Nachkriegsmythos: Sönke Wotrmann hat episch „Das Wunder von Bern“ verfilmt; Musikbücher von Birgit Fuß

Im Fernsehen liefen die Werbespots schon vor Wochen, doch der Zeitpunkt war perfekt Zwischen den EM-Qualifikationsspielen der deutschen Nationalmannschaft, jenem Unentschieden auf Island und Arbeitssieg gegen die Schotten Anfang September, tönte plötzlich der Jubel eines immer wieder zitierten und herbeigesehnten Gefühls. „Tor, Tor, Tor, Tor! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!“ Treffender, wenn auch ungewollt, hätte man Rudi Völlers beleidigte Wutrede kaum aushebeln können. Damals, 1954, war es eben doch besser!

Nun hat Sönke Wortmann diesen Mythos verfilmt. „Das Wunder von Bern“, als die Deutschen 3:2 gegen den Favoriten Ungarn gewannen und „aus dieser sportlichen Sensation ein Wirtschaftswunder schöpften“, strickt auch Wortmann diese Legende weiter. 2004 steht das 50-jährigeJubiläum an und die Europameisterschaft, Deutschland wird sich wohl noch immer in der Rezession befinden und mancher Politiker auf unsere Auswahlkicker hoffen.

Wortmann, 1959 geboren, ist in etwa der Berti Vogts des deutschen Kinos. Anfang der Neunziger hat er mit einigen Regiekollegen die selbstgenügsamen Autorenfilmer der Siebziger abgelöst und 1994 mit „Der bewegte Mann“ den bis dahin erfolgreichsten deutschen Nachkriegsfilm gedreht. Die Gurus der Filmkritik aber spöttelten nur über ihn und „Das Superweib“, und in seinen Reaktionen daraufist Wortmann auch ein wenig wie Völler. Er schimpfte über die Meinungsmache, wie besserwisserisch Filme totgeschrieben und der deutsche Film pauschal mies gemacht würde, und zog sich nach seinen Flops „Der Campus“ und „St. Pauli Nacht“ schmollend ins gelobte Kinoland Amerika zurück, wo ja alles besser sei.

Dort drehte Wortmann dann einen Film, der fast schon folgerichtig „Der Himmel von Hollywood“ heißen musste, eigentlich aber davon handelt, was für ein Scheißdreck dieser Ort doch ist. Zwei alternde Schauspieler, die nicht mehr gefragt sind, versuchen eine Gangsterbande abzuzocken und scheitern dabei ebenso wie Wortmann. An „The Hollywood Sign“, so der Originaltitel des vom Schriftsteller Leon de Winter produzierten Filmes, stimmt gar nichts, nicht mal die darstellerische Leistung von Rod Steiger und Burt Reynolds. Seine größte Niederlage wurde damit besiegelt, dass der deutsche Verleih Senator den Film hier zu Lande gar nicht ins Kino brachte. Über die Gründe dafür mag Wortmann sich nicht äußern, da Senator auch „Das Wunder von Bern“ herausbringt.

Radikalität ist ihm fremd, nicht nur, wenn man es an seinen Filmen misst. Misstrauisch und verkniffen wirkt Wortmann bei Interviews. Er spricht zögerlich mit gedämpfter Stimme und scheint noch unentschlossen, selbst wenn sein Urteil eindeutig ist. Er windet sich bei Kritik, nimmt sie aber dennoch sehr, sehr ernst. Bereits bei „Mr. Bluesman“ gestand er unerwartet Fehler ein. „Das Superweib“ bezeichnet er als „Film von der Stange“ und ist gerade deshalb mit den Publikumszahlen „nicht zufrieden. Wenn man schon große Kompromisse eingeht, will man auch mehr als 2,4 Millionen Zuschauer“. Und da er „Der Campus“ als Drama begreift, andere darin aber eine Komödie sehen, „muss ich wohl etwas falsch gemacht haben“. Der Misserfolg von „St. Pauli Nacht“ hat ihn dagegen richtig getroffen. „Ich war immer überzeugt, dass sich Qualität herumspricht, und von intellektueller Seite hat es ja viel Zuspruch gegeben.“ Man merkt, dass es in ihm rumort, er eine Erklärung, einen Weg sucht – und wohl auch noch sich selbst als Regisseur.

Bei „Das Wunder von Bern“ hat er jedenfalls nichts falsch gemacht. Er hält unterhaltsam die Balance aus Fußballkomödie und Familiendrama, Sepp Herbergers Aphorismen, Anekdoten, trefflich umgesetzten Spielszenen und einer klugen Hommage an die Stärke der damaligen Frauen. Über mangelnde Leidenschaft bei den heute satten Millionären wettert er nicht. „Turek hätte das viele Geld auch genommen und nicht ständig seine Leistung abrufen können. Für ihn waren schon 20 Mark mehr Luxus.“

„Internationale Pilzvergiftung“

(Bear Family, 35 Euro) von Bernd Matheja zeigt „Die Beatles im Spiegel der deutschen Presse 1963 -1967″. Und was es da alles zu sehen gibt – natürlich äußerst aufwändig, mit reproduzierten (und teilweise schön vergilbten) Artikeln und etlichen Preziosen aus Privatarchiven. Es ist lustig bis erschreckend, welcher Blödsinn anfangs über diese vier geschrieben wurde und wie verzweifelt die Blattmacher damals versuchten, die seltsame Faszination all der Teenager zu verstehen.

Das „Hamburger Abendblatt“ hat’s zuerst gemerkt: Am 11.11.1963 stellte die Zeitung fest, dass die Beatles zwar aus Liverpool kommen, aber eigentlich „made in Hamburg“ sind – Grund genug, die Musik zu loben, auch wenn man nicht ganz einsah, warum sich sogar die „Intelligenzia“ vor den Fab Four verbeugte. Ist doch nur Lärm: „Sie singen zu drei Gitarren und einem Satz von Trommeln, die elektronisch derart verstärkt worden sind, dass man entweder stocktaub, uralt, völlig verwittert oder tot sein musste, wenn man sie nicht hören könnte.“

Die einen hatten Angst vor einer „Käferplage“ („Mendener Zeitung“) oder „Pilzvergiftung“ („TV Hören und Sehen“), während die „FAZ“ im Januar ’64 noch unentschlossen war: „Musik oder Veitstanz?“. Keine neun Monate später war „Bild“ wieder mal am allerschausten: „Die Beatles brauchen nie mehr zu arbeiten“, weissagten sie angesichts 85 verkaufter Schallplatten. Doch der „Kölner Stadtanzeiger“ warnte vor den Folgen: „Brave Mädchen werden zu Hyänen“. Dazwischen das Übliche: Angebliche Kinder meldeten sich, die Frisuren wurden analysiert, und manchmal ging es auch um die Musik.

Nebenbei findet man viele wieder, die heute aus Feuilleton oder Boulevard kaum wegzudenken sind: Urs Jenny rezensiert den Film „Hi-Hi-Hilfe“ („hinreißend verrückt“), Michael Graeter berichtet vom Polizei-Großeinsatz bei den Konzerten und drängt sich erwartungsgemäß der Band auf (Headline: „Ich massierte Paul McCartneyl“), Hellmuth Karasek wundert sich über das „Gelbe Unterseeboot“, wirft Walter Benjamin mit in die Wagschale und weiß am Schluss seines Sermons auch nicht, ob er „Nowhere Man“ lieben soll oder das „Industrieprodukt“ Beatles ablehnen. Am Ende der „Internationalen Pilzvergiftung“ ist man so schlau wie zuvor, hat aber viel gelacht und sich ein bisschen in diese naive Zeit, als man noch provozieren konnte, indem man halblange Haare trug, zurückgesehnt. Auch wenn man sie gar nicht erlebt hat. Wahrscheinlich gerade dann. 4,5

„Phil Spector – Out Of His Head“

(Omnibus/ Bosworih, ca. 13 Euro) von Richard Williams ist die Neuauflage seiner 1972 erschienenen Biografie – die angeblich schon geplant war, bevor im Februar im Haus des Produzenten die Leiche einer Schauspielerin gefunden wurde. Zu diesem Fall äußert sich Williams auch nur sehr zurückhaltend – so wie die Jahre von 1974 bis 2003 gerade mal 15 Seiten umfassen, die vor allem von den verpassten Chancen handeln: Dion und Leonard Cohen vergrätzt, Celine Dion (allerdings zu Recht) beleidigt, immerhin die Ramones produziert. Am Ende noch die Erkenntnis, was Glück sei: „Good health, bad memory“. Spannender sind freilich die Jahrzehnte vor dem Rückzug, und die beschreibt Williams so lebendig und detailliert, dass es manchmal schmerzt, gleichzeitig aber mit viel Sympathie für das tyrannische Genie. 4,0

„Ozzy Osbourne Talking“

(Schwarzkopf& Schwarzkopf, 14,90 Euro) geht leider nur als unterhaltsame Lektüre durch, wenn man nicht schon ein paar Dutzend Interviews mit dem Lieblings-Madman der Massen gelesen hat. Zum 275. Mal geht es um den abgebissenen Fledermauskopf, um Alkohol und Drogen. Ozzy äußert sich, so gut er gerade kann, zu Groupies, Familie und Black Sabbath, ist manchmal witzig und oft zu simpel gestrickt, aber nie langweilig. 3,0

„Ozzy Osbourne -Fucking Mad“

(Rockbuch, 24,90 Euro) von Carol Clerk erzählt „Die Story zu seinen Songs“, so der Untertitel. Aber freilich ist die Fledermaus wieder dabei, die Liebe zu Sharon und den Kindern, das Rockstar-Dasein. Aber zumindest werden hier wirklich viele Songs, ihre Entstehung und Aussage beschrieben, wenn auch bisweilen eher oberflächlich. Großartige Textanalysen waren bei „Iron Man“ oder „I Don’t Want To Change The World“ auch nicht zu erwarten. 3,0

„Harte Brocken“

(Hannibal, 17,90 Euro)von Tommy Udo seziert die „Brave Nu World. Der Siegeszug des Nu Metal“. Der britische Musikjournalist kennt sich bestens aus im Metier, erklärt das Phänomen aber vielleicht etwas zu ausschweifend, wenn er auch noch Norman Mailers „White Negro“ einflicht. Die Einordnung der einzelnen Bands mag verwirrten Eltern helfen, Nu-Metal-Fans werden freilich darüber streiten, ob Korn, Limp Bizkit und die Deftones tatsächlich die wichtigsten Macher sind. Mit „Muss man gehört haben“-Liste. 2,5

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