Parole Brandi: Die Klospülung der Seele

Unsere Kolumnistin hat einen Schamanen aufgesucht. Jetzt muss die Behandlung nur noch wirken

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Vorbemerkung:
Diese Kolumne wurde durch eine Umfrage ausgewählt. Zur Auswahl standen noch Themen wie „Schönheits-OPs“, „Die Musikkrise nach Karl Marx“ und „Eine Kulturgeschichte des Drachen“. In absteigender Reihenfolge werde ich diese verbliebenen Themen (nach Absprache mit meiner Redaktion) gerne nacheinander für euch in die Form weiterer Kolumnen gießen.

Irgendetwas stimmt nicht mehr. Der Glaube an so gut wie alles ist vertrocknet, zerfallen, wie ein Keks, den jemand oben auf einem Regal vergessen hat, Jahre später dort findet, und beim Versuch, ihn da runterzuholen nur noch ein paar bröselige Krümel in die Finger kriegt.

Oder wie meine Mutter in Bezug auf die allgegenwärtige Zukunftsangst zu sagen pflegt: „Wo soll man sich jetzt noch hindenken?“

Das arme, kleine Hundebaby in uns

Für alle Schwierigkeiten, denen wir im Leben so begegnen, hat sich die Menschheit ja eine Schwemme an Dingen einfallen lassen. Ziemlich trendy ist es aktuell, sich mit „der Regulation des Nervensystems“ zu beschäftigen. Darunter lässt sich ein variierbares Modell zusammenfassen. Das geht im Großen und Ganzen davon aus, dass unsere anhaltende Angst vor dem Leben, der Welt und dem Tod wie ein zitterndes Hundebaby in einer Art Nervengeflecht irgendwo in unserem Nacken sitzt. Dort sabbert es bibbernd und jaulend den ganzen Boden voll. Und bellt auch immer wieder laut und nervig direkt in unser Ohr, wenn sich Gefahr nähert, ein dunkler Gedanke oder eine nicht gemachte Steuererklärung.

Dieses arme, kleine Hundebaby, so die über Social Media großflächig verbreitete Theorie, lässt sich beruhigen und regulieren. Wenn wir viel Geduld mitbringen, versteht sich. Dann können wir angeblich mit dem bewussten Durchstehen von negativen Gefühlen diesem inneren Zitterknäuel beweisen, dass wir „in Sicherheit“ sind. Und dann wird es mit der Zeit vielleicht etwas weniger nervös.

Sei doch einfach wie Danger Dan!

Alternativ besteht natürlich immer die Möglichkeit, sich für die Regeln irgendeines Erfolgssystems zu entscheiden, diese zu erlernen, zu befolgen und dann einfach bitte Erfolg zu haben. Sich ein für alle Mal komplett abhängig machen vom Außen und dann auch immer stärker zu sein als dieses Außen. Das gelingt nur den wenigsten, fällt also als Social-Media-tauglicher Ratgeber-Kram raus. Denn der muss ja immer massentauglich bleiben. „Sei doch einfach Elon Musk oder wenigstens Danger Dan“ ist als Ratschlag eher was für die besonderen Kinder auf dem Schulhof. Wahrscheinlich sogar für nur ein einziges besonderes Kind, das einmal in 20 Jahren Schulhof erscheint.

Nachdem ich zähneknirschend festgestellt habe, dass mir gerade für die ganz großen Ambitionen der Atem und für das Regulieren meiner Nerven die Geduld fehlt, dachte ich eines schönen Tages, Mensch, du hast doch diese Kolumne und dadurch gewissermaßen einen soziologischen Auftrag!

Und weil ich dann dachte, nee komm, jetzt lass auch krachen, keiner will was über Internet-Therapie hören, habe ich mir (extra für euch!) einen Termin bei einem Schamanen gebucht.

Der Schamane, den ich fand, heißt Björn. Er lebt in Köln und hat eine freundliche, mit allen wichtigen Informationen versehene Internetseite.

Erstkontakt mit dem Schamanen

Darüber kann mensch ihm direkt eine Email schreiben. Was ich auch tat. Ich fragte mich, was ein Schamane wohl hören muss, damit er sagt: „Ja, das klingt nach einem Problem für mich, komm vorbei.“ Ich erinnerte mich ganz dunkel an einen Film mit Cecile de France (die ich, äh, sehr mag), in dem sie irgendwann feststellt, dass sie Dinge sieht, die andere nicht sehen können. Und wie sie dann Schamanin wird. Und dass es bei der ganzen Sache immer irgendwie um „Ahnen“ geht.

Also schrieb ich etwas wie: „Lieber Björn, seit einiger Zeit fühle ich mich nicht gut. Es ist, als würde etwas nicht ganz zu mir gehören. Kannst du mir helfen?“

Daraufhin antwortete Björn, dass er das bestimmt könnte.

Wir machten einen Termin aus und ich fand das alles sehr aufregend.

Am Mittwochabend vor einer Woche war es soweit. Ich stieg in den Zug nach Köln. Auf der Fahrt dachte ich die ganze Zeit darüber nach, wie ich das Gespräch wohl richtig führen muss, damit der Schamane auch was zum Arbeiten hat. Ist ja oft so. Wenn ich zum Arzt fahre, will ich ja auch vorher zurechtlegen, wie ich alles in der Kürze der Zeit formuliere, damit eine gewisse Effizienz gewährleistet ist. Ich entschied mich dafür, mich auf zwei meiner Vorfahren zu konzentrieren. An irgendwas muss man so einen Besuch ja schließlich aufhängen.

Seelenreiniger ohne Badreiniger

Ich klingelte also um 18 Uhr an einer Wohnungstür irgendwo in der Kölner Innenstadt. Björn ließ mich herein. Ich betrat eine kleine Wohnung. Björn, der Schamane, saß bereits in einem Gaming-Sessel und wartete vor zwei großen Computerbildschirmen auf mich. Neben dem Ecksofa standen zwei Stofftulpen, die ich als Blitzlichter aus einem Fotostudio identifizierte, was mir das erste hohle Gefühl des Abends durch den Bauch schickte.

Wir begrüßten uns knapp und ich bat, auf die Toilette gehen zu dürfen. Etwas in mir brauchte kurz einen Moment für mich allein. Wenn mensch in einer fremden Umgebung ist, fällt ja jede Kleinigkeit sofort ganz anders auf. In diesem Fall war es der Schmutz. Wirklich: Diese Wohnung war die Wohnung des schmuddeligen Ex-Freunds, den mensch in der Schule gedatet hat, bevor einen Jahre später dann irgendeine Art von Kriterium oder Standard davon abgehalten hat (und vermutlich auch, weil mensch selbst damals noch ein wenig schmuddelig war). Und ich hatte eigentlich gehofft, nie wieder in so einer Wohnung sein zu müssen. Es gab im Bad keine Seife, das Handtuch war noch nie gewaschen worden, und anstelle von Toilettenpapier lag da eine Küchenrolle auf der Waschmaschine. Der PVC-Boden war fleckig, und ich setzte mich auf die okay-saubere große Couch, während Björn mich mit bohrendem Blick ansah und mich aufforderte, zu erzählen.

Also erzählte ich.

Währenddessen sah Björn mich mit einem Blick an, der so gar nicht zu seinem rundlichen KFZ-Mechanikergesicht passte. Seine Augen waren zwei braune, glühende Tunnel, und ich fühlte mich bis in meine Milz beobachtet.

Wie man Schamane wird

Björn stand auf und holte aus seiner kleinen Küche einen Karton mit zehn Eiern. Dann malte er mit Wasserfarbe bunte Kreuze oben auf die Eier und murmelte: „Du machst auf jeden Fall noch die Banane…“ und wenig später ging es los.

„Wir gehen rüber ins Schlafzimmer“, sagte Björn. Und in diesem Moment zuckte vor meinem Inneren zum ersten Mal an diesem Tag eine „BILD“-Schlagzeile vorbei: „Sängerin von Kölner Schwindler aufgeschlitzt“ oder etwas in der Art . Mir wurde mit einem Schlag bewusst, dass ich alleine in der Wohnung eines fremden Mannes war, der vor meinen Augen Eier bemalte, von Bananen sprach und Studioblitzlichter im Wohnzimmer stehen hatte für Gott weiß was.

Doch nun war ich schonmal da und ich hatte ein seltsames Vertrauen zu diesem Mann gefasst. Ich kann nicht sagen, wie genau Vertrauen sich bildet. Aber vielleicht lag es an der eher wortkargen Art, mit der er meine Erzählungen abnickte. Vielleicht an der Tatsache, dass er sagte, also, Schamane, das könne jeder Dorfdepp werden. Es käme nur darauf an, ob man „die Anzeichen“ habe.

Was denn für Anzeichen, fragte ich. Und da erzählte Björn mir, dass er von einem Yogalehrer ein Mantra bekommen hatte und auf dieses Mantra stark körperlich reagiert habe. Daraufhin habe sein Yogalehrer ihn mit dem Mann bekannt gemacht, von dem das Mantra kam. Dieser Mann, so stellte sich heraus, war ein nepalesischer Schamane aus Kathmandu. Und bei ihm ging Björn zwei Jahre in die Lehre. Er musste alle möglichen Tests bestehen- Als die alle bestanden waren, wurde er zu einer Art „Telefonleitung zwischen dieser und der anderen Welt“. Und das sei auch schon alles.

Das Missverständnis mit dem Talent

Ich dachte in diesem Moment nochmal ganz anders über das Wort „Talent“ nach. Es stimmt, was Fran Lebowitz sagt: Talent ist eine demokratische Sache, denn es ist absolut zufällig über die gesamte Menschheit verstreut. Man assoziiert damit fälschlicherweise noch andere Dinge wie vielleicht Intelligenz, Charakterstärke oder Exzellenz. Aber zunächst mal ist Talent einfach nur eins: eine Gabe, oder sagen wir, eine oftmals zarte, ausbaufähige Standleitung hin zu irgendeiner Sache. Und ja, die kann tatsächlich jeden Deppen treffen.

Warum denken wir eigentlich, geniale Musiker wären noch irgendwas anderes als eben nur das: geniale Musiker? Talent macht niemanden zu einem besseren Menschen. Björn, der Schamane, wirkte sogar selbst, wie soll ich sagen, fast ein klein wenig gestört davon, dass er dauernd Leute heilen oder von bösen Geistern befreien muss. Gibt halt nicht sonderlich viele Schamanen in Köln, darum muss er halt immer ran. „Und oftmals hab ich hier richtige Härtefälle“, sagte er mit einem Blick an die Wand über seinem Rechner, wo ein Bild der Hindu-Göttin Kali hing. Die könnt ihr gerne mal googeln, die ist cool. „Du selbst musst auch nicht dran glauben“, sagte Björn, kurz bevor es dann los ging. „Du solltest nur nicht komplett zu sein, sonst wird’s schwierig.“ Ok, dachte ich, das ist ein Zustand, mit dem ich schätzungsweise eh die ganze Zeit durchs Leben renne und folgte ihm ins Schlafzimmer.

Die Sache mit der Banane

Das Ritual selbst möchte und kann ich hier nicht in allen Einzelheiten beschreiben, so leid es mir tut. Es wäre zu kleinteilig und auch am Ende für Außenstehende nicht sonderlich interessant. Aber so viel sei gesagt: Es wurde viel auf nepalesisch (?) gemurmelt, und Björn klang dabei wie eine ganze Kuhherde, weil er mit einer dickperligen Kette behangen war, an der lauter Glocken befestigt waren. Schwitzend und sich abrackernd, beschwor, bestrich, bepustete und säuberte er mich.

Zum Schluss gab er mir besagte Banane in die Hand.

„Jetzt hol mit der Banane alle schlechte Energie aus deinem Körper, dort, wo sie sich angesammelt hat. Und dann nimm dieses Messer hier und hau sie durch.“

Es war vielleicht nicht schlecht, dass ich erst später erfuhr, dass wir die Banane „anstelle der Ziege“ nahmen (allein schon aus rechtlichen Gründen).

Als die Spitze der Frucht auf den schmutzigen Boden in Björns Schlafzimmer flog, sah er mich schwitzend an und meinte anerkennend: „Das war gut, das war sehr gut.“

Die Eier, in denen Björn aufwändig und konzentriert meine schlechte Planetenschlacke auffing, trug er mit einem Regenmantel und einer Sonnenbrille bekleidet nach draußen in den Park vorm Haus. „Da war deine Heaviness drin“, meinte er als er die Wohnungstür wieder aufschloss. „War richtig schwer, der Korb.“

Das Ritual dauerte im Ganzen fast eine Stunde.

Zwei Mantras für den Weg

Danach lehnte ich freundlich noch den Instantkaffee ab, den er mir, wieder im Wohnzimmer, bei den Blitzlichtern angekommen, anbot.

„Ich habe eine Kolumne im ROLLING STONE“, meinte ich weitsichtig. „Meinst du, ich darf über das hier schreiben?“

„Klar, kannst alles schreiben. Positives, Negatives. Wie du willst. Das hat keinen Einfluss“, meinte Björn gelassen. Und ich glaube, das war der Moment, an dem sich mein Vertrauen in den Schamanismus als solchen festigte, wie wenn man einen Deckel auf ein Joghurtglas festschraubt.

„Die Wirkung wird sich wahrscheinlich erst in den nächsten zwei bis drei Wochen zeigen“, gab Björn mir zum Schluss noch auf den Weg. „Ich gebe dir noch zwei Mantra mit, zur Stärkung. Aber  im Grunde bist du fit! Pragmatisch bist du. Und im Großen und Ganzen fit, das mit der Oma halt. Aber der Rest sollte demnächst auch besser werden.“

Ab jetzt zähle ich die Tage. Mein Besuch bei Björn ist heute eine Woche her. Wenn es wirklich wirkt, nimmt er höchstens eine Spende. Mit solchen Ritualen Geld zu verdienen, geht nämlich gegen die Schamanen-Ehre. Na, wenn das mal nicht Beweis genug ist, dass der Scheiß was taugt?

Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn diese Sache funktionieren und mein inneres Hundebaby in den kommenden zwei Wochen zu einem großen, starken Rottweiler mutieren würde. Und dass die ganze Erfahrung mit Björn dann genau so ist, wie sie sich währenddessen angefühlt hat. Nämlich so, als hätte bei mir jemand bloß mal eben die Klospülung wieder ans Laufen gebracht.

Und zwar umsonst.