Boomt der Rechtsrock?

Nachrichtenmagazine dichten sensationslüstern vom Boom des RECHTSROCK. Dabei ist diese Szene kaum gewachsen, der Vertrieb jedoch raffinierter geworden.

Rechtsrockkonzerte sind familiäre Ereignisse. Man kennt sich. Unbekannte Gesichter werden mißtrauisch begutachtet Spielen braune Rocker auf, ist selten öffentlich geladen, denn die Veranstalter wissen nur zu gut, daß ansonsten staatlich uniformierte Besucher oder gar Antifas schneller und zahlreicher vor Ort wären als die eigentlich erwünschten Gäste. So werden der genaue Ort und manchmal sogar die Namen der Bands erst wenige Tage oder gar Stunden vorher verkündet. Die Anreise gestaltet sich mitunter als abenteuerliches Räuber SC Gendarm-Spiel. Da wird man zunächst zu einem Parkplatz beordert, von dort per Funktelefon zum nächsten Treff der immer noch nicht das Ziel sein muß. Nach mehrstündiger Autorallye, den Blick immer im Rückspiegel aus Angst vor potentiellen Verfolgern, steht man plötzlich statt in der avisierten Disco irgendwo im tiefsten Sachsen auf einem einsamen Feld oder im Hinterzimmer eines dörflichen Gasthauses, das für „Hochzeitsfeierlichkeiten“ angemietet wurde, was die Wirte regelmäßig arg in Erstaunen versetzt, da sich kein Hochzeitspaar zur Entgegennahme der Glückwünsche einfinden will – und die Gäste auch irgendwie komisch aussehen…

Rund 70 solcher Konzerte mit etwa 200 bis 1200 Fans wurden 1996 bundesweit bekannt. Die Gagen für die beteiligten Musiker betrugen bestenfalls ein paar hundert Mark plus Benzinkosten, einer manchmal sogar warmen Mahlzeit und Alkohol bis zum Abwinken. Kein Wunder, daß keine einzige der Bands von ihrer Musik leben kann. Radio- und TV-Sender, öffentlich-rechtliche wie private, boykottieren ihre Musik genauso wie der übliche Handel. So erfolgt der Vertrieb über verschlungene Wege: Szene-eigene Kleinstlabel und Mailorder, rechte Skin- sowie Neonazi-Magazine, bei Konzerten und Partys, über Militariageschäfte und bundesweit rund 30 bis 40 Plattenläden, die auch rechtsradikale Produktionen, meist unter der Ladentheke, im Angebot haben.

Etwa 6000 bis 8000 Fans konsumieren häufiger Rechtsrock, von denen 80 Prozent männlich und im Alter zwischen 14 und 30 Jahre sind. Die Szene ist klein und seit Jahren relativ konstant. Einen „Boom brauner Rocker“ gibt es nicht, auch wenn der „Spiegel“, „Focus“, das ZDF-Magazin „Frontal“ und in deren Gefolge zahlreiche andere Redaktionen ihn mit meist bluttriefenden Zitaten aus grausam schlechten Songs herbeizureden versuchten. Und es spricht viel dafür, daß die Anhängerschar dieser Musik – Markenzeichen: weinerliche Politlyrics voller Selbstmitleid und Pathos zu falsch gestimmten Gitarren – eher schrumpfen als wachsen würde, müßte sie ohne den Begleitchor empörter Aufschreie aus der Erwachsenenwelt konsumiert werden.

Unter den 40000 in Deutschland registrierten Musikgruppen sind knapp 100 braune Schafe mit entsprechend rechtsradikalem Liedgut, Tendenz: gleichbleibend. Wenn der Verfassungsschutz, Haupturheber des Gerüchts vom boomenden Rechtsrock, feststellt, die Zahl der Neonazi-Bands sei von 1994 bis ’96 von 40 auf 55 gestiegen, die Zahl ihrer Konzerte sogar von 20 auf 70, so liegt das daran, daß er früher weniger genau hinsah, von vielen Bands und Konzerten keine Kenntnis hatte. „stern“-Redakteurin Renée Karthee sagt, dem VS seien bereits bei ihren Recherchen 1992 „mehr als 50 rechtsextreme Bands bekannt“ gewesen.

Die Redaktionen, die ihr diesjähriges Sommerloch mit diesem Horrormärchen stopften, wußten das natürlich. Es schien sie nicht weiter zu stören. Schließlich geht es nicht um Fakten, sondern um Einschaltquoten und Auflagen. Da darf man nicht so zimperlich sein. Wenn frecherweise nicht an jeder Ecke Rechtsradikale mit Baseballkeulen auf sensationshungrige Reporter warten, „backt“ man sich eben selber welche. Was heute nicht ist, findet man sicher im Archiv von gestern. „Erstmals ruft Neonazi-Band offen zum Mord an Juden auf“, empörte sich „Focus“ in Ausgabe 30/97 mit fetten Lettern und schob sogleich die scheußlichsten Zeilen des „Blut“-Songs hinterher. Die Geschichte hatte nur einen Schönheitsfehler: Der Text ist nicht von Neonazis, sondern von Originalen aus den 30er Jahren, wurde schon ’92 von der Mannheimer Band Tonstörung vertont und zierte seitdem unzählige Verfassungsschutzberichte. Focus aber verschweigt das. Offensichtlich sollte nicht der Eindruck einer „brandheißen“ Enthüllungsstory durch Fakten gestört werden.

Daß Jugendliche durch derartige sensationslüsterne „Berichte“ gerade erst „heiß“ gemacht werden, wird offenbar zynisch in Kauf genommen. So hatte der „Spiegel“, Vorreiter der Welle, schon im Dezember ’92 über den angeblich „reißenden Absatz“ der Rechtsrocker berichtet und einer Band namens Störkraft plus Manager vier Seiten für ein Interview eingeräumt, das der Band wiederum als Eintrittskarte für mehrere Fernsehtalkshows diente. In den darauffolgenden Monaten verkauften sich die – übrigens längst indizierten – Alben der bis dahin in Schulklassen und Jugendclubs nahezu unbekannten Band über 100 000 mal. Ihr Manager nutzte seinen so gewonnenen Bekanntheitsgrad zum Start seiner Karriere als Rechtsrockverleger, dessen aktuelle Produktpalette wieder im „Spiegel“ (30/97) ausführlich zu bestaunen war. Rechtsrocker wissen, warum sie Interviews geben.

So dumm, wie ihre Lieder klingen, ist die Szene sowieso nicht. Vor allem die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen haben eher einen Professionalisierungsschub ausgelöst. Die Reduzierung der Szene auf gewalttätige „Skinheads“ durch VS und Medien bedient eher populistische Klischees von vorgestern, als daß sie die differenzierte Realität der Szene widerspiegelt Skinheads stellen nur noch ein Drittel der Rechtsrocker, die anderen rekrutieren sich aus dem Punk- oder Heavy Metal-Sektor, treten langhaarig oder im Outfit moderner Jugendkulturen auf, oder sie kommen gar so adrett daher wie der „nationale Barde“ Frank Rennicke, der mit seinen Balladen für schmachtende Herrenmenschenherzen, die musikalisch irgendwo zwischen seinen Vorbildern Reinhard Mey und Hannes Wader angesiedelt sind, eine große, generationsübergreifende Fanschar aufgebaut hat. Rennicke ist auch gleich mit zwei Liedern auf dem Sampler „Deutsche Techno-Attacke“ vertreten, einem Versuch von rechts, aus dem traditionellen Hardrockspektrum auszubrechen und sich aktuellen Jugendstilen zu öffnen. Andere vertonen ihre rassistischen Parolen im HipHop-Sound, komponieren softe Popballaden oder hängen sich an die Schlager-Retrowelle an.

Auch textlich sind die Zeiten ungestümer Hymnen auf Adolf Hitler und Rudolf Hess für die Mehrheit der Szene vorbei. Bandprojekte wie die Zillertaler Türkenjäger sind mit ihrem primitiven Rassismus eher provokative Ausnahmen mit einer kalkulierten Wirkung, subkulturelle Restbestände eines neonazistischen Auslaufmodells. „Moderne“ Rechtsrocker dagegen distanzieren sich routiniert von jeglicher Gewalt, bekennen sich gar zu „Freiheit und Demokratie“. Die Fans wissen das Augenzwinkern dabei schon zu deuten. Statt mit „Ausländer raus!“ (strafbar) wird die Abschiebung „ausländischer Drogenkrimineller“ gefordert. Einwanderer und Flüchtlinge werden nicht mehr in verräterischen NS-Termini als minderwertige Rasse dargestellt, sondern als kriminelle Schmarotzer, die im dicken Mercedes beim Sozialamt vorfahren, den Deutschen Arbeitsplätze, Wohnungen und Frauen rauben. Im Zusammenhang mit dem Trendthema Kindesmißbrauch, dem sich bis heute rund 20 rechte Lieder widmen, wird die Wiedereinführung der Todesstrafe proklamiert – eine Forderung, mit der bekanntlich ja auch brave Bürger in aufgeputschen Zeiten wie diesen konform gehen. Und es gibt kaum eine in Deutschland produzierte Plattenaufhahme, die nicht vor ihrer Veröffentlichung von einem Anwalt abgehört wurde. Was juristisch bedenklich ist, fliegt raus. Oder wird eben im Ausland produziert…

So hat sich die Mehrzahl der deutschen Rechtsrock-Vertriebe längst dem Zugriff der bundesdeutschen Behörden entzogen, indem sie jenseits der Grenzen Postfacher und Lagerräume anmieteten und nun offiziell vor allem in Schweden, Dänemark, Belgien oder auch den USA firmieren. Seitdem auch Presswerke ihre Kunden genauer unter die Lupe nehmen, treten einschlägig bekannte Firmen auch nicht mehr unter ihrem eigenen Namen auf, sondern wickeln ihre Produktionen über mehrere Stationen und Tarnfirmen ab – wie ein derzeit in der rechten Szene kursierendes, offenbar aus verärgerten Musikerkreisen stammendes Dossier über den ältesten deutschen Rechtsrock-Vertrieb Rock-O-Rama enthüllt: Die Matrizen werden produziert bei der renommierten Disc & Cassette Manufacturers AB im schwedischen Bromma, die Pressung erfolgt in Belgien, für den Druck des Covers steht wieder eine andere Firma zur Verfügung. Und als Auftraggeber fungiert auch nicht Rock-O-Rama, sondern eine gewisse „M. Records GmbH“ mit Sitz in Neunkirchen, deren Geschäftsführung einer schon älteren Dame obliegt, die den weltweit größten Vertrieb von Nazischundsound für absolut unpolitisch hält.

Eine Einschätzung, die auch von den zuständigen Behörden gerne verbreitet wird. Während Rock-O-Rama so seit über drei Jahren sehr auffällig mit Samthandschuhen angefaßt werden, richteten sich staatlichen Zugriffe der letzten Zeit gegen kleinere Konkurrenten Rock-O-Ramas. Die Kölner Staatsanwaltschaft stellte erst im Juli ein Ermittlungsverfahren mit der Begründung ein, der Betreiber von Rock-O-Rama habe die Nazi-Insignien im Booklet einer von ihm vertriebenen CD nicht bemerkt, weil die CDs „beim Ankauf bereits in einer Klarsichthülle eingeschweißt“ gewesen seien.

Ein Kavaliersdelikt. Oder eine Familienangelegenheit.

Der Berliner Journalist Klaus Farin, Autor dieses Beitrags, recherchiert seit Anfang der 90er Jahre in dieser Szene. Von 1994 bis 1996 leitete er ein Forschungsprojekt zu dem Themenkomplex „Skinheads & Rechtsrock“. Seine Berichte darüber publiziert im Oktober der Berliner Ch. Links Verlag als Buch unter dem Titel „Die Skins. Mythos und Realität“ (400 Seiten, 38 DM).

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