Moderige Körperwelten

Die amerikanischen "CSI"-Serien begeistern derart viele Menschen, dass nun in "Post Mortem" auch deutsche Pathologen, Forensiker und Profiler werkeln

Hannes Jaenicke hat ein Kommunikationsproblem. „Nun komm schon, erzähl mir was“, sagt er, aber niemand antwortet. Es mag daran liegen, dass das Objekt seiner Begehrlichkeit nicht gerade vor Leben strotzt. Im Prinzip kann es das auch nicht, denn es ist tot, ziemlich tot sogar. Es liegt auf einer Bahre in der Gerichtsmedizin und harrt den Feinheiten der Obduktion. Fein säuberlich werden da seine inneren Werte beurteilt, was natürlich nur geht, wenn da ein Rankommen ist. Das verschaffen sich Jaenicke und Co. mit einer Art Geflügelschere, die sie ins schlaffe Fleisch treiben und dabei meist ein bisschen aussehen, als zerlegten sie gerade mitten in der Ausstellung Körperwelten eine Weihnachtsgans. Pathologen am Werk eben.

Keine normalen allerdings, sondern ganz besondere: Fernsehpathologen, also solche, die sich nicht abspeisen lassen dürfen mit einem kargen Leichentalk, sondern rausgehen und sich auf der Jagd nach Bösewichten als Profiler versuchen müssen. Sie lesen in Tatorten wie andere in einem Buch, wobei es durchaus Literaten gibt und Legastheniker. Jaenicke darf eher Zu Letztgenannten gezählt werden, denn der von ihm verkörperte Gerichtsmediziner Daniel Koch in der erfolgreichen RTL-Serie „Post Mortem“ versucht sich zwar wacker in der Aufarbeitung des rasch Verwesenden, agiert dabei aber derart überernst und pathetisch, dass dagegen jeder Totengräber als Witzbold durchgehen muss. „Post Mortem“ ist der jüngste Versuch in der Reihe der vom Fernsehen ausgesandten investigativen Leichenbeschauer, ohne die heutzutage kein Krimi mehr auskommt. Mindestens einmal müssen die Ermittler in die Pathologie, wo sie sich von einem Arzt aufklären lassen, was der Tote vorher zu Abend gegessen hat, wie sein letzter Lottotipp lautete und mit wem er wie und wie oft Sex hatte. Früher kamen solche Auskünfte stets von schwer skurrilen Gestalten, die meist nicht viel anders aussahen als die Körper, die sie bearbeiteten. Oft wurden sie vom Drehbuch als alkoholkranke Psychopathen dargestellt, die aus dem Beruf einer Passion gemacht hatten und nicht selten auch noch Österreicher zu sein hatten. Harte Schicksale also.

Ganz anders kommen die Pathologen heute daher. Heute sind sie hoch qualifizierte und schwer spezialisierte Top-Wissenschaftler. An die Leichen dürfen, zumindest im Fernsehen, nur die Besten. Im Kölner „Tatort“ ist es mit Jo Bausch gar ein leibhaftiger Gefängnisarzt, der den Leichenheini spielt, also jemand, der das, was er da vorgibt, aus eigenen Anschauung kennt. Im Münsteraner „Tatort“ geht der von Jan Josef Liefers gespielte und etwas sehr überkandidelt angelegte professorale Knochenbegutachter trotz seiner akademischen Weihen praktischerweise immer gleich mit dem Kommissar auf die Verbrecherjagd.

Die hohe Kunst der Fernsehpathologie wird derzeit indes nicht in deutschen Produktionen erreicht. Das liefern besser die amerikanischen Freunde. So sind es vor allem die Ableger der „CSI“-Serie, die hierzulande die höchsten Aufmerksamkeitswerte einfahren. Ob in Las Vegas, Miami oder New York, überall lässt Starproduzent Jerry Bruckheimer seine Tatort-Experten anrücken und mit hohem filmischen Aufwand Verbrechen rekonstruieren.

So erfolgreich liefen die ersten „CSI“-Folgen beim Minisender Vox, dass die Konzernschwester RTL schnell Begehrlichkeit zeigte und sich die Reihen, die in Las Vegas und Miami spielen, flugs ins eigene Programm zerrte. Bei Vox verblieb nur „CSI:NY“.

Der Erfolg dieser Filme erklärt sich vor allem aus der herausragenden Produktion.

So bieten sie Bilder von ungeheurer Dichte, Bilder, die beim ersten Sehen ein Gefühl hinterlassen, das vom Gehirn gar nicht komplett seziert werden kann. Erst wenn man mal eine Szene mit dem Pause-Knopf einfriert, entdeckt man, wie durchkomponiert die einzelnen Bilder sind. Im Prinzip verhält es sich mit den „CSI“-Aufnahmen wie mit einem guten Steely Dan-Song: Man kann ihn direkt mitsummen, kapiert die Komplexität der darunter liegenden Komposition und Produktion aber oft erst nach ausführlicher Analyse.

Da macht es dann auch gar nichts, wenn die Menschen von der Crime-Scene-Investigation-Truppe gelegentlich arg geschwollen daherreden und Pathos kübelweise vergießen. Die Bilder sprechen eine eigene Sprache, und genau die verstehen die Zuschauer, zumal die Drehbücher stets so angelegt sind, dass sie den Zuschauer zwar mit jeder Menge unnützen Fachwissens überschütten, dieses aber derart plausibel strukturieren, dass es selbst dem medizinischen Laien plausibel erscheint. Trotzdem wahren die meisten Filme streng die Diskretion, die nötig ist, um die ganze Leichensache auch dem Couch-Pathologen daheim schmackhaft zu machen.

Ganz anders verfahren da die Aufschneider von „Post Mortem“. Wenn die in Großaufnahme an den mumifizierten Skeletten herumhantieren, sind Würgereize nicht immer auszuschließen. Und wenn sie pathetisch werden, dann wird die Wortsoße selten aufgefangen von packenden Bildern, dann ist es oft einfach nur peinlich. Trotzdem glaubt man auch hier dazuzulernen, wenn die Pathologen aus dem Obduktions-Nähkästchen plaudern, wenn sie über Leichenliegezeiten und Fäulnis räsonieren, wenn unterm Mikroskop sich windende Maden zur Aussage über die wahre Tatzeit genötigt werden. Was unappetitlich klingt, sieht aber leider oft auch so aus. Insofern eignen sich die Legenden aus dem Leichenschauhaus hervorragend als Diät-Unterstützung. Wer so etwas gesehen hat, mag nichts mehr alles essen.

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