„Bilder um 11“ – NORMAN SPINRAD rechnet mit dem Fernsehen ab.

Mit seinem jüngsten Opus "Bilder um 11" rechnet der US-Autor NORMAN SPINRAD mit dem Fernsehen ab. TV-Machern dürfte seine "Bettlektüre" Alpträume bescheren

Guten Abend, meine Damen und Herren. Topmeldung des heutigen Tages ist der Überfall einer terroristischen Gruppe mit der Bezeichnung ,Grüne Armee Kommando‘ auf den Sender KLAX-TV in Los Angeles. Soweit bekannt, werden die Terroristen von einem Deutschen angeführt: dem Historiker Horst Klingermann. Er gilt als Mitinitiator der Leipziger Montags-Demonstrationen.

Die schwerbewaflhete Gruppe hat den Fernsehsender besetzt und droht, sich und ihre Geiseln in die Luft zu sprengen. Mit der Aktion will sie den geplanten Bau von mehreren Kernkraftwerken in einer der Erdbeben-gefährdetsten Regionen Kaliforniens verhindern. Spezialeinheiten der Polizei haben das Gebäude inzwischen umstellt – Bleiben Sie dran! Bilder um 11!“

So etwa müßte im Fernsehen klingen, was uns der heute in Paris lebende Amerikaner Norman Spinrad nun in Form eines 669-Seiten-Wälzers auf den Nachttisch schmettert.

Spinrad?

Der eine oder andere erinnert sich vielleicht ja noch an „Der stählerne Traum“, Spinrads erste deutsche Veröffentlichung Anfang der Achtziger. Dieser Roman, eine Parallelwelt-Story, war eine gallige Abrechnung gewesen mit den faschistischen Elementen in Science-fiction und Fantasy. Spinrad beschrieb einen Adolf Hitler, der 1919 in die USA auswandert und sich dort als Verfasser von abgrundschlechten Fantasy-Romanen durchschlägt. In Werken wie „Lord of the Swastika“ oder „Triumph des Willens“ lebt er seinen – hier übrigens sexual-pathologisch erklärten – Größenwahn aus. Das Entlarvende daran: Diese Allmachts-Phantasien des verhinderten „Führers“ enthielten Elemente aus der ganz realen Geschichte des „Dritten Reiches“ und ähnelten verblüffend jenem Quatsch, der uns ab „Conan, der Barbar 1 oder „Kampfstern Galaktica“ hinlänglich bekannt ist Spinrad hatte eines der Machwerke seines fiktiven Hitler zu dem Mittelpunkt des Buches gemacht und mit eindeutigen Kommentaren versehen. Die Welt verstand. Die Godesberger „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ aber verstand nicht Sie beschuldigte den linksintellektuellen New Tlbrker Juden gar, er „glorifiziere das Nazi-Regime“. Seine Satire (inzwischen vergriffen – Red.) landete ’82 auf dem Index. Fünf Jahre mußte der deutsche Herausgeber prozessieren, bis das Bundesverwaltungsgericht den peinlichen Fehler endlich korrigierte.

Unter dem Titel „Bilder um 11“ nimmt sich Spinrad nun das Fernsehen vor. Seine Ökofanatiker wollen Öffentlichkeit für ihr Anliegen und okkupieren nicht nur den Sender, sondern auch dessen Programm. Doch ihre Vorstellung, das Fernsehen kontrollieren zu können, erweist sich als Irrtum. Mit grimmigem Humor schildert Spinrad nun, wie das Medium die Message der Terroristen korrumpiert – wie es sie umformt für jene emotionale Vereinnahmung, die aus uns Zuschauern allabendlich erstarrte Zombies mit bläulich leuchtenden Gesichtern macht Doch damit nicht genug: Als die politisch Verantwortlichen den Sender ohne Rücksicht auf Verluste stürmen lassen wollen, da zündet Spinrad die nächste Stufe: Denn es kommt zu einer Allianz zwischen Geiselnehmern und Geiseln. Mit Fernsehsendungen voller Schmalz, Mief und Schnief („Meet the Commando!“) kämpfen die Belagerten gemeinsam um ihr Leben. Und haben auf Anhieb traumhafte Einschaltquoten! Sogar das ZDF im fernen Germany bedient sich.

Nur geraten die, übrigens immer sympathischer wirkenden, ökofanatiker dabei immer tiefer in die Zwänge der Massenkommunikation. Nicht der achttägige Nervenkrieg mit diversen Geheimdiensten, dem Weißen Haus und schießwütigen Belagerern kocht sie am En-de dann weich, sondern ein ausgebuffter Hollywood-Agent – und die Networks.

Ergebnis: Der un-telegene Teil der Terroristen-Truppe wird in den Selbstmord vor laufenden Kameras getrieben. Da das Fernsehen inzwisehen ihre Werte längst verwurstet hat, bleibt ihnen nur noch, sich in die Luft sprengen, um damit wenigstens einen kläglichen Rest an Glaubwürdigkeit zu demonstrieren.

Für den telegenen Teil der Terroristen gibt es dagegen ein Happy End. Ihnen winkt (natürlich nur, solange die Quoten stimmen!) eine allwöchentlich und landesweit ausgestrahlte „Grüne Armee Kommando-Fernsehshow“ mit der Option auf einen abendfüllenden-Spielfilm.

Viel zynischer – und entlarvender – geht’s kaum. „Bilder um 11“ sei deshalb besonders TV-Machern ans kalte Herz gelegt – obwohl, wie gesagt: 669 Seiten! Doch nur keine Bange, das liest sich spannend, ist fintenreich und äußerst kompetent geschrieben, teilweise sogar wie das Drehbuch einer TV-Produktion. Und genau da lauert dann der Horror. Denn der Leser ertappt sich dabei, wie er das Geschehen automatisch in die sattsam bekannten Bilder umsetzt Die lebenslange Konditionierung wird sichtbar. In Spinrads Versuchsanordnung besitzt sie sogar die Macht, mit selbstmörderischem Elan vorgetragenene Ideale zu unterwandern. Sein Kamera-Spiel wird damit zu einem Lehrstück über die Mechanismen einer weltweiten Bewußtseins-Verschmutzung, die sich als „Free-TV“ inzwischen dem Stadium der Lobotomie nähert Übertreibt Spinrad? – Tatsache ist: Der Durchschnitts-Deutsche verliert täglich drei Stunden seiner Freizeit vor dem Fernseher. Empirisch belegt ist auch, daß unser politisches Interesse von 1955 bis 1991 ständig wuchs und seit der Einfuhrung des Privatfernsehens im Sinken begriffen ist.

Der damals losgetretene Unterhaltungswahn schaudert inzwischen sogar jene, die für den ganzen Schlamassel verantwortlich sind: „Ich habe zehn Jahre für die Einführung des Privatfunks gekämpft“, stöhnte im vergangenen Jahr ausgerechnet der sonst meist markige CDU-Innenminister Manfred Kanther: „Ich habe mir nicht vorgestellt, daß so ein erbärmlicher Schund über die Kanäle geht. Es muß möglich sein, wenigstens sozialschädliche Programme zu streichen“.

Aber wer wollte das durchsetzen? Derartige Politiker? Der Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer befürchtet angesichts der „Explosion der Bilder“ schon seit längerem, daß „die Demokratie nicht überleben wird“.

„Bilder um 11“ erschien in den USA nur als Kleinstauflage ohne Werbung – und wurde folglich ein kompletter Mißerfolg. Die „New York Times“ lobte zwar: „glänzend geschrieben“, doch von US-Verlagen wird Spinrad seither ignoriert. Denn die großen US-Buchhandels-Ketten nehmen keine Bücher mehr ins Regal, deren Verfasser zuvor einen Flop abgeliefert hat. Inhalt, literarische Qualität oder Renommee eines Verlags spielen da keine Rolle. Was zählt, ist nur der zuletzt erzielte Umsatz.

Sein neuestes Opus „He Walked Among Us“ bietet Spinrad daher nun im Internet an – für nur einen Dollar Vorschuß. Der Käufer muß jedoch vor dem Erwerb beweisen, daß er das Werk angemessen im US-Buchhandel plazieren kann. (http://ourworld.compuservexom/homepage/normanspinrad/ dollar.htm). Obwohl Spinrad dieses Manuskript für das bislang beste seiner etwa 30 Bücher hält, hat sich noch niemand bei ihm gemeldet.

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