Paganini der Abschweifungen

„Lindenstraße“-Gucker kennen ihn als zauselbärtigen Clochard, die literarisch interessierte Öffentlichkeit feiert ihn als eigenwilligen Nachdichter und brummigen Alleinunterhalter auf Lesereise. Eine Visite mit Kuchenstücken bei Harry Rowohlt in dessen Hamburger Klause.

Als sich die Aufregung um seinen 60. Geburtstag langsam etwas zu legen schien, rief ich Harry Rowohlt an, um ihm mit einem weiteren Interview endgültig den Rest zu geben. Er nahm nicht ab. Also sprach ich liebreizende, tändelnde, buhlende Pforte auf seinen AB und hoffte auf einen Rückruf Der kam jäh.

„Harry Rowooohlt!“ „Oh, hallo Harry.-“ „Tach – aber…, ääh… sag mal, Frank, sitzt du eigentlich in einem Marmeladeneimer?“

Was antwortet man darauf? Er sagte dann auch ab. Seine Mutter sei gestern gestorben, er überdies fix und fertig von dem medialen Aberwitz anläßlich seines Jubiläums. Er möge nicht mehr über sich reden – „so interessant bin ich mir nämlich nicht!“ -, und überhaupt habe es eben geklingelt, das sei der Bestattungsunternehmer…

Nach einer kleineren Lesungs-Tour durch die Republik, etwa zwei Wochen später, rief er erneut an. „Sag mal, du sitzt ja immer noch in deinem Marmeladeneimer… Komm da ja nie wieder raus.“ Diesmal sagte er zu. Er habe den Mai sozusagen zur freien Verfügung. Wir verabredeten einen Termin.

Es vergingen wieder zwei Wochen. Am frühen Morgen des von uns ausgeguckten Tages klingelte das Telefon. „Scheißhaus an Marmeladeneimer. Ich muß leider absagen, hab zwar schon zwei Immodium akut geschluckt heute, aber ich gehe nicht davon aus, daß mein Durchfall bis zum Nachmittag weg ist. Und so ein Interview durch die Klotür macht doch keinen Spaß.“ Wer wollte da widersprechen?!

Also vergingen noch einmal zwei Wochen, bis ich dann an einem Freitag, pünktlich zur Kaffeezeit mit ein paar „Teilchen“ im Handgepäck, vor seiner Wohnung stand, in der vom Frühling noch einmal aufgeheiterten urbanen Idylle Eppendorfs. Rowohlt war bereits an der Tür, verabschiedete seine charmante Gattin Ulla und nahm mich mit hinein, um erst mal Tee zu kochen. Gleich links liegt sein geräumiges Arbeitszimmer. Am Fenster zur Straße, mit Lamellen verhängt, sein Arbeitsplatz. „Mein Kampfplatz für den Frieden!“, wie es in dem gerade erschienenen Briefband öfter heißt. In der elektrischen Schreibmaschine ist eine Seite eingespannt und etwa zu einem Viertel beschrieben. Er erzählt auch gleich, daß er immer noch an Roger Boylans drittem „Killoyle“-Buch übersetzt, und liest mir die letzte Seite vor. Starker Stoff!

Über dem Schreibtisch hängt die Goldene Schallplatte für die Hörbücher von „Pu der Bär“. „Zum Ansporn“, sagt er grinsend. An den Wänden stehen -was sonst! – Bücherregale. Ein ganzes Bücherbrett ist gefüllt mit weiteren Ehrungen (Brüder-Grimm-, Johann-Heinrich-Voß-, Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-, Deutscher Hörbuchpreis, Göttinger Elch etc.). Und daneben – grob geschätzte – fünf Regalmeter mit dem eigenen Werk: Das sind bis jetzt 117 Bände Übersetzungen (neben „fünf Theaterstücken und einem Film“, wie Rowohlt nie zu erwähnen vergißt); die mehrfach nachgedruckten JPooh’s Corner“-Kompilationen (ursprünglich zweibändig, gerade mal wieder bei 2001 als „complett“-Ausgabe erschienen); die kulinarische Astern-Persiflage John Rock oder Der Teufel“; der grandios komische autobiographische Gesprächsband „In Schlucken-zwei-Spechte“ (mit Ralf Sotscheck); und, wie gesagt, die eben erschienene Auswahl aus seinen „nicht weggeschmissenen Briefen“ mit dem schönen Revoluzzer-Titel „Der Kampf geht weiter!“; nicht zu vergessen die Hörbücher.

Bevor wir uns ins Wohnzimmer setzen, fragt er noch auf hamburgisch, ob er die Heizung anmachen soll: „N büschen muckelig?“ Mir ist aber schon warm genug.

„Ich habe in den letzten beiden Wochen dein ganzes Werk gelesen, jedenfalls das belletristische.“ So beginnt man ein Gespräch mit einem Schriftsteller! Rowohlt nennt das die „Anschleimphase“ und kontert denn auch gleich brüsk. „Na, das geht ja!“ Räumt dann aber doch ein, es werde jetzt „allmählich größer als das von Büchner. Deshalb ist der ja auch so ein beliebtes Thema für Dissertationen und so weiter.“ Auf die Frage, ob er derartige akademischen Weihen auch schon erhalten habe, verneint er schnell. „Wenn man bedenkt, daß ich nur zweieinhalb Stunden studiert habe, habe ich es wohl auch nicht besser verdient.“ Und als ich mich darüber wundere, wo sich doch die jüngere Germanistik jetzt so gern fortschrittlich gegenüber populärer Literatur zeigt, kommt er umstands- und eigentlich auch grundlos auf die kurze Lesereise mit Kurt Vonnegut zu sprechen.

Man darf von Harry Rowohlt nicht erwarten, daß er eine Frage beantwortet. Er setzt einiges daran, ihr aus dem Weg zu gehen, abzuschweifen, das Thema zu wechseln oder doch nur über einen langen Umweg -Umwege verbessern bekanntlich die Ortskenntnis wieder zur Sache zu kommen. „Thema verfehlt, mehr wollten wir ja auch nicht“, sagt er im Laufe des Gesprächs einmal. Genau deshalb ist man hier. Und wenn man zu lange – oder auch Unsinn redet, unterbricht er einen sowieso und erzählt die Anekdote, die ihm gerade unter den Nägeln brennt. Etwa die von Vonnegut. Der habe leider sein Versprechen gehalten und mit „Zeitbeben“ seinen letzten Roman abgeliefert. „Ich habe ihm deshalb neulich geschrieben. Wer hält schon seine Versprechen? Halte ich meine Versprechen? Niemand hält seine Versprechen. Nur er hält seine Versprechen. Was soll das denn…“ Den Einwand, daß Vonnegut immerhin weiterschreibe, will er nicht hören. „Jaaa, Gedichte, die sich nicht reimen, die zwar sehr schön sind, aber sich nicht reimen und deshalb von mir natürlich nicht als Gedichte anerkannt werden. Ich bin ja ein reaktionäres Arschloch in diesen Sachen.“ Er muß dann doch etwas lächeln. „Wenigstens Hexameter oder so etwas könnte man verlangen. In dem letzten, das er mir geschickt hat, geht es um Marsmenschen, die allerdings nicht grün sind, sondern mauvefarben. Und als die wieder zurück sind auf ihrem Heimatplaneten, wird der Anführer gefragt, wie die Menschen denn so seien. Ach eigentlich nicht so schlimm, das Einzige, was ich nie verstehen werde, sind Golf und Blowjobs. Naja“, er wiegt den Kopf, als ich etwas zu laut lache, „ich fand eigentlich schön daran, daß sie mauvefarben sind.“

Wenn man mal absieht von den mit ihm schon reflexhaft in Verbindung gebrachten Künstlern wie Flann O’Brien, Robert Crumb, A. A. Milne und Roger Boylan, deren Werk er mit seinen lebendigen, handfesten und, wenn es nötig ist, auch furios wortmächtigen Übersetzungen hier erst etabliert hat – gibt es da noch weitere, die ihm etwas bedeuten? Er überlegt gar nicht erst. „Mein geliebter Werner Burkhart hat beispielsweise die ,Dharma Bums‘ von Jack Kerouac übersetzt unter dem schönen deutschen Titel ,Gammler, Zen und hohe Berge‘. Übrigens, von meinem Brüderchen habe ich gelernt, ein Buchtitel ist dann gut, wenn man ergänzen kann: ,unter der Bettdecke‘. Das stimmt. Mach das mal mit Buchtiteln! .Götter, Gräber und Gelehrte‘ – unter der Bettdecke, ,Gammler, Zen und hohe Berge‘ – unter der Bettdecke, .Unterwegs‘ – unter der Bettdecke.“ „Naja, bei deinen Büchern klappt das aber nicht immer“, wende ich sinnlos ein. „Und wie! ‚Der Kampf geht weiter‘ unter der Bettdecke! Oder wie Roger Boylan das Buch neulich in einem Brief genannt hat: „Dein Kampf.“

Dann fährt er fort mit der Werbeeinblendung. „Ach, ich hatte ja viel Herzeleid wegen meines 60. Geburtstags am 27 März, zu welchem Datum vier Bücher und eine Doppel-CD erschienen sind, weshalb ich zwei Monate vorher bereits jeden Tag mindestens zwei Interviews gegeben habe und in jedem einzelnen der Interviews vergessen hab, die vier Bücher und die Doppel-CD zu erwähnen, weshalb alle für’n Hund waren. Das hole ich jetzt nach bis zu meinem Lebensende. Und dann starb am 11. April auch noch meine Mutter, da ging praktisch alles noch mal von vorne los. Und als ich dann endlich mal wieder zum Übersetzen kam, dachte ich, kuck mal, Roger Boylan, mein kleines Sonnenscheinchen, wie er mir doch das Leben erwärmt Denn das ist ja wirklich intime Zwiesprache, wenn man jemanden übersetzt. Und es ist schön, wenn man mit jemandem intime Zwiesprache hält, mit dem man gern intime Zwiesprache hält. Man hält nicht mit jedem Autor gern intime Zwiesprache.“

Mit den Jahren und zunehmendem Erfolg ist Rowohlt denn auch wählerischer geworden. „Erst mal mußte man jeden Scheiß übersetzen, um überhaupt Aufträge zu kriegen und sich einigermaßen als Adresse zu etablieren“, gibt er zu. Mittlerweile ist das anders. Einen nicht zu vernachlässigenden Teil seiner Korrespondenz machen nunmehr die feingeschliffenen, entschuldigenden, manchmal auch kanthölzernen Ablehnungsschreiben und die zaudernden Briefe zumal an seinen Lieblingsverleger Gerd Haffmans aus, in denen er abwägt, unsicher ist, ob er das Buch ,-ins Deutsche wuchten“ will. Seine Unsicherheit wird verständlich, wenn man weiß, daß er in den zu übersetzenden Büchern vorher nur ein wenig blättert. „Wenn man ein normales fremdsprachiges Buch liest, übersetzt man es ja, während man liest Und warum soll ich mir die ganze Spannung nehmen?“

Beispielsweise um kapitalen Fehlgriffen vorzubeugen, denn das Problem kennt er nur zu gut „Bei ‚Naked‘ von David Sedaris war das so, das war ja wirklich entsetzlich. Auf den letzten 850 000 Seiten befällt mich dann die sogenannte Sedaritis. Die Trag- und Duldestarre. Aber Haffmans kann einen so traurig ankucken wie Tim Robbins, und dann kann man ihm nichts abschlagen. Und das weiß er auch, das setzt er eiskalt ein.“

Daß er mit Kinderbüchern anfing, etwa A.S. Neills -wegen des 40er-Jahre-Gangsterslangs als unübersetzbar geltendes – „The Last Man Alive“, Kenneth Grahames „Der Wind in den Weiden“, Milnes „Pu“ etc. ins Deutsche übertrug, anschließend die Underground-Comics von Gilbert Shelton und Robert Crumb, um dann bei dem „jetzigen Kram“ zu landen, war keine Absicht. Er habe es sich nicht aussuchen können. „Ich habe genommen, was ich kriegen konnte und was man mir so zugedacht hat – damit der nicht glaubt, nur weil er Rowohlt heißt, könne er wählerisch sein.“ Und Crumb war offenbar gerade frei. „Crumb war entsetzt, weil er immer so beschissen undergroundmäßig übersetzt worden war, weshalb ich bei ihm auch erst mal eine Seite probeübersetzen mußte und ihm das ganze dann wieder ins Englische zurückübersetzt hab. Und Crumb sagte: .Shit the same stuff!‘ Damit hatte ich den Job, weil ich natürlich – erstens sowieso, und zweitens bei Crumb besonders – viel zu viel Ehrfurcht habe, als daß ich versuchen würde, den Text zu verbessern oder auch nur zu verändern.“

Dennoch sagt man seinen Übersetzungen einen eigenen Ton nach. Und wer nur ein paar von ihm gelesen hat, erkennt den durchaus wieder. „Das liegt natürlich daran, daß ich meine eigene Sprache – oder eher Spreche – habe. Vor Jahren hat mich doch mal in Luzern eine Journalistin gefragt, inwieweit meine Übersetzungen autobiographisch wären. Das klingt zuerst ziemlich doof, ist aber doch eine der wenigen klugen journalistischen Fragen, die mir bisher gestellt worden sind. Man spart in seinem Leben einen gewissen Wortschatz an, und mit dem muß man dann arbeiten, weil man keinen anderen hat. Zum Beispiel hat sich eine Münchner Lektorin mal begeiert, weil ich das Wort Sandwich mit Klappstulle übersetzt hab, was sie noch nie gehört hat. Ich meine, ich werde doch nicht dafür bezahlt, daß ich das Wort Sandwich mit Sandwich übersetze, und ich kann auch keine Rücksicht darauf nehmen, daß Lektorinnen kein Deutsch können und das Wort Klappstulle noch nicht gehört haben. Immerhin hat sie’s verstanden.“

Er holt jetzt die Thermoskanne Tee aus der Küche, schon mit etwas Honig und Zitrone verfeinert, und schenkt ein. Ich nehme mir ein „Pekannußtäschchen“ vom Kuchenteller und will ihm erklären, was ich mitgebracht habe, aber er winkt ab. „Ich kenne das doch alles vom Verreisen. Am tollsten finde ich, die sind mal eingeführt und dann leider sofort wieder abgeschafft worden, Croissants mit eingebauter Currywurst. Man beißt so rein – und plötzlich ist alles gut.« Wir kommen noch mal zurück auf den individuellen Stil des Übersetzers. Idealiter sollte der belletristische Übersetzer sklavisch der Vorlage dienen, sich chamäleongleich anpassen, einen eigenen Stil also prinzipiell vermeiden. „Ist es nicht fatal, zumindest für die Schar der Autoren, die du um dich versammelst, wenn sie alle nach dir klingen?“

„Einen eigenen Stil habe ich auch gar nicht, jedenfalls nicht für mich erkennbar. Wie denn auch? Eigener Mief duftet. Nee, ich dachte immer, was mir sehr entgegenkäme, wäre, daß ich keine ausgeprägte, wenn überhaupt, Persönlichkeit habe. Im April zum Beispiel war im hiesigen Literaturhaus eine Veranstaltung, mit Gregor Gysi als Überraschungsgast, da mußte ich dann wieder Überraschung heucheln, obwohl das natürlich längst im Leporello-Programm ausgedruckt war. Und der sagte vor der Veranstaltung zu mir, er hätte gerade ein Hörbuch von mir bekommen, und außer der Erzählerstimme hätte er mindestens sechs verschiedene Stimmen zu erkennen geglaubt. Und ich habe gesagt: Ab Lothar Bisky Sie das letzte Mal angerufen hat – das war ich! Und Gysi sagte: Na, da fallt mir ’n Stein vom Herzen. Und der Job des Übersetzers ist ja ganz ähnlich, Stimmenimitator.“

Klingt gut, nur wird ihm keiner glauben, daß ausgerechnet er keine ausgeprägte Persönlichkeit habe.

,Ja, nur fällt die einem selbst nicht so auf. Ein BMW-Fahrer, der auf der Autobahn rechts überholt und sonst immer bei seinem Vordermann im Kofferraum sitzt, findet sich ja auch das Normalste von der Welt Ich habe mir die letzten James-Bond-Filme deshalb nicht mehr angesehen – weil mir das Geschick von BMW-Fahrern herzlich wurscht ist Auch wenn man ideologisch immer eher den badguys zugeneigt war, hat man ihm doch, solange er Aston Martin fuhr, zumindest ein bißchen die Daumen gedrückt.. Übrigens habe ich den allerersten James Bond in Paris im Original gesehen, und Sean Connery mit meinem Schulenglisch nicht verstanden, weil er doch diesen Sprachfehler hat. „My name is Bond, Jamesch Bond.‘ Und das ist nicht Schottisch! Ich weiß nicht, vielleicht ist es zu viel Testosteron oder so was.“

Rowohlt hat sein „Marzipan-Croissant“ aufgegessen und schenkt sich Tee nach. Die Gauloises liegt in Reichweite, aber er rührt sie erst mal nicht an. Offenbar hört er auf seinen Arzt, der ihm nach seinem leichten Schlaganfall vor gut einem Jahr riet, das Rauchen einzuschränken. Daß er danach zu einem Temperenzler geworden sei, weist er er jedoch weit von sich. Schließlich habe er seinen Titel „Ambassador of Irish Whiskey“ zu verlieren, tingele weiterhin nach alter Weise und unter dem Etikett „Schausaufen mit Betonung“ durch die Republik, und schließlich dürfe man auch die wohltätige, nämlich „gefäßerweiternde Wirkung des Äthanols“ nicht vergessen.

Trotz seines vollen Terminkalenders interessiert ihn die Arbeit der Kollegen. Lobend erwähnt er etwa Denis Scheck, Susanne Eckerle („die übersetzt nur Scheiße, aber sehr gut“), Benjamin Schwarz und „natürlich“ Niko Hansen. (,Und Maria Carlsson wäre höchstwahrscheinlich auch eine von mir geschätzte Übersetzerin, wenn ich denn je Updike läse. Das finde ich schön, wenn man sich irgendwann mal fragen sollte: Was macht eigentlich Maria Carlsson? Ach so, die übersetzt Updike. Die hat übrigens ihre Teilnahme an der Verleihung des ihr zugedachten Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Preises für Übersetzung ablehnen müssen, weil sie auf einen Seeigel getreten ist Das finde ich eine prima Ablehnung. Da sieht man auch, wie wir Übersetzer so leben. Ergehen uns am Strand… Ich habe ja gerade unter großer innerer Anspannung den Hugo-Ball-Preis der Stadt Pirmasens abgelehnt Mir gehen Hugo Ball und die ganze Dada-Blase so dermaßen am Arsch vorbei, daß ich das als unredlich empfunden hätte.“ „Und das kannst du dir leisten? 10 000 Euro gab’s da doch bestimmt!?“ „Habe ich gar nicht erst gefragt, dann hätte ich doch zugesagt.“ Bei seiner frühen Affinität zur Sub- und 2001-Kultur müßte ihm doch eigentlich auch Carl Weissner einfallen. „Ich habe mit ihm vor vielen Jahren mal ganz lange in der ‚Fünf‘ im Lehmweg zusammengesessen und ihm gesagt, was mich alles an seinen Übersetzungen stört. Und da sagte er: Das muß einem doch gesagt werden, dann stelle ich das in Zukunft ab. Das hat mich schier wahnsinnig gemacht, erstens fand ich Bukowski ohnehin ein bißchen sehr aus Pappe, immer schon, alles absolut zweidimensional, eben aus Pappe, Stellage, und wenn das dann auch noch mit den fürchterlichsten Anglizismen übersetzt wird, das macht Sinn und all das, was unsereins vermeidet dann ist das natürlich doppelt lästig, und wenn dann auch noch sowohl Bukowski als auch dessen deutscher Übersetzer ständig gelobt werden™“ Er macht ein Gesicht, das den Rest des Satzes erübrigt.

Dem Weissner-Intimus und frühen Protege Jörg Fauser immerhin bleibt er weiterhin in Treue verbunden. Gleich nach seinem Tod hat er ihn in einem wunderbaren Leserbrief, der unbedingt mit hineingehört hätte in den Briefband, gegen die unsägliche Renee Zucker in Schutz genommen, die sich in ihrem Nachruf beklagen zu dürfen glaubte, Fauser sei „kein netter Mensch“ gewesen: „Jörg Fauser war ein Profi, der alles schreiben konnte, was angesagt war, und er war ein guter Mensch, ein Bruder, Genosse und Freund.“ Solche warmherzigen, sentimentalischen Töne findet man eben auch immer wieder in seinem Werk – und das sind nicht die schlechtesten Stellen.

Heute bedauert er, daß er Fauser „viel zu kurz erlebt“ habe. „Wir haben uns immer verpaßt, weil ich in Frankfurt-Sachsenhausen wohnte und er in Bornheim, sonst hätte ich ihn im Flippern so dermaßen naßgemacht… Ich habe ihm auch gesagt, mehrmals, daß er froh sein kann, daß wir uns damals nicht getroffen haben. Als er bei ,Transatlantik‘ war, hat er mir manchmal Übersetzungsaufträge zugeschustert, zum Beispiel Tom Wolfes ,From Bauhaus To Our House‘, das hat er mir mit den Worten aufs Auge gedrückt: Isch weiß, des is net der ganz grose Bluuues… Und da wußte man, das ist in Ordnung, das sollte man machen. Ich hab insgesamt etwa 720 Minuten bei Fauser-Gedächtnisveranstaltungen mitgewirkt, und die stehen in Relation zu 40 Minuten wirklichem Beisammensein, irgendwann klaffte die Schere dann doch zu weit auseinander, und deshalb mache ich das auch nicht mehr. Nein, in diesen 40 Minuten, die wir zusammen waren, haben wir auch nicht viel geredet, sondern beide gesoffen, weil wir uns ohnehin einig waren. Ich finde das übrigens bei Tom Wolfe immer so albern, daß man den als Dandy bezeichnet.“ „Wegen des weißen Anzugs.“ .Ja, klar, aber da kann man doch auch das schöne deutsche Wort Fatzke nehmen.“

Und wo wir schon einmal da sind, kommen wir ganz organisch auf einen seiner bevorzugten menschlichen Sandsäcke zu sprechen – Fritz J. Raddatz. Den hat er immer mal wieder beleidigt, auch schon mal auf den Kopf gehauen, und zuletzt für seine Polemik gegen Robert Gernhardt die Hammelbeine langgezogen: „Raddatz, daß Sie ein dummes, unberatenes, abgebrochenes Ostzonen-Arschloch sind, das nie irgendwo ankommen wird, das ist ein alter Hut mit alter Krempe“ usw. Das liest man doch gern. Inzwischen jedoch klingt er fast versöhnlich. „Ich habe seine Autobiographie sogar bis Seite 82 gelesen und das hat mir bis dahin ganz gut gefallen, das habe ich ihm auch gesagt Und ich glaube auch nicht, daß er mir diesen Leserbrief tatsächlich übelgenommen hat, der teilt aus und steckt ein, der ist so sehr professioneller Schaugeschäft-Mensch, daß es ihm wichtig ist, daß der Name richtig geschrieben wird.“

Rowohlt indessen ärgert sich immer noch über jede schlechte Besprechung und verfolgt seine Kritiker auch weiterhin mit Leserbriefen oder spätabendlichen Telefonanrufen. Mit anderen Worten, wenn das eben seine Definition von Professionalität war… „Dann bin ich unprofessionell!“ Er nickt und stöhnt gespielt.“.Das muß doch erlaubt sein. Ich glaube, das liegt daran, daß mein Mondzeichen Jungfrau ist, das hat man nur neulich errechnet, und Jungfrauen sind ja sehr empfindlich. Und ich habe das gerade erst wieder gemerkt. Da hat mich die Frankfurter Neue Presse‘ dargestellt als jemand, der austeilt wie nix, aber wenn es mal gegen ihn geht, eine absolute Mimose ist Da war ich sofort beleidigt. Nein, das Einzige, was ich nicht ertrage, ist berechtigte Kritik, sonst bin ich wirklich hart im Nehmen.“

Und wie zum Beweis des Gegenteils verläßt er kurz den Raum und holt einen frisch getippten flammenden Leserbrief, den er in gespieltem Furor vorliest Er beschimpft darin einen Journalisten der „Stuttgarter Zeitung“ mit dem Kürzel „BWK“, der in seiner Besprechung der letzten Rowohlt-Session Rann O’Brien mit Shel Silverstein verwechselt. Tja, und daß BWK den Abend „ganz amüsant“ fand, „aber mehr auch nicht“, das hat Rowohlts Lynch-Laune dann auch nicht gerade gebessert. „Das ist mal ein Tadel. Ich meine, wenn es amüsant war, dann habe ich alles richtig gemacht. Wenn sogar BWK sich amüsiert hat… Nein, es ist wirklich oft störend“, und sein Tonfall bekommt nach dem feurigen Vortrag von eben fast etwas Resigniertes, „soundsoviele Leute sitzen im Zuschauerraum, amüsieren sich wie Bolle, und der Einzige, der rundherum null Schimmer hat, was er da überhaupt soll, und genauso wenig Checkung, sitzt im Wachkoma dabei und muß dann darüber berichten. Diese Regionaljournalisten sind nämlich in aller Regel sehr viel weniger qualifiziert als meine normalen Zuhörer. Ich meine, in Stuttgart, in der Nordsee-Filiale am Hauptbahnhof, da waren in meinem Seehecht-Filet drei Gräten, und der Kartoffelsalat war teilweise roh, darüber sollte BWK mal was schreiben.“

Ich versuche eine matte Verteidigung der Lokaljournalisten. Die vielen Termine, die ständige Arbeitsüberlastung! ,Jaja, ich weiß. Ich bin auch voller Hochachtung für diese Kollegen.“ Er macht es sich jetzt bequem auf seinem Sofa, legt sich auf die Seite und stützt seinen Kopf mit dem Ellenbogen ab. „Deshalb zum Beispiel gibt auch Max Goldt überhaupt keine Interviews mehr, schon seit vielen Jahren, weil viele Interviewer absolut unterwürfig ankommen, aber dann so darüber berichten, als hätten sie es der Berühmtheit aber ungeheuer gezeigt Und das muß ja alles nicht sein. Zum Beispiel Hilmar Klute von der ‚Süddeutschen‘ hat geschrieben, wie ich eine leere Zigarettenschachtel zerknüllt und in meine Teetasse hab fallenlassen, das habe ich mein Lebtag nicht gemacht. Ich weiß nicht, was er da gesehen hat Und dann, daß ich nicht gleich an die Tür gekommen bin, als er geklingelt hat.“ Er hebt die Hände vor Unverständnis. Ja, ich mein, da werde ich telefoniert haben. Das kennst du ja, deinetwegen mußte ich ja auch die Leichenbestatter warten lassen.

Schließlich kommen wir doch noch zu seinem eigenen belletristischen Werk. Darüber hat er sich stets angenehm unprätentiös und bescheiden geäußert, obwohl gerade die witzig-virtuosen, stilistisch blendenden, mit dem Zeitungsmedium selbst spielenden Kolumnen und Reportagen in der guten Tradition Flann O’Briens seinen Ruhm begründeten – und das war lange vor seiner „Lindenstraßen“-Karriere. Er sei Übersetzer, und dann komme lange Zeit erst mal gar nichts, hat er früher mal gesagt, und seine Texte gern als „Kleinscheiß“ abgetan. „Und zwar quantitativ wie auch qualitativ!“ nickt er jetzt.

Hier irrt Rowohlt Er legt in diesen Texten anmutige, noch dazu in der deutschen Gegenwartspublizistik ziemlich rare Balancenummern hin: scheinbar improvisierte, anekdotische, aber sich in den verschiedenen Stilregistern behend bewegende, gut beobachtete und pointenreiche Feuilletons, die den gemeinen -Zeit“-Leser zwar einerseits brüsk herausfordern, aber andererseits mit gelegentlicher, wenn auch verschmitzter Bildungshuberei gefällig bedienen. Und die „Nicht weggeschmissenen Briefe“ lassen im Grunde den gleichen Stilwillen erkennen, die gleiche genuin literarische Verfahrensweise. Er hebt die Schultern. ,Ja, na und? Meinetwegen! Detlev Theune, Mitbegründer des Samstagstammtisches, sagte mal, es würde im Radio ein Mädchenschinder gesucht, von dem man nur weiß, daß er am Telefon spricht wie gedruckt, und er riet mir, schon mal ein bißchen unterzutauchen. Und das stimmt natürlich, ich spreche manchmal wie gedruckt und schreibe teilweise wie gesprochen.“

Ein „Zeit“-Redakteur hat ihm gegenüber mal erwähnt, seine Texte „läsen sich, als hätte man jemanden geweckt“. Und sie wirken immer ein bißchen bzw. sollen so wirken -, als könne er selbst gar nichts dafür, daß sie so gut sind. Als kosteten sie ihm auch gar keine Mühe, als sei das alles ganz naiv und unreflektiert in die Tasten gehauen, weil er eben nun mal entsprechend disponiert ist.

„Na, wie denn sonst? Ich würde gern anders schreiben können. Ich glaube, alles fing damit an, daß ich über ein Internationales Filmfestival in Havanna berichten sollte. Das sollte erst jemand anders machen, der konnte nicht, dann sollte es Gerhard Roth machen, weil der über den Flop seines jüngsten Theaterstücks so untröstlich war, daß man meinte, man müßte ihn trösten, aber er war zu untröstlich, und dann habe ich das gemacht Und da hat meine Frau Ulla gesagt, schreib mir einfach alles, was du siehst, in Briefform, und dann hast du es schon mal geschrieben und kannst es verwenden für deinen Beitrag. Und auf diese Weise habe ich es eben nicht für den hochgestochenen ‚Zeit‘-Leser, sondern für meine sehr viel tiefer gestochene Frau geschrieben und das dann so übernommen eigentlich. Genauso sollte man schreiben. Und wenn ich ein bißchen prunken will, wie zum Beispiel in der ,Batman‘-Kritik, dann schreibe ich Ichthyophagen. Das habe ich mir in der ‚Zeit‘ angewöhnt, da habe ich einmal lahmarschig geschrieben, und da habe ich einen bitterbösen Brief bekommen, daß so etwas in der ,Zeit‘ nicht zu stehen habe, und da habe ich mir die Taktik erarbeitet, daß immer wenn ich Arsch oder so etwas schreibe, dann kommt drei Wörter weiter so ein Wort wie Conundrum, so daß der Leserbriefschreiber, der bereits geklickt hat mit seinem Kugelschreiber, erst mal im Fremdwörter-Duden nachschlagen muß, was Conundrum heißt.“ Und er übersetzt es dann auch, als er meinen fragenden Blick bemerkt. „Ein unlösbares Rätsel.“

Als wir die obligatorischen Fotos machen, kommt Ulla Rowohlt nach Hause und schimpft ihren Mann aus, weil der sich schon wieder mit dem Ringel-Shirt ablichten läßt Das sei doch nun oft genug verewigt. Er habe nun mal vier davon, antwortet Rowohlt achselzuckend. Anschließend zieht er sich Cowboy-Stiefel und Jeans-Jacke an und begleitet mich zur U-Bahn. Im Hausflur spielen Kinder, sie schreien dabei, verstummen aber, als sie ihn sehen, und lassen ein kleinlautes „Hallo“ hören. „Guten Tach!“ knurrt Rowohlt Man nimmt es ihm ab, daß er sich die Kinderbuchübersetzerei nicht selbst ausgesucht hat.

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