Paradies der Ungeliebten

DIE PIXIES HABEN EINEN neuen Song, Dinosaur Jr. sind so lebendig wie nie zuvor und sogar Nirvana stehen wieder gemeinsam auf der Bühne (wenn auch mit einem Beatle am Mikrofon). Man könnte glauben, die Goldenen Jahre des Indie-Rock wären nie vorübergegangen. Und sogar Sebadoh, die bereits 1991 auf ihrer Single „Gimme Indie Rock“ den Ausverkauf des Genres besangen („Rock’n’Roll genius, ride the middle of the road/Milk that sound, blow your load/Soon it’s smoother than you ever said it go/Four stars in the Rolling Stone“), haben ein neues Album gemacht. Ihr erstes seit „The Sebadoh“ von 1999.

Aber eine rechte Sensationsstimmung mag nicht aufkommen. Liegt vielleicht daran, dass die Band sich nie offiziell getrennt hat. Die beiden Songwriter Lou Barlow und Jason Loewenstein gaben sogar immer wieder mal gemeinsam Konzerte in den letzten 14 Jahren. Nur mit den Schlagzeugern war es schwierig. Eric Gaffney etwa, mit dem Barlow Sebadoh 1986 als Lo-Fi-Projekt gründete, ließ sich zwar nach zweijähriger Überzeugungsarbeit breitschlagen, eine Tour lang durchzutrommeln, war aber für weitere Projekte nicht zu haben. 2011 wurde mit Bob D’Amico ein pflegeleichter Ersatz gefunden. Sebadoh waren wieder voll funktionsfähig -aber niemand fragte nach einem neuen Album.

„Wir haben einen gewissen Ruf, der die Leute glauben lässt, wir hätten Fans und würden Platten verkaufen“, erklärt der immer noch in bester Slacker-Manier desillusionierte Barlow. „Die Wahrheit ist aber: Unser Label Sub Pop hat in den Neunzigern durch uns eine Menge Geld verloren, die Kritiker waren immer nur so halb begeistert, und wir hatten nie eine treue, ergebene Anhängerschaft wie etwa Pavement.“

Dafür waren Sebadoh wohl auch einfach zu kompromisslos und eklektisch. Gegen ihre schizophrenen, zwischen Lo-Fi-Skizzen und hartem Rock, Psychedelia, Punk und Folk hin und her springenden Platten war selbst Pavements genialisch abgefucktes und selbstmörderisches „Wowee Zowee“ von 1995 ein Hitalbum. Auf „The Sebadoh“ etwa dankt die Band unter anderem Black Sabbath, Chick Corea, Linda McCartney, „the women and men making good pornography“, Andy Kaufman, Elliot Smith und (etwa ein Dutzend Mal) Lynyrd Skynyrd für Inspiration. Und so klingt das dann auch. Für Sebadoh-Verhältnisse war das ein geschlossenes Werk.

Die Band war immer im besten Sinne kopflos. Da war sie von Anfang an der bewusste Gegenentwurf zur J-Mascis-Diktatur Dinosaur Jr., bei der Barlow bis zu seinem Rauswurf 1988 Bass spielte und seit der Reunion 2005 auch wieder spielt. „Sebadoh macht natürlich wesentlich mehr Spaß“, sagt Barlow. „J gibt sich schnell mit Sachen zufrieden, da gibt es keinerlei Euphorie bei der Arbeit. Nie sagt mal einer:,Wow, das war toll! Wie haben wir das denn hingekriegt?‘ Bei Sebadoh wird viel gelacht, es gibt viele Überraschungen, und man lässt die anderen ein Stück in sein Leben hinein. Sebadoh ist menschlicher. Ich bin froh, dass ich beide Bands habe. Dinosaur allein wäre … ziemlich hart.“(lacht)

Wenn er ein Lied schreibe, das ein Gitarrensolo brauche, hebe er es für J Mascis und Dinosaur Jr. auf, erklärt Barlow seine tripolare Songwriterexistenz, ein Stück, auf dem er selbst E-Gitarre spielen wolle, sei für Sebadoh reserviert und die akustischen Nummern behalte er für das nächste Soloalbum. Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Mindestens die Hälfte seiner sechs Beiträge auf dem neuen Album „Defend Yourself“ hätte auch gut auf den Alleingang durch die tiefste Nacht, „Goodnight Unknown“ von 2009, gepasst, und zwei seiner folkigen Songs hat er gerade mit zwei Freunden, dem Gitarristen Imad Wasif und dem Melvins-Schlagzeuger Dale Crover, im Studio der Foo Fighters in lauten Rockversionen aufgenommen. „Das klang überraschenderweise ziemlich gut“, so Barlow. „Vielleicht ist es der Beginn einer neuen Band.“

Kann jedenfalls nicht schaden, noch ein paar zusätzliche Projekte ins Leben zu rufen, denn Barlow, der in den Neunzigern mit dem Songwriter John Davis auch noch das gar nicht mal so unerfolgreiche Projekt The Folk Implosion betrieb, schreibt viel; und Alleinherrscher Mascis erlaubt ihm bei Dinosaur Jr. höchstens zwei eigene Lieder pro Album. Obwohl er dort nur der vom Bandleader oft ignorierte uncoole Mitläufer ist (der allerdings mit seinem treibenden Bass entscheidend ist für den herrlich monolithischen Sound), will Barlow die Erfahrungen, die er während der seit 2005 andauernden Reunion sammelte, nicht missen.

„Das Schöne daran war, dass wir es einfach gemacht haben, ohne lange drüber zu reden“, erklärt er. „Und das mit einer Band, deren wichtigstes Mitglied nicht einmal besonders viel Spaß daran zu haben scheint. (lacht) Bei J hat man immer das Gefühl, er tue das alles nur, weil er sich in die Ecke gedrängt fühlt. Aber er hat die verdammten Lieder geschrieben -und das war sicher nicht leicht, denn er musste ja mit Sachen um die Ecke kommen, die es mit den Dinosaur-Klassikern aufnehmen konnten. Das hat mir imponiert und mich inspiriert. Ich dachte: Jesses, wenn wir das sogar mit Dinosaur Jr. schaffen, müsste es doch auch mit Sebadoh möglich sein. Ich muss nur Jason und Bob in einen Raum bekommen.“ Das gestaltete sich dann aber doch recht schwierig. Barlow lebt in Los Angeles, ist zweifacher Vater und tourt mit Dinosaur Jr. um die Welt, Loewenstein und D’Amico leben in Brooklyn und arbeiteten damals u.a. als Rhythmusgruppe für die Fiery Furnaces.

Im Sommer 2012 fanden sie dann endlich zusammen. Um die Low-Budget-Produktion des Albums und die Flugtickets bezahlen zu können, veröffentlichten sie zunächst die „Secret EP“ auf der Website des Online-Musikdienstes Bandcamp, bei dem 100 Prozent der Einnahmen an den Künstler gehen. „Damals dachte ich, wir hätten für die EP die schwächsten Stücke ausgewählt – aber da bin ich mir nicht mehr so sicher“, sagt Barlow. „Noch als wir das Album zusammenstellten, dachte ich: Oh-oh, die besten Songs haben wir schon verschossen.“

Stimmt natürlich nicht. „Defend Yourself“ ist ein starkes Sebadoh-Album geworden, vielleicht das stärkste seit „Bakesale“ von 1994. Die lange Pause hört man dem Werk jedenfalls nicht an. Und auch wenn man naturgemäß jederzeit die Nähte hört, an denen Loewensteins wuchtiger Rock auf Barlows melodiöses Storytelling trifft, wirkt es doch (fast) wie ein Werk aus einem Guss, denn die Narrationen der beiden Songwriter scheinen sich zu überschneiden und gegenseitig zu kommentieren. „Die einzige Erklärung, die ich dafür habe, ist, dass wir beide in langen und sehr stürmischen Beziehungen stecken -beziehungsweise steckten“, so Barlow. „Meine ist im Verlauf der Arbeiten am neuen Album dann auch kollabiert. Das ist natürlich in die neuen Songs eingeflossen. Und dadurch ist ,Defend Yourself‘ eine typische Sebadoh-Platte geworden. Ein wütendes, rücksichtsloses Übergangsalbum – wie all unsere besten Sachen.“ Sebadoh sei für ihn immer der Ort gewesen, an dem er die großen, schmerzhaften Veränderungen seines Lebens verarbeitet habe, so Barlow. Vom Rauswurf bei Dinosaur Jr. in den späten Achtzigern bis zur Trennung von Kathleen Billus, der Mutter seiner Kinder, vor einigen Monaten. Besonders bittersüß ist ihm das in dem mitreißenden Song „Calves Of Champions“ gelungen. Dort beschreibt er, wie er seine Tochter zur Schule bringt. „Der Song spielt im vorigen Jahr. Da ging Hannelore (!) in die zweite Klasse. Ich lebte noch mit ihrer Mutter in einem sehr hübschen Teil von Los Angeles, der Silver Lake heißt. Und wenn ich meine Tochter vor der noblen Grundschule absetzte, habe ich zwangsläufig auch die anderen Eltern gesehen -hauptsächlich Leute aus dem Filmgeschäft, Schauspieler und Stand-up Comedians. Ihre wunderschönen Kinder scheinen alle bilingual aufzuwachsen -man hört da viel Französisch und Deutsch. Ihre Väter, die alle an zwei Handys gleichzeitig telefonieren, sehen wahnsinnig gesund aus und haben diese gestählten Körper und diese großen Autos. Es kommt mir jedes Mal vor, als hätten sie es so viel leichter als ich, denn ich muss wirklich kämpfen, damit meine Kinder weiter in dieser Umgebung leben können.“

„I gotta be strong and hold my head up high“, schließt Barlow den Song, „failure is a state of mind.“ Mittlerweile ist er aus dem Haus in Silver Lake ausgezogen und lebt mit neuer Liebe in einem hispanisch geprägten Viertel von Los Angeles. Hier mischen sich die Lebensstile und Ethnien. Hier ist es laut, bunt und dreckig. Fast wie auf einem Sebadoh-Album.

GIMME INDIE ROCK!

„Defend Yourself“ ist das achte Sebadoh-Album und das erste in diesem Jahrtausend. Unsere Auswahl-Diskografie zeichnet die Geschichte der Band in den Neunzigern nach -vom Lo-Fi zum polierten Rock

Sebadoh III

1991 Die Antithese zum im gleichen Monat erschienenen Nirvana-Album „Nevermind“. Zwar klangen Sebadoh hier schon um einiges fokussierter als auf den ersten beiden Lo-Fi-Werken, doch dieses Weiße Album des Indie-Rock, das von radikalem Hardcore bis zu dunklem Folk und sogar einem Johnny-Mathis-Cover einfach alles bietet, zeigt drei Songwriter auf drei unterschiedlichen Trips.

****1/2

Bubble And Scrape 1993

Das erste Album auf Sub Pop ist größer produziert, aber nicht minder zerrissen. Gaffney bleibt seiner Lo-Fi-Ästhetik treu, Loewenstein schreibt simple, aber mitreißende Stücke und Barlow offenbart sich mit „Soul And Fire“ und „Think (Let Tomorrow Bee)“ als einer der größten Songwriter seiner Generation. „Bubble And Scrape“ klingt, als müsste die Band jeden Moment auseinanderbrechen.

***1/2

Bakesale 1994

Mit Eric Gaffney verlässt der erbitterte Lo-Fi-Verfechter die Band. Der neue Schlagzeuger Bob Fay spielt straighter, Jason Loewenstein ist als Songwriter gereift und steuert Highlights wie „Got It“ bei, Lou Barlow schreibt Hymnisches und Melancholisches und mit „Magnetic Coil“ und „Skull“ zwei seiner besten Songs überhaupt. „Bakesale“ klingt groß und wuchtig, ohne die bandeigene Spannung aufzugeben.

****1/2

The Sebadoh 1999

Der Vorgänger „Harmacy“ war drei Jahre zuvor der Versuch einer Hitplatte. Die eingängigen Songs hatte Barlow geliefert, doch Loewensteins härtere Stücke soffen in der butterweichen Produktion ab. „The Sebadoh“, eine Platte wie ein hartes, blankpoliertes Brett, war die Antwort. Nie klangen Sebadoh (mit neuem Schlagzeuger Russ Pollard) so sehr nach einer geschlossenen Band.

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