Parole Brandi: Im Mordor der Museumsversuche

Unsere Kolumnistin wagte sich in eine Event-Kunst-Halle und wurde mit vermufftem Surrealismus erschlagen

Ich suche immer noch nach Worten, die Dortmund und seine Mentalität treffend beschreiben. Warum ich das tue? Weil solche subjektiven Zuschreibungen zum Beispiel in einer Kolumne gut ankommen. Je griffiger, desto besser. Folgende Attribute kommen immer wieder hoch, seitdem ich wieder in Dortmund lebe: Die Menschen hier sind herzlich, offen und, naja, übergriffig.

Da es gerade ins Frühjahr geht, fahre ich besonders gerne eine Fahrradstrecke, die von meiner Haustür bis zum Phoenix-See und über das Phoenix-Westgelände rüber zum Tierpark führt.

Vor einigen Tagen stieg ich bei strahlendem Sonnenschein neben der großen Hochofen-Ruine ab und dachte mir, ein Besuch in der angrenzenden Phoenix-Halle muss ja jetzt auch mal sein, warum nicht. Schon so viel von gehört.

Angepriesen wurde auf mehreren in die Sonne gestellten Aufstellschildern das Programm „Phoenix des Lumières“ und dass es eine Dalí-Ausstellung sei. O lala, „des Lumières“, wir sind jetzt französisch, dachte ich.

Der doppelt versiegelte Dalí

An der Kasse zahlte ich stolze 16 Euro, die ich nie wiedersehe. Dann schloss ich meinen Rucksack in einen Spint und betrat die Phoenix-Halle durch zwei aufeinanderfolgende, schwere, offenbar schalldichte Stahltüren.

Ich fand mich in einer Halle mit dem Ausmaß einer Kathedrale wieder und sofort verstand ich den Grund für die soeben durchquerte schalldichte Doppelversiegelung …

Verehrte Leserin, bitte mach dir das klar: In dieser Halle wurden – und werden in diesem Moment immer noch – überdimensionierte, knallbunte Projektionen mit Dalí-Motiven auf die hohen, dunklen Hallenwände geworfen, obwohl sie für sich genommen ja in ihrer Art gerade mal eine Baumwollleinwand ertragen, damit ihr surrealer Inhalt wenigstens ein kleines bisschen abgefangen wird …

Ich höre förmlich die Gedanken eines der Väter dieses Konzepts: „Hömma, die Halle, ne? Die steht ja im Prinzip komplett leer. Und wir wollen ja Kultur, ne? Watt aufhängen, datt funktioniert mit so großen Wänden nich’, da kannze sagen, was du wills‘, datt muss alles größer. Wir machen ne bewegte Lichtinschtallazion, dat machen wa!“

Nochmal zurück zu dem Moment, in dem ich den Raum betrat: Ich kam herein und wähnte mich in einer kirchengroßen Lavalampe, Achtung: mit Sound.

Kunst auf 11 drehen

Das war ja das Allerschlimmste daran. Nicht nur wurde ich für 16 Euro (nochmal in Worten: sechzehn!) in eine riesige, knallbunte, sich schwindelerregend bewegende Bildhölle gesperrt, von überall her in diesem Mordor der Museumsversuche ertönte auch noch ohrenbetäubende Rockmusik, Interpret: unbekannt, wahrscheinlich ein Dortmunder Musiker, der hier einen GEMA-Betrag generiert, für den er sich zehn neue Signature-Gitarren kaufen kann.

Dortmund in seiner Übergriffigkeit und seinem gänzlich abwesenden Genie hat sich wahrscheinlich des Weiteren überlegt: „Hm, also – Museen sind ja hier am Aussterben, ne? Datt is’ wahrscheinlich, weil die ja auch immer so leise sind!“

Ich jedenfalls verließ das Museum nach insgesamt sieben Minuten. Am Ausgang stand eine Tafel mit einem Touchscreen, wo geneigte Besucher:innen „Feedback“ zur eben erlebten Ausstellung geben konnten.

Ich scrollte vergeblich nach einer Frage zum Inhalt oder wenigstens der Umsetzung. Alles, was Dortmund von mir wissen wollte, war, ob ich mich sicher, gut betreut und – OMG – sauber gefühlt habe bei meinem Besuch.

Deutschland mit all deiner Unsäglichkeit, manchmal bist du einfach nirgendwo spürbarer als im ansonsten manchmal sehr schönen Dortmund …

Aber was nützt es, Ambivalenzen sind zum Aushalten da, wie meine Tante einmal so schön sagte.

To be continued.

 

 

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