Orden der Zensur

Die neue Platte von Ween ist ein einziger Hintethalt. Der Bandname bedeutet „winzig“, und die beiden Mittzwanziger aus New Hope in New Jersey tun so, als backten sie am liebsten kleine Brötchen. Ihre Musik imitiert harmlosen Folk-Rock und smarten Soul. Sie wickeln uns in aparte Melodien ein und in Arrangements, die beim Frühstück nicht stören würden. Schön! Aber da war doch dieser „Parental Advisory“-Sticker auf dem Cover? Diesen Orden aller Zensierten und Mißverstandenen kriegt man nicht mit Mariah-Carey-Lyrik.

Und wirklich: Bei einem Blick auf die Texte öffnet sich das Tor zum Reich der Abscheulichkeiten. Gleich im zweiten Song jammert ein Mädchen, daß an einer Hirnhautentzündung leidet: „Es tut so weh, Mami… Werde ich sterben?“ Der „HIV-Song“ und der Ratschlag „Don’t Shit Where You Eat“ sind auch nicht gerade der Stoff, aus dem Corporate Rock ist. Schon drängt sich der Verdacht auf, Ween wollten auf „Chocolate And Cheese“ etwas so überaus Abgeschmacktes tun wie „provozieren“ oder, noch schlimmer, gar „Satire“ herstellen.

Im Gespräch mit Dean Ween, der in das Einwohner-Register von New Hope unter dem Namen Mickey Melchiondo eingetragen ist, erweisen sich solche Vermutungen als haltlos. Er ist ein zurückhaltender Slacker-Typ aus der Baureihe „Lemonheads“, dabei auskunftsfreudig und höflich. Ironie findet er blöd, und die Musik von Ween betrachtet er als „absolut ehrlich“: „Diese Platte ist ein bißchen wie ein Tagebuch. Sie drückt aus, was uns zu der Zeit, in der sie entstand, bewegt hat.“ Kleine Mädchen mit Hirnhautentzündung sind aber ein komisches Alltagsthema. Und all diese… Beschimpfungen? „Na ja“, räuspert sich Mickey, „manches hat auch nur mit Worten zu tun. Oder mit Ängsten. Wir bekämpfen sie, indem wir darüber singen.“ Am meisten haßt er es, wenn Ween für eine Comedy-Band gehalten und mit They Might Be Giants verglichen werden. „Ich verabscheue diese Gruppe wirklich und fasse den Vergleich als Beleidigung auf.“ Solche Aussagen trägt Mickey im gleichen freundlichem Ton vor, in dem er sonst singt. Das Form-Inhalt-Problem haben er und sein Freund Aaron Freeman („Geen“) auf denkbar geschickte Art gelöst, indem alles erstmal furchtbar nett klingt. Dann hören die Leute gern zu und kriegen das gröbste Zeug um die Ohren gehauen. Um es mit Mickeys unübersetzbaren Worten zu sagen: „It fucks up people’s heads.“ Ein klasse Trick, mit dem früher schon Frank Zappa gute Erfahrungen gemacht hat.

Bei den Dreharbeiten zu „Natural Born Killers“ benutzte Oliver Stone Ween-Songs, um die Stimmung am Drehort anzuheizen. Hauptdarsteller Woody Harrelson soll daraufhin gestreikt haben: Er könne bei diesen kranken Klängen nicht arbeiten.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates