Mit Melancholie und Marzipan

Ganze vier Jahre brauchten Bitanniens neue Darlings oan den ersten Gehversuchen in Glasgow bisauf die Titelseiten der Gazetten in London.

Die Parallelen zu Oasis sind so zufällig wie frappierend. Beide, Noel Gallagher und Francis Healy, verdienten sich ihre ersten Sporen als Songwriter in Bands, die nach Beatles-Tunes benannt waren. Noels hieß Rain, die von Fran Glass Onion. Während Noel Oasis, die Band von Bruder Liam, usurpierte und fürderhin befehligte, reorganisierte Fran, lange Haare, Mittelscheitel, in Glasgow anfangs der 90er Jahre seine ganz eigene kleine Combo. Gitarrist Andy Dunlop und Drummer Neil Primrose wurden dank instrumentaler Potenz und persönlicher Sympathie in die neue Formation übernommen, alle anderen wurden gegangen. Zum Bassisten erkor Fran Healy seinen alten Kumpel Dougie Payne. Der zierte sich eine Weile, meinte gute Argumente dafür zu haben, nicht in Healys hoffnungsfroher Kapelle mitzutun. Eines davon war, dass er noch nie einen Bass in den Händen gehalten hatte. Was soll sein, sagte Healy zum Freund, alle großen Bands hatten zu Beginn Anfänger und Adepten an Bord. Im Übrigen solle Dougie ja nicht den Musiker mimen, sondern den Bass halten. Payne probierte zwei Wochen in seiner Kammer, erkannte, dass das Zupfen dicker Saiten kein Mysterium war, und durfte künftig im Pass die Berufsbezeichnung „Musikant“ führen.

Begonnen hatte die Freundschaft der beiden in der Glasgow School Of Arts, wo auch Andy Kunst studierte. Neil, gelernter Computer-Bedienen arbeitete seinerzeit aushilfsweise als Schenk der Horseshoe Bar, keiner also hatte eine Karriere oder sonstige Verpflichtungen. Beste Vorausssetzungen für ein Abenteuer im Dschungel des Music-Biz.

Fran nannte die neue Band Travis, nach dem reumütigen, todtraurigen, liebeskranken Helden im Wim-Wenders-Film „Paris, Texas“. Fran hatte auch eine Reihe trefflicher Songs geschrieben, die, wie er glaubte, die Welt brauchte. Das beste dieser Lieder, da waren sich die vier Freunde einig, war „All I Want To Do Is Fuck“, ein lüsterner, juveniler, unsterblicher Highlander von einem Song, als Single sicher ein Traum. Den zu verwirklichen, ging Fran seine geliebte Mom um Geld an. Wie der Song denn heiße, begehrte sie zu erfahren. Ahhhm, sagte Franny, „All I Want To Do Is… ääähhhhm… Rock“.

Die 600 Pfund, Marion Healys Ersparnisse, reichten für die Aufnahmen von drei Songs und die Pressung von 750 Exemplaren einer lOinch, von den Jungs so stolz empfangen, dass es sie hart ankam, sich wieder von ihnen zu trennen.

Gut, dass sie es dann doch übers Herz brachten, denn so gelangten ein paar davon in die Schreibstuben von London und Berlin, wo darob Kritiker ins Schwärmen gerieten. Und desgleichen, weitaus wichtiger, ein Mann, der Millionen besaß, die Plattenfirma Go!Discs geleitet hatte und sich anschickte, ein neues Label zu gründen. Andy McDonald war sein Name, und er erkor Travis, inzwischen in London ansässig, zum Flaggschiff seines Independiente Records. Wir schreiben Anfang 1997, und die Entwicklungen begannen sich zu überschlagen.

McDonald schickte das Quartett nach Bearsville bei Woodstock im Staate New York. Zu Steve Lillywhite, der dort das erste Album produzieren sollte. Aber bitte nicht zu glatt, baten Travis, die Lillywhite ob seiner Arbeit für die La’s so sehr schätzten wie sie ihn wegen seiner Untaten für Big Country fürchteten. In 4 Tagen wurden 14 Tracks auf Tape gebannt, und das Resultat konnte sich hören lassen, erwies es sich doch klanglich als Mittelweg zwischen Attacke und Diplomatie. „Good Feeling“ betitelt und randvoll mit schottischem White-Boy-Soul in hochattraktiver Pop-Verpackung, machte die LP nicht nur ein bemerkenswertes Entree in der UK-Top-Ten, sondern rief auch ein eher geteiltes Echo in der Pop-Publizistik hervor. Die Regierungszeit des Britpop ging zu Ende, mancher oppositionelle Schreiber kennzeichnete „Good Feeling“ als feines Modell einer kriselnden Marke.

Anderswo herrschte helle Begeisterung. Die Gebrüder Gallagher zeigten sich so angetan von der Platte (Noel: „It’s top“) und speziell von Healys Songs (Liam: „They’re ace“), dass sie Travis einluden, mit ihnen zu touren. Der, „Melody Maker“ feierte die Konzerte als „furioses Finale einer untergehenden Epoche“, doch für Travis markierte der Triumphzug nur das Ende einer Etappe.

Es folgte mit „The Man Who“ eine, wie könnte es anders sein, reifere Platte mit Songs aus Melancholie und Marzipan. Und eine Erfolgsgeschichte, deren Ende noch nicht abzusehen ist 15 Monate nach seiner Veröffentlichung hält sich das Album noch immer eisern in der Top Ten. Jeder zehnte britische Haushalt besitzt bereits ein Exemplar. Und die anfängliche Skepsis der meisten Medien, die es längst verlernt haben, musikalische Phänomene zu deuten, solange sie nicht als Image-Gepäck daherkommen, ist inzwischen ins Gegenteil umgeschlagen.

Travis: The men who won.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates