt Die Orsons und erlangte im letzten Jahr gewisse Berühmtheit, weil sie mit dem Panda-Rapper Cro den Song „Horst & Monika“ aufnahm.

Darin geht es um die Lebensgeschichte von Monika Strub, die im falschen Körper (Horst) geboren wurde und NPD-Mitglied war, bevor sie eine Geschlechtsangleichung vornahm und 2011 für die Linke in den baden-württembergischen Landtagswahlkampf zog. Die Orsons machten daraus in alter Pubertätsmanier: „Also hat Horst gedacht: Schneid ich ihn einfach ab!“ Eine drohende Klage der „Aktion Transsexualität und Menschenrecht“ ließ die Band kurzzeitig um ihre Teilnahme am „Bundesvision Song Contest 2012“ zittern. Sie nahm dann doch teil, gewann mit dem ignoranten Spottlied aber glücklicherweise keinen Blumentopf. Jetzt, beim Juso-Fest in Dortmund, ist die Geschichte vergeben und vergessen. Man kann ja nicht bei allen Teilnehmern die Vergangenheit abklopfen. Wo kämen wir denn da hin.

Ferdinand Lassalle, der vor 150 Jahren den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gründete, aus dem die SPD später hervorging, starb übrigens 1864 mit 39 Jahren nach einem Duell, weil er sich in eine Frau verliebt hatte, deren Vater der Romanze seinen Segen verweigerte. Wie damals bei den Mitgliedern von pflichtschlagenden Verbindungen üblich, forderte Lassalle von seinem Gegenspieler „Satisfaktion“. Der potenzielle Brautvater ließ sich aber von einem jüngeren Mann vertreten, nämlich dem, mit dem er seine Tochter eigentlich verheiraten wollte. Und dieser bessere Schütze traf mit einem Schuss, der nach drei Tagen zum Tod Lassalles führte. Das Private hatte das Politische eindeutig überholt. Oder auch: united we make hi … ach, egal.

Im nächsten Monat kommt der Typewriter wieder von Uwe Kopf.

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