Interview mit Pale: „Das maximal Schlimme sollte auch etwas unglaublich Schönes mit sich bringen“

Die Aachener Rockband Pale hat nach schweren Verlusten ein letztes Album aufgenommen – es feiert das Leben, trotz allem.

Über Gott und die Welt reden – ja, das ist gar nicht so schwer. Über Leben und Tod: schon ein bisschen komplizierter. Wenn es um die Band Pale geht, kommt man nicht drumherum, denn ihr neues Album „The Night, The Dawn And What Remains“ (Grand Hotel van Cleef) ist unter besonderen Umständen entstanden. Eigentlich gab es die Aachener Indie-Rock-Band gar nicht mehr – sie hatten sich 1993 gegründet, 2009 aufgelöst, 2012 gab es eine kleine Reunion, danach war wirklich Schluss. Und dann entschlossen sie sich unter den härtesten Bedingungen, doch noch eine Platte aufzunehmen. “Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben”, hat Martin Luther mal gesagt, und im November 2019 erfuhren das gleich zwei Bandmitglieder: Schlagzeuger Stephan Kochs musste auf sein Herz hören und sein Leben umkrempeln, um es zu retten – er konnte nicht mehr trommeln. Bei Gitarrist Christian Dang-anh wurde ein Hirntumor diagnostiziert – der ihn nicht vom Musikmachen abhalten konnte. Er spielte und sang bis zu seinem Tod im Mai 2021 auf fast allen der neuen Stücke mit. Den Rest des Albums haben Pale dann ohne ihn fertig gestellt.

Was fragt man den Sänger/Songwriter Holger Kochs zuerst? Er ist der jüngere Bruder des erwähnte Schlagzeugers, er war einer der besten Freunde des Gitarristen. Vielleicht einfach:

Wie geht es Dir und der Band heute, nach diesen drei besonderen Jahren?

Persönlich oder professionell? (Denkt kurz nach.) Bei uns war das Professionelle ja immer auch persönlich. Wir haben mit der Band nicht aus Karrieregründen angefangen, der Motor war stets die Verbundenheit aller Bandmitglieder untereinander. In den drei Jahren seit den Diagnosen gab es natürlich viele Höhen und Tiefen, aber wahrscheinlich schon viel, viel mehr Tiefen. Momentan überwiegen eher die positiven Seiten, weil wir uns als Band viel sehen, zu den Videodrehs oder den Proben, dazu kommen die ganzen Resonanzen zu den Songs. Aber es schwingt natürlich bei allem immer mit, was passiert ist. Wir schneiden gerade das Video zur letzten Single – eine Art Retrospektive auf unsere gemeinsame Zeit als Band und sichten alte Bänder – es ist einerseits so schön, so vertraut, aber es ist auch immer das Gefühl: Wie lässt man so was los? Die unbeschwerten Zeiten mit Christian und meinem Bruder, die sind eben vorbei und kommen nie wieder. Und gleichzeitig zu wissen: Wir haben als Band das Beste aus all dem gemacht.

Inmitten von all dem Chaos, den solche Diagnosen mit sich bringen, ein Album aufzunehmen – das erfordert ja enorm viel Kraft und Konzentration. Wie habt Ihr das überhaupt geschafft?

Das ist eine gute Frage! Wie gerade gesagt überwiegen momentan die positiven Gefühle, aber es gab natürlich so krasse Phasen damals. Nach Christians Tod haben wir noch mal so unglaublich viel Arbeit in das Album reingesteckt… Ich zum Beispiel bin jetzt dreifacher Vater, arbeite Vollzeit in einer Designagentur – da nebenbei eine Platte unterzubringen, war an sich schon extrem schwer. Wir haben uns 2009 ja auch aufgelöst, weil das normale Leben eben einfach nicht mehr mit der Band vereinbar war. Dafür war die Triebfeder dieses Mal eine ganz andere: Das maximal Schlimme sollte auch etwas unglaublich Schönes mit sich bringen. Damit man dem, was man Leben nennt, nicht nur ohnmächtig gegenübersteht, sondern das Beste daraus macht.

Meinem Bruder hat die Herz-OP maximal geholfen, aber bei Christian schlug die Therapie nicht so an wie erhofft. Irgendwann kam dann die Diagnose „austherapiert“ – den Begriff kannte ich bis dahin gar nicht. Wir wollten einfach nicht glauben, dass es das gewesen sein könnte. Die letzten drei, vier Monate waren dann extrem schlimm. Christian war ja immer der Begabteste und Eloquenteste von uns, aber die Folgen der Erkrankung wurden immer spürbarer … Und trotz allem hat er noch Gesangsaufnahmen mitgemacht, Gitarren aufgenommen. Das meiste haben wir digital hin und her geschickt – wegen seines angeschlagenen Immunsystems musste er während der Pandemie auch noch besonders aufpassen.

War das nicht – je nachdem, wie die gesundheitliche Situation von Christian war – schwer durchzuhalten?

Bei all der Arbeit gab es schon etliche Momente, wo es einfach zu viel war. Oder wo Wichtigeres zu tun war als Musik machen. Wir haben ja – jeder auf seine Weise – Christian begleitet. Manchen fiel das leichter, anderen schwerer, damit umzugehen, aber ich glaube, wir haben es so gut es ging hinbekommen. Dass wir anschließend weitermachen wollten, hatte eigentlich zwei Gründe: Wir dachten auf der einen Seite, das kann es doch jetzt nicht gewesen sein. Und gleichzeitig war die Arbeit am Album auch eine Art Trauerarbeit. Ich hatte früh in meinem Leben Kontakt mit dem Tod, aber das damals nie so recht verarbeitet. Jetzt, mit 48, begreife ich die Endlichkeit ganz anders. Deshalb ist das Album auch eine Art Bestandsaufnahme: Was macht das Leben aus? Für mich sind es vor allem die Beziehungen, über die wir uns im Leben definieren – darüber habe ich dann die Texte geschrieben. So einen Song wie „Bigger Than Life“ musste ich einfach für Christian machen – in zehn Minuten geschrieben, zehn Monate daran gearbeitet. Wir haben generell sehr lange an allen Details dieser Platte gearbeitet.

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Das Album beginnt mit einem Instrumentalstück („Wherever You Will Go“) – das ist eigentlich sehr passend, weil wir ja gerade wenn es ums Sterben geht, oft merken, dass wir gar keine passenden Worte für all das haben.

Ja, dass jemand nicht mehr da ist – das ist einfach so absurd, so extrem, dass es dafür keine Worte gibt. Uns allen ist natürlich klar – wir werden irgendwann sterben. Wir wissen also um die Endlichkeit, aber wenn es dann passiert, ist es doch unfassbar. Vielleicht wollten wir auch deshalb gar nicht so sehr über den Tod schreiben. Und vielleicht ist es deshalb eine lebensbejahende Platte geworden, weil sie davon handelt, was uns im Leben wichtig ist. Den Tod nicht vergessen, aber das Leben feiern: darum geht es eigentlich. In unserer deutschen Trauerkultur ist das wahrscheinlich nicht so drin, aber wir wollten versuchen, es anders zu machen.

Auf jeden Fall. Ihr feiert mit dem Album ja auch die Erinnerungen, ohne in der Vergangenheit festzustecken. Im Presse-Info ist die Rede von einer „Ehrenrunde“…

(Muss lachen) Super Begriff, aber das hört sich so an, als wäre die Arbeit vorbei, und man läuft nur noch aus Spaß ein bisschen rum – dafür hatten wir echt zu viel zu tun mit diesem Album!

Jedenfalls ist die Resonanz ja enorm. Am 2. März 2023 spielt Ihr im Kölner Gloria, das ist schon ausverkauft. Hat Euch das überrascht oder hattet Ihr damit gerechnet?

Um ehrlich zu sein, haben wir mit dem Gegenteil gerechnet. Wir dachten, dass das Gloria viel zu groß sein wird, wir haben früher nie viel mehr als 600 Leute gezogen, und die Konzertlandschaft ist ja bekanntermaßen gerade sehr schwierig. Als dann die Tickets so schnell weg waren, konnten wir es selber kaum glauben. Wir freuen uns wirklich über alle Maßen. Wie wir bei der Ankündigung geschrieben haben: Wir freuen uns über jeden, der kommt. Und jetzt freuen wir uns halt über 900 Leute! Kurzfristig werden wir vorab noch eine Zusatzshow spielen, eine Art Generalprobe, die auch nach fünf Tagen ausverkauft war. Verrückt!

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Guckst Du dem nur mit Freude entgegen – oder auch mit etwas Lampenfieber?

Klar, beides. Aber wir alle sind etwas älter und gelassener geworden, und wir wissen jetzt auch, wie Rudi Carrell schon sagte: Man kann nur etwas aus dem Ärmel schütteln, was man vorher auch reingesteckt hat! Wir proben diesmal sehr viel – etwas, was wir früher nicht unbedingt so gemacht haben. Die letzten 10, 15 Jahre hatte ich immer denselben Albtraum: Dass wir auf der Bühne stehen, vor uns ganz viele Leute, und ich schaue auf die Setlist und kenne keinen einzigen Song. Den Traum habe ich jetzt nicht mehr, das sehe ich mal als gutes Zeichen. (Lacht.) Wir arbeiten gerade an der Setlist, Springsteen-mäßig werden wir nicht unter 25 Songs spielen. Also üben wir gerade fleißig, die Stimmung ist super, und auch wenn es noch ein langer Weg ist – wir haben ja alle lange keine Musik mehr gemacht -, sind wir uns sicher, das wird gut!

Pale sind also gerüstet. Stephan Kochs wird sich das Konzert in Köln anschauen, Ehrensache. Und ein paar Gäste auf der Bühne wird es auch geben. Vor allem aber wird die Band noch einmal feiern – Vergangenheit und Gegenwart. Und dann mal schauen, was die Zukunft bringt. Zu der will Holger Kochs lieber noch nichts sagen – außer dass es sicher kein weiteres Pale-Album geben wird. Alles andere ist offen, es gibt keine Pläne. Er hat gelernt, dass das Leben wahrscheinlich eh dazwischenkommt.

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