Nordische Weiten

Die Skandinavier spielen amerikanische Heimatmusik und Britpop manchmal besser (und ernster) als Einheimische

Wer je die Regionen bereist hat, die man Skandinavien nennt (und bevor Michael Moore sich beklagt: Finnland zählen wir hier frech dazu), der weiß, dass dort nicht der Rock’n’Roll wohnt. Trolle, Mittsommerfest, Fiskebollar, unpathetischer Patriotismus und nüchterner Pragmatismus sind im Norden zu Hause. In der Regel wird, wie nicht nur die Pisa-Studie belegt, exzellent Englisch gesprochen.

Nun haben uns die Filme von Aki Kaurismäki gelehrt, dass der Finne sich recht eigentlich die Hucke vollsäuft und den Tango als Ausdruck seines Weltschmerzes verwendet – in Kaurismäkis Helsinki kamen niemals Mobiltelefone vor, wohl aber amerikanische Straßenkreuzer und die Leningrad Cowboys, eine Rockabüly-Truppe mit bizarren Schmalztollen. Am Ende von „Ariel“ schafft es der Held nicht mehr auf das Schiff nach Amerika, und es ertönt als Requiem eine Schlager-Version von „Somewhere Over The Rainbow“.

Schweden wie die Hives und Mando Diao lehren uns, dass man mit internationalen Produzenten fast so gut wichtigheimern kann wie U2. Die Dänen proben mit Düne und Grand Avenue den Aufstand. Die Norweger Bigbang spielen vor den Rolling Stones (in Norwegen). Und in all den nördlichen Ländern überwintern Black-Metal-Troglodyten, Satans-Anbeter und Lebensborn-Knallköpfe, die immer mal wieder Schauriges verbrechen.

Andererseits gibt es in Norwegen, in Stavanger, einen so ostentativen, amüsanten und gescheiten Musiker wie Thomas Dybdahl, der seit einigen Jahren famose Songs schreibt, die an den American Music Club, an Jeff Buckley und Giant Sand erinnern. Mit der Gruppe The National Bank, bei der er singt, macht er nebenbei weitere Platten, die von Americana, Pedal Steel Guitar, Langsamkeit und Schwermut infiziert sind.Sein Landsmann Saint Thomas, der in diesem Jahr starb, -widmete sich ähnlich leidenschaftlich der amerikanischen Folk- und Country-Tradition. Wie auch die Schweden Christian Kjellvander, Nicolai Dunger und Kristofer Aström. Mit Erlend Ropstad machte heuer ein weiteres Songschreiber-Talent auf sich aufmerksam: „Bright Late Nights“ ist eine dieser geheimen Platten, zu denen man immer wieder zurückkehrt, die man Freunden empfiehlt, die einen neugierig machen auf den Künstler, der sie geschaffen hat.

Der Troubadour und Burt-Bacharach-Adept Jens Lekman veröffentlicht auf dem Label Secretly Canadian, ansässig in Bloomington, Indiana, die schönsten, schwelgerischsten Sixties-Pop-Lieder. Und wir sagen es ohne Bedauern: Nachdem der Kollege Gerrit Pohl unentwegt und unnachgiebig das Lob dieses Mannes verkündete, wo immer er etwas zu schreiben und zu sagen hatte, haben wir uns von „Night Falls Over Kortedaia“ überzeugen lassen.

Die junge Schwedin Britta Persson wiederum, eine Musikerin aus dem Umfeld Kristofer Aströms, könnte eine Nachfolgerin der großen, verrückten und leider verschwundenen Stina Nordenstam werden. Jene rätselhafte Sängerin gab erst die fistelnde Elfe, dann die irre Punk-Frau, immer die am Leben verzweifelnde Eremitin und Schattenexistenz. Sie sprach nicht über ihre Musik, sie grübelte in Stockholm vor sich hin, sie empfing niemanden. Dann verstummte sie. Lind das alles war natürlich sehr, sehr nordisch, verschroben, bergmanesk und absolut betörend.

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