Michael Nesmith

Eigentlich war er nur einer von vielen vielversprechenden Songwritern im L.A. der Sechziger, doch ein warmer Tag im September 1965 veränderte sein Leben - und die Popgeschichte. Michael Nesmith wurde als Darsteller für die TV-Show "The Monkees" entdeckt - und entdeckte selbst die Medien für sich. Nach dem Ende der Band und einigen glänzenden, aber erfolglosen Soloalben wurde er zum visionären und überaus erfolgreichen Medienunternehmer.

Der Himmel ist himmelblau, die Wiesen sind grasgrün, die Grillen zirpen, die Vögel zwitschern, Flamingos stehen am Ufer eines Sees, tropische Lagerfeuer lodern und auf der Weide muhen seltsame Wesen, die aussehen wie eine Mischung aus Kuh und Fernsehgerät. Auf der Terrasse von „Ed’s Cafe“ hat sich ein Dutzend Leute versammelt und wartet auf das Konzert des Singer/Songwriters Tony Furtado. Sie kommen aus L.A. oder San Diego, arbeiten in Houston oder Chicago und haben gerade Mittagspause oder Feierabend. Meine Konzertbegleitung sieht aus wie eine entfernte Verwandte von Lara Croft, trägt einen kurzen Rock, ein blaues Top, dazu Cowboystiefel. Sie befindet sich gerade im kalifornischen Sand City- fast 10 000 Kilometer von mir entfernt – und nennt sich „Foreman“. Im echten Leben heißt sie Victoria Kennedy und ist die dritte Ehefrau von Michael Nesmith, dem Hausherrn der virtuellen Welt „Videoranch“, in der wir uns befinden. Seit 1998 kann man sich hier einloggen, wenn man über Zugangsdaten, einen schnellen Internetanschluss und einen Rechner mit großem Arbeitsspeicher verfügt. Diese Bedingungen erfüllte zu Beginn allerdings kaum jemand. Das zurzeit in den Medien bestaunte Second Life etwa ging erst fünf Jahre später online.

„Es ist aber auch nicht leicht, mit deinem Ehemann Schritt zu halten. Er ist seiner Zeit immer einen Tick voraus“, scherze ich. „Nez hasst es, der Erste zu sein“, meint Foreman zwinkernd. Er würde gerne „Videoranch“ noch aufwändiger und ambitionierter gestalten, erzählt sie, aber andererseits wolle er die knapp 1000 User, die sich bisher angemeldet haben, nicht verprellen. Schließlich lebe „Videoranch“ ja von dem sozialen Aspekt, sei geschaffen worden, damit sich Menschen aus aller Welt treffen können, um in einem der virtuellen Venues zusammen Live-Musik zu hören. Als Tony Furtado schließlich als Real Time Video in die virtuelle Welt eintritt, ruckelt mein Rechner auch so schon genug.

Ob Nez denn selbst schon einmal in einem der Etablissements auf der Videoranch aufgetreten sei, frage ich Foreman. „Bisher noch nicht.“ Vielleicht hat ihn die Angst davor, wieder zu einer medialen Figur zu werden, wenn er sich der Öffentlichkeit im virtuellen Raum zeigt, davon abgehalten. Schließlich hat er Jahre gebraucht, um sich von dem von ihm verkörperten Mediencharakter zu emanzipieren. Noch immer kennen ihn die meisten nämlich als Mike, den Typen mit der grünen Pudelmütze aus der TV-Serie „The Monkees“.

Und ein Monkee zu sein, macht einem das reale Leben ziemlich schwer. Schließlich wird der Bandname auch heute meist nur zur Belustigung in den Mund genommen, oderwenn von mangelnder Authentizität, Boygroups und Casting-Acts die Rede ist. Nicht nur Marge Simpson wurde ob ihres Monkees-Ranzens in der Schule hämisch mit der Halbwahrheit konfrontiert, die hätten ihre Instrumente ja gar nicht selbst gespielt. Als ich mir vor einigen Wochen in einem Münchner Plattenladen das dritte Monkees-Album „Headquarters“ kaufte, wurde ich an der Kasse auch gleich kritisch Nase rümpfend beäugt: „Sind die nicht gecastet?“ Ja und? „Citizen Cane“ war auch gecastet!

Es hätte natürlich für Michael Nesmith alles noch viel schlimmer kommen. Er hätte etwa als obskurer Folk-Sänger Michael Blessing in die Geschichte eingehen können. Oder als Sohn und Erbe der Erfinderin des Liquid Paper. Die Sekretärin Bette Nesmith nämlich, die ihren Sohn Michael nach der Scheidung von ihrem MannWarren 1946 alleine großzog, machte mit dem Patent auf diese Korrekturflüssigkeit, die bei uns unter dem Markennamen „Tipp-Ex“ bekannt wurde, ein Vermögen.

Der 10. September 1965 war insofern für Michael Nesmith ein Glückstag. Auch wenn er ihn vermutlich schon oft in seinem Leben verflucht hat. Wenn man die Pophistorie nicht nur als eine Abfolge von Künstlern und Musikgenres begreift, sondern als eine Geschichte von Medien, die ja nicht nur die Rezeption, sondern auch die Ästhetik des Pop wesentlich geprägt haben, ist dieser warme kalifornische Spätsommertag sogar ein historisches Datum.

Damals erschien Michael Nesmith auf eine Anzeige in der „Daily Variety“ zum Casting für eine neue TV-Show im Stil des ersten Beatles-Films „A Hard Day’s Night“. Die Produzenten Bob Rafelson und Bert Schneider suchten junge unverbrauchte Männer mit Sinn für Humor. Und irgendwie machte der 23’jährige Nesmith wohl den Eindruck, als sei er da der Richtige. Vielleicht war es seine leicht blasierte Art, oder er fiel ihnen auf, weil er gerade aus dem Waschsalon kam und einen riesigen Wäschesack in der Hand hatte. Oder wegen seiner grünen Pudelmütze. Auf das karierte Westernhemd, das er trug, haben sie nicht geachtet. Das war vielleicht ein Fehler.

Jedenfalls wurde Nesmith zusammen mit den Kinderstars Mickey Dolenz und Davy Jones und dem Folk-Musiker Peter Tork unter 400 Bewerbern, zu denen auch Stephen Stills, John Denver und der Sohn von Mickey Rooney gehörten, ausgewählt. Schon bei den ersten Proben der neuen Band kristallisierte sich heraus, wer hier der Bandleader war. „Michael war intuitiv der Chef, erinnert sich der Regisseur Jim Frawley in Andrew Sandovals Chronik „The Monkees“, „ein spröder Typ mit sehr trockenen Humor. Sehr smart, sehr clever. Micky war der Komiker und hatte eine Menge Slapstick drauf. Dann hatten wir Peter, den ruhigen, sensiblen Typen – und das ist er wirklich. Davy ist der hübsche Junge, der Frauentyp…“

Nesmith glaubte zwar, er könne aus diesem optimal zusammengestellten Quartett auch eine perfekte Band machen. Dolenz und Tork konnten immerhin einigermaßen Gitarre spielen, nur die optische Attraktion, der niedliche Davy Jones, verschwand hinter den viel zu großen Becken des Schlagzeuges, so dass Dolenz, der dummerweise überhaupt kein Rhythmusgefühl hatte, dafür aber der beste Sänger war, für ihn übernehmen musste. Die ersten Proben waren, kurz gesagt, eine Katastrophe, und die Monkees wurden anfangs nur ins Studio gerufen, um ihre Gesangsparts zu den Songs von Tommy Boyce und Bobby Hart und anderen Hitlieferanten auf die Tracks von Studiomusikern zu singen. Gleich bei einer der ersten Sessions, die Songwriterin Carole King leitete, sparte der Nobody Nesmith nicht an Kritik und brachte die Brill Building Queen so gegen sich auf, dass diese unter Tränen noch am gleichen Tag zurück nach New York flog. Der musikalische Berater der Monkees-Show, Don Kirshner, besänftigte Nesmith, indem er ihm anbot, einige der Aufnahmesessions selbst zu leiten. Der relativ unerfahrene Nez dirigierte bald darauf Studio-Asse wie Billy Preston und Elvis-Gitarrist James Burton zu einem countryesken Popsound, der zwar nicht für Hit-Singles taugte, aber als Füllmaterial für die TV-Serie und die ersten beiden Alben gerne abgenommen wurde. Aus musikhistorischer Sicht ist die Bedeutung dieser Aufnahmen natürlich wesentlich größer, denn hier loderte schon drei Jahre vor der Erstehung des Genres auf dem Byrds-Album „Sweetheart Of The Rodeo“ der Country-Rock. „Das war eine ganz natürliche Sache für mich“, erinnert sich Nesmith heute an seine frühen Produktionen. „So natürlich, dass ich keine Ahnung hatte, dass ich etwas Bedeutendes tue, was einen eigenen Namen verdient.“

Als der ehrgeizige Nesmith auf der ersten Monkees-Tour durch England von John Lennon zu den Aufnahmen von „A Day In The Life“ eingeladen wurde und sah, was sich mit künstlerischer Selbstbestimmung alles erreichen lässt, wuchs sein Unmut über die musikalische Seite der Monkees. Er machte Stunk in Interviews und intrigierte gegen den musikalischen Leiter Kirshner, bis der schließlich gefeuert wurde. Dann musste die Band, die sich bei Konzerten immer noch durch die Songs dilettierte, weitere Übungsstunden einlegen. Und schließlich engagierte Nesmith den völlig unerfahrenen Chip Douglas als Produzenten für das nächste Monkees-Album. Davy Jones holte sich bei den vielen Takes, die die Band für jeden Song brauchte, einen Tamburin-Arm. Aber die Schmerzen wurden belohnt. „Headquarters“ ist eine eigenwillige Mischung aus British-Invasion-Pop, Folk- und Country-Pop, auf der neben Nesmith auch Dolenzund Tork ungeahnte Songwriting-Talente offenbarten. Eine Hitsingle warf das Album, das sich mit 2,5 Millionen Exemplaren nur halb so oft verkaufte wie die Vorgänger, zwar nicht ab, doch dafür heißt es auf dem Cover stolz: „We aren’t the only musicians on this album, but the occasional extra bass or hörn player played under our direction, so this is all ours.“ Aus der albernen TV-Inszenierung einer Boygroup war eine echte, ernsthafte Band geworden.

Auch bei den Drehs zur zweiten Staffel der TV-Serie übernahmen die Monkees verstärkt die Kontrolle. Peter Tork und Mickey Dolenz schrieben Sketche und führten gar Regie. Michael Nesmith tauchte eines Tages mit Frank Zappa im Filmstudio auf, und die beiden improvisierten eine Szene, in der Nesmith (mit riesiger Pappnase) Zappa, und Zappa (mit Pudelmütze und Südstaaten-Akzent) Nesmith spielte.

Nesmith: Ich will ins ernsthafte Fach wechseln, weil das zu mir als Frank Zappa passt, den manche ja als ein kreatives Genie bezeichnen, besonders im Vergleich zu eurer Monkees-Musik, die auf mich ziemlich banal und geistlos wirkt.

Zappa (entrüstet): Du denkst, dass unsere Musik, die Musik der Monkees, banal und geistlos ist?

Das nächste Album „Pisces, Aquarius, Cdprkorn & Jones Ltd.“ war ambitioniert, trotz Goffin Es? Kings Top-10-Single „Pleasant Valley Sunday“ aber erfolglos. Die gerade erst entstandene Band brach schon langsam auseinander. Jeder Monkee produzierte seine eigenen Aufnahmesessions. Nesmith versammelte im November 1967 ein 52-köpfiges Ensemble in den RCA Studios in Hollywood zu den Aufnahmen seines ersten Solo-Albums, „The Wichita Train Whistle Songs“, einer Instrumentalplatte mit eigenen Kompositionen, die in ihrer Mischung aus Big-Band- Soundund Rock’n’Roll wohl eher als Experiment denn als emanzipatorisches Statement gedacht war. Anders die Sessions, die er mit Country-Cracks wie Kenney Buttrey, Charlie McCoy, Wayne Moss und David Briggs in Nashville machte. Dort entstanden neben der süperben Monkees-Single „Listen To The Band“ schon Arrangements für Stücke, die in anderen Versionen zwei Jahre später auf seinen Soloalben wieder auftauchten.

An einem Marihuana-umrauchten Wochenende im kalifornischen Ojai schrieben die Monkees gemeinsam mit dem jungen, damals noch als Drehbuchautor arbeitenden Jack Nicholson das Script zum ersten Monkees-Kinoabenteuer. „Head“ hieß diese bitterböse, absurdalberne und handlungslose Kiffer-Revue, mit der die Monkees ihr Casting-Band-Image endgültig dekonstruierten. „Hey hey we are the Monkees/ You know we love to please/ A manufactured image with no philosophies/ We hope you like our story/ Although there isn’t one/ That is to say there’s many/ That way there is more fun“, singen sie in Jack Nicholsons Parodie des „Monkees Theme“. Nachdem Peter Tork schon ausgestiegen war und die Monkees zwei Alben lang als Trio weitermachten, kaufte auch Nesmith sich aus der Band frei und gründete mit dem Bassisten John London, mit dem er bereits früher in Folk-Clubs gespielt hatte, dem Schlagzeuger Johnny-Ware und dem Pedal Steeler Orville „Red“ Rhodes, der unter anderem schon auf dem Byrds-Album „Notorious Byrd Brother“ mitgespielt hatte, The First National Band. Nesmith‘ Country-Wurzeln steckten endlich wieder im richtigen Grund. „Als die Band zu Ende ging, machte ich einfach dort weiter, wo ich vorher aufgehört hatte“, erinnert er sich.

Die Alben von Michael Nesmith & The First National Band waren lupenreiner Country-Rock. Poetische Songs mit cinemascopischen Szenerien und teilweise religiös geprägten Introspektionen. „Now my whole world opens up in different rhymes and tunes/With highways making up the verse/And then suddenly I see the light of something called the moon/ And though my path is planned, it’s not rehearsed.“

„Ich orientiere mich da an den großen Meister der Dichtung des 19. Jahrhunderts“, erklärt Nesmith-wie es seine Art ist – wenig bescheiden. Trotzdem musizierte die First National Band quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nesmiths Angewohnheit, seinen Kompositionen Titel zu geben, die in den Songtexten gar nicht vorkommen – eine widerständige Strategie, die er in Monkees-Zeiten entwickelt hatte – trug auch nicht gerade zum Erfolg bei. Dabei warb doch die Plattenfirma RCA so schön mit dem Slogan „Michael Nesmith – a cowboy for today’s America“.

Die First National Band brach nach drei Alben am fehlenden Erfolg auseinander, Nesmith und Rhodes machten mit der Second National Band- zu der unter anderem ein gewisser Jose Feliciano gehörte – weiter. Die Plattenfirma RCA war von der ätherischen Cosmic American Music auf „Tantamount To Treason“ allerdings wenig begeistert und sorgte sich um das kommerzielle Potenzial ihres einstigen Boygroup-Stars.

Die folgenden Albumtitel „And The Hits Just Keep On Coming“ und „Pretty Much Tour Standard Ranch Stash“ deuteten daraufhin, dass Nesmith für RCA weder Chartsmusik machen noch „today’s cowboy“ sein wollte. Nach Ablauf seines Vertrages gründete er daher – nachdem ein von ihm im Auftrag von Elektra Records konzipiertes Countrylabel gescheitert war – seine eigene Plattenfirma: Pacific Arts Records. Mit „The Prison“, im Untertitel „a book with asoundtrack“, zeigte er erstmals seit den Monkees wieder Interesse an der Verschränkung verschiedener Medien. Zu „Rio“, der von Busby Berkeleys Musical „The Gang’s All Here“ inspirierten ersten Single des nächsten AIbums „FromA Radio To A Photon Wing“ drehte er einen aufwendigen Videoclip im Stil der Vierziger, der den Song in England und Australien zum kleinen Hit machte. Der Clip zu „Cruisin“, der ersten Single zum ansonsten ziemlich blutarm rockenden „Infinite Rider On The Big Dogma“ lief beim US-Sender HBO zwischen den Spielfilmen rauf und runter, und Nesmiths zweite Leidenschaft neben Country flammte wieder auf: die Medien. „Die Monkees waren ein ungewöhnliches Ding, aber was mich daran am meisten fasziniert hat, war diese Atmosphäre, diese Einblicke ins große TV-Geschäft“, erklärt er. „Dort habe ich gelernt, wie internationale Kommunikation funktioniert.“

Die Plattenindustrie sei todgeweiht, spottete Nesmith damals süffisant in einem Interview, das „audio only“-Album sei am Ende, und seine Firma Pacific Arts habe den Ausweg aus der Krise gefunden: „Pop Clips“, eine TV-Show, die ausschließlich aus Musikvideos und kurzen Anmoderationen bestand. Warner Amex – ein Zusammenschluss von Warner Cable und American Express – bot einen Sendeplatz auf dem Kinderkabel-Kanal „Nickelodeon“ an. Und als der erste „Veejay“ Howie Mandel 1981 über die US-Bildschirme flimmerte, plante Nesmith schon einen ganzen Fernsehkanal zum Abspielen von Videoclips. Auf den Einwand seiner Geschäftskollegen, es gebe nicht genügend Material für sein Vorhaben, antwortete er nur: „Bring das Ding auf Sendung, und sie werden Videos machen.“

Er sollte Recht behalten. Doch während es ihm um die Kunstform Musikvideo ging, erkannte Warner Amex schnell das finanzielle Potenzial dahinter und machte aus Nesmiths Idee einen Abspielsender für Werbeclips der Plattenindustrie: „Music Televison“kurz MTV. „Ich finde die Idee immer noch gut“, meint Nesmith, der dafür von Warner Amex auch ein paar Milliönchen einsackte. „Was daraus letztendlich wurde, war ein Produkt aus finanziellen und machtpolitischen Erwägungen. “ Die Kunstform Video habe sich nie so entwickelt, wie er gehofft habe, meint er. „Mich interessiert die soziale Komponente von Musik – das Schaffen von Gemeinschaften. Und das Musikvideo ist längst n icht mehr so mitreißend, wie es mal war. Es hat aufgehört sich zu bewegen, führt nirgendwo hin.“

Doch zunächst glaubte Nesmith weiter ans neue Format und produzierte mit „Elephant Parts“ das erste Musikprogramm, das ausschließlich für den Heimvideo-Markt konzipiert war. Eine Sammlung von neuen und alten Musikclips, absurden Fernseh-Parodien und anarchischem Humor. Und ausgerechnet mit dieser Mischung aus Pop-Songs und Sketchen gewann der ehemalige Monkee Mike Nesmith seinen ersten und bis heute einzigen Grammy.

Pacific Arts begann nach dem Erfolgvon“Elephant Parts“ Home-Video-Programme zu produzieren – vom „Paul Simon Special“ bis zu „Tokyo Ga“ von Wim Wenders – und Nesmith wurde vom relativ erfolglosen Musiker zum äußerst erfolgreichen Geschäftsmann und Initiator der Home-Movie-Revolution. „Für mich war das Business nie mehr als eine Notwendigkeit – jedenfalls keine spezielle Herausforderung“, meint er rückblickend. „Aber die kluge Vermarktung schien mir immer wichtig zu sein – das gilt ähnlich auch für andere Kunstformen. Doch ich habe bei Businessentscheidungen häufig wie ein Künstler gedacht und bin damit gut gefahren.“ Nun ja, als Filmproduzent und Drehbuchautor vielleicht nicht unbedingt. Oder erinnert sich noch jemand an „Timerider. The Adventures Of Lyle Swann“, zu dem er auch den Soundtrack schrieb, oder an „Repro Man“ mit Harry Dean Stanton und Emilio Estevez? Nein?

Bei den Reunion-Tourneen der Monkees in den Achtzigern hatte Nez zwar einige Gastauftritte, doch die Ex-Kollegen, die sich nur über Wasser halten konnten, wenn sie wieder in die alten Rollen schlüpften, blieben ihm fremd. Als Künstler trat er erst Anfang der Neunziger wieder in Erscheinung. Da erschien „Tropical Campfires“, ein kühler Cocktail aus Calypso, Bar Jazz und Country, der den Mitt-7oer-Nesmith-Sound erst zur vollen Blüte führte. Auch sein frühes Multimediakonzept „The Prismf setzte er mit „The Garden“ fort und erhielt sogar eine Grammy-Nominierung. ,“The Prisori wurde in den Siebzigern von mehreren Magazinen als das scheußlichste Konzeptalbum aller Zeiten bezeichnet. Das hat meinen Ehrgeiz geweckt.“

Die scheußlichste Monkees-Platte stand da noch aus. Zum 30-jährigen Bandjubiläum ließ sich auch Nesmith zu einer Monkees-Reunion überreden. Das so entstandene Album „Justus“ lässt sich am besten als Melodie Rock beschreiben und am allerbesten gleich vergessen. Es gab sogar ein TV-Special und die erste gemeinsame Tour nach 28 Jahren. Für Nesmith war die Konzertreise allerdings nach den ersten Shows in Großbritannien schon zuende. Er habe nichts mehr gemeinsam gehabt mit den anderen Monkees sagt er. „Da kam auf kreativer Ebene nichts zu rück. Außerdem habe mich mehr für andere Sachen interessiert.“

Etwa für sein neues Hobby, die Schriftstellerei. Wieder ganz Pionier der Neuen Medien schrieb Nesmith 1997 im Internet an seinem ersten Roman. User konnten bei der Entstehung von „The Long Sandy Hair Of Neftoon Zamora“ online dabei sein und sich Videos, Fotos und Kartenmaterial zum Projekt ansehen. Das war übrigens ein Jahr vor Rainald Goetz‘ Onlinetagebuch. Später erschien die Geschichte auch in der aus Nesmiths Sicht vermutlich längst überholten Buchform – allerdings um die interessanten autobiografischen Passagen gekürzt.

Die Online-Welt war Ende der Neunziger Nesmiths neue Leidenschaft, und seine Internet-Heimat www. videoranch.com nahm erste Formen an. Dort konnte man nicht nur im virtuellen Raum Live-Musik hören, sondern bald auch den gesamten Nesmith-Katalog downloaden. Von iTunes sprach da noch niemand. 2005 erschien dann sein erstes Download-Only-Album „Rays“, eine düstere Soundcollage aus Fusion-Jazz, Country und Score-Music mit Lambchops Kurt Wagner als Gastsänger. „Das was wir Pop-Song nennen, verändert sich ständig“, erklärt Nesmith. „Es ist heute nicht das, was es früher einmal war, und wird morgen schon wieder anders sein. Das ist keine festgelegte Form, jeder Musiker fügt etwas hinzu, erschließt ein neues Gebiet. Ich arbeite heute in den neuen sonischen Landschaften der Elektronik. Die Möglichkeiten sind gewaltig. Und meine Songs passen ganz natürlich in diese neuen Formen.“

Auf dem Cover des mittlerweile auch physisch vorliegenden „Rays“ist ein Cartoon abgedruckt. Man sieht Nesmith in verschiedenen Phasen seines Lebens durch die geschäftige Welt rasen-„desperatelysearchingfor satisfaction“. Im letzten Bild sitzt ein älterer, grauhaariger Herr mit entspanntem Gesichtsaudruck in einem paradiesischen Garten und denkt: „Suddenly Im not as hungry anymore“. „Diese Angst, unbefriedigt zu sein, hat mich sicher lange angetrieben“, erklärt er den Motor seines unermüdlichen Entdeckergeistes. „Das hat aber nicht unbedingt was mit Kreativität zu tun. Die fließt an einem anderen Ort, von einer Art Quelle ewiger Ideen. Ich hatte noch nie Angst, dass sie versiegt und bin immer noch auf der Spur interessanter und stimulierender Musik und Gedanken.“ Und die findet derunruhige Geist, der sich neben den künstlerischen vor allem für die gesellschaftspolitischen Dimensionen neuer Medien interessiert hat, immer noch vor allem im Internet. „Ich denke, wir stehen gerade erst am Anfang, den sozialen Aspekt von Musik zu verstehen. Ich habe ein Buch der Kultursoziologin Eiko Ikegami gelesen, in dem sie beschreibt, wie die moderne Gesellschaft Japans aus den Künsten entstand ist und wie sich Gemeinschaften über ästhetische Vorlieben formierten. Kunst hat also nicht nur einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert, sie ist grundlegend fü r Gesel 1schatten. Musik erlaubt mir heute, über das Internet mit einer Gemeinschaft, die über alle Grenzen hinaus existiert, in Verbindung zu treten – niemand kann das unterdrücken oder stoppen.“

Auch jenseits der Musik setzt sich Nesmith als Treuhänder der Gihon Foundation für gesellschaftliche Belange ein. Seine Mutter hatte die Stiftung kurz vor ihrem Tod 1980 zur „Verfolgung unternehmerischer Wohltätigkeit“ gegründet. In den Neunzigern rief Nesmith den „Council Of Ideas“ ins Leben, bei dem sich anerkannte Wissenschaftler und Künstler im Namen der Stiftung zum Gespräch über aktuelle gesellschaftliche Themen treffen. „Wir bringen Denker aus verschiedenen Disziplinen zusammen und ermutigen sie, sich über globale Probleme auszutauschen und Gemeinsamkeiten zu finden“, erklärt er.

Ob die dort geladenen Nobel- und Pul itzer-Preisträger wussten, dass ihnen der Typ mit der grü nen Pudelmütze aus „The Monkees“ gegenüber sitzt?

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