Parole Brandi: Tränen im Vollbart, Schwof auf der Gummimatte
Um sich für harte Zeiten zu wappnen, hat unser Kolumnistin sich in die Welt der Männerbünde begeben und betreibt Kampfsport.
Lange keinen Kampfsport mehr trainiert.
Jetzt in Dortmund sind die Zeiten rauer, das kann ich euch sagen.
Hier streifen Messerstecher und Pyromaninnen durch die Gegend, die Leute abstechen und Häuser anzünden, außerdem gibt es immer wieder random Überfälle, Einbrüche und Ärger mit irgendwelchen Schlägergruppen.
Also machst du besser Kampfsport, ob du willst oder nicht, manche Dinge zwingt dir das Leben nun mal auf, die suchst du dir nicht aus.
Seit einigen Wochen gehe ich zweimal die Woche zum Kampfsport in den Dortmunder Norden. Um mich darauf vorzubereiten habe ich zunächst mal wieder „Karate Kid“ geguckt, allerdings die Version mit Jackie Chan und Jaden Smith in den Hauptrollen. Einfach, um mich nochmal einzunorden.
Und eingenordet wurde ich.
Die Vier-Minuten-Hölle
Die Frage ist ja, warum man einen Kampfsport trainiert. Die meisten, die das machen, haben irgendeinen unangenehmen Auslöser dafür erlebt, sind wir mal ehrlich. Warum sonst solltest du dir die Schuhe und die Socken ausziehen, dich in einer Art Kimono von der Festigkeit eines überdimensionalen Eierkartons und einer rutschenden Hose auf eine Fläche aus Gummimatten begeben, von deren letztem Reinigungszeitpunkt du nicht in Kenntnis gesetzt wurdest und auch nicht wirst, da es sonst heißen könnte „Kannst du ja gerne waschen, wenn’s dich ekelt“ oder es sind sonstige männliche Antworten zu erwarten.
Du stellst dich nicht in eine Reihe ausgewachsener, schwitzender Männer und lässt dich auf Kommando von ihnen würgen, es sei denn, du willst wirklich üben, dich nicht von irgendeinem Typen auf der Straße widerstandslos überwältigen zu lassen.
Auch lässt du nicht „die vier Minuten“ über dich ergehen. Eine Trainingseinheit am Ende der Stunde, bei welcher du vier Minuten lang abwechselnd Übungen direkt aus der Hölle machst, die alle mit dem Hochspringen und dem Niederwerfen zu tun haben auf unterschiedliche, möglichst ätzende Art und Weise.
Schwof auf der Gummimatte
Der Mensch sehnt sich nach Ritualen und nach Führung, soviel ist mal sicher. Sobald der Trainer die Gruppe begrüßt, hebt sich die Laune schon um ein Grad, nur um nach der Stunde und der ausgestandenen Tortur vollends in den Bereich der ausgewachsenen Euphorie zu klettern.
Allein irgendwo begrüßt werden macht froh. Dazwischen Körperkontakt, der, zumindest im Fall des „Brazilian Jiu Jitsu“, ganz klar von Menschen erdacht worden sein muss, die gerne engen Körperkontakt mit anderen Menschen genießen, aber sich vielleicht Zärtlichkeit nicht trauen? Oder einfach auf eine härtere Gangart stehen? Jedenfalls sieht es immer sehr innig aus, wenn sich ausgewachsene Männer mit den Beinen ineinander verhaken oder solange umarmen, bis der eine dem anderen endlich theoretisch den Arm brechen kann. Or is it just me?
Männlich bis zum ersten Schlag
Ich für meinen Teil habe mir für diese Trainingseinheiten jedenfalls vorsichtshalber einen Vollbart wachsen lassen und sage keinen Ton, damit mich der Rest der Gruppe für einen Mann hält.
Bisher bin ich auch noch nicht damit aufgeflogen.
Das liegt auch daran, dass ich überdurchschnittlich stark bin. Jetzt müsste ich eigentlich nur noch aufhören zu weinen, sobald mich jemand schlägt. Bisher laufen mir nämlich ab dem Moment immer zuverlässig Tränen in meinen gut geölten Vollbart.
Jackie Chan: „Why do you want to win?“
Jaden Smith: „Because I’m still scared. And I don’t want to be scared anymore.“