Patti Smith: Patti, du sollst uns zum Tanzen bringen!“

Bevor sie die Muse des Punk sein konnte, musste sich Poetin Patti Smith erst ihren eigenen Rock'n'Roll erfinden - Künstlerfreund Robert Mapplethorpe half dabei.

New York, Frühjahr 1974: „Du solltest mehr singen!“ sagt der 27-jährige Fotograf Robert Mapplethorpe zu Patti Smith, seiner gleichaltrigen Künstlerfreundin und Ex-Geliebten. Die versucht sich schon seit einiger Zeit an musikalischen Dichterlesungen – doch jetzt wird es ernst. Wie sie im aufgeheizten Klima der Underground-Clubs von Manhattan von der Performance-Künstlerin zur echten Rock’n’Rollerin wurde, beschreibt Patti Smith in dieser Passage aus Ihrem neuen Buch „Just Kids“.

Wir hatten schon länger überlegt, eine Single aufzunehmen, um zu sehen, ob sich die Wirkung, die wir live erreichten, auch auf Schallplatte umsetzen lassen würde. Lenny (Kaye, Gitarrist, d. Red.) hatte Erfahrung damit, wie man eine Platte produziert, und als uns Robert (Mapplethorpe) das dafür nötige Geld anbot, buchten wir uns in Jimi Hendrix‚ Electric-Lady-Studio ein. Als Hommage an Jimi wollten wir „Hey Joe“ aufnehmen.

Wir wollten gerne noch eine weitere Gitarrenstimme einbauen, die für diesen verzweifelten Wunsch nach Freiheit stehen sollte, und hatten dafür Tom Verlaine auserkoren. Ich ahnte ungefähr, was Toms Appetit wecken könnte, und machte mich zurecht, wie es einem Jungen aus Delaware eigentlich gefallen musste: flache schwarze Ballerinaslipper, rosa Caprihose aus Shantung-Seide, mein gelbgrüner Seidenregenmantel, dazu noch ein violetter Sonnenschirm. So marschierte ich ins Cinemabilia, wo er gelegentlich jobbte. Der Laden war auf alte Filmfotos, Drehbücher und Schauspielerbiografien spezialisiert – von Fatty Arbuckle über Hedy Lamarr bis Jean Vigo. Ob ihn nun meine Aufmachung beeindruckte oder nicht, werde ich wohl nie erfahren, aber Tom war sofort Feuer und Flamme, mit uns ins Studio zu gehen.

Wir nahmen hinten im Studio B mit einem kleinen Achtspurgerät auf. Bevor wir loslegten, flüsterte ich „Hi, Jim“ ins Mikrofon. Nach ein oder zwei Fehlstarts fanden Richard (Sohl, Keyboarder), Lenny und ich zusammen, brachten unsere Aufnahme unter Dach und Fach, und Tom legte noch zwei Sologitarren-Tracks darüber. Lenny mischte beide zu einer schwindelerregenden Lead-Gitarre zusammen und fügte dann noch eine Bass Drum hinzu. Das war das erste Mal, dass wir Percussion einsetzten.

Robert, unser „geschäftsführender Produzent“, kam vorbei und beobachtete alles besorgt aus dem Kontrollraum. Lenny schenkte er einen silbernen Totenkopfring als Erinnerung an dieses historische Ereignis.

Nachdem wir „Hey Joe“ aufgenommen hatten, hatten wir noch fünfzehn Minuten übrig. Ich entschied, es mit „Piss Factory“ zu versuchen. Ich besaß immer noch die erste Schreibmaschinenfassung des Gedichts, die Robert vom Fußboden in der Twenty-third Street aufgelesen hatte. „Piss Factory“ war für mich damals so was wie meine persönliche Hymne: Sie erzählte, wie ich vor dem trostlosen Dasein einer Fließbandarbeiterin nach New York geflohen war. Lenny improvisierte zu Richards Soundtrack und ich hängte mich mit meinem Text dran. Genau um Mitternacht hatten wir unsere Aufnahme im Kasten.

Robert und ich standen vor einem dieser Wandgemälde mit Außerirdischen, die den Eingangsbereich des Electric-Lady-Studio zierten. Robert wirkte mehr als zufrieden, ließ es sich aber nicht nehmen, ein wenig zu mäkeln. „Patti, du hast ja gar nichts Tanzbares für uns aufgenommen.“

Ich sagte, das würde ich den Marvelettes überlassen.

Lenny und ich gestalteten das Cover für die Single und tauften unser Label Mer. Wir ließen 1500 Stück in einem kleinen Presswerk in der Ridge Avenue in Philadelphia pressen und vertrieben sie über Buch und Plattenläden, wo sie zwei Dollar das Stück kosteten. Außerdem stellte sich Jane Friedman bei unseren Konzerten an den Eingang und verkaufte die Platte aus einer Einkaufstüte. So wirklich stolz waren wir dann, als wir sie in der Jukebox im Max’s zu hören bekamen. Zu unserem Erstaunen wurde die B-Seite, „Piss Factory“, populärer als „Hey Joe“, was uns bewog, uns zukünftig mehr auf eigene Sachen zu konzentrieren.

Lyrik war immer noch mein Leitbild, aber ich hatte vor, eines Tages auch Robert seinen Wunsch zu erfüllen.

Nachdem ich Erfahrung mit Haschisch gemacht hatte, war Robert, fürsorglich wie immer, der Ansicht, ich könnte es wagen, mit ihm einen Trip zu schmeißen. Es war mein erstes Mal, und während wir darauf warteten, dass die Wirkung einsetzte, saßen wir auf meiner Feuertreppe mit Blick über die MacDougal Street.

„Hast du vielleicht Lust auf Sex?“, fragte mich Robert. Ich war überrascht und angenehm berührt, dass er mich immer noch begehrte. Doch bevor ich etwas darauf sagen konnte, nahm Robert meine Hand und sagte: „Entschuldige.“

In dieser Nacht gingen wir die Christopher Street runter zum Fluss. Es war zwei Uhr morgens, die Müllabfuhr streikte, und im Licht der Straßenlaternen huschten Ratten umher. Während wir uns dem Fluss näherten, gerieten wir in einen irren Auftrieb von Tunten, Bärtigen in Tutus, Lederheiligen und -engein. Ich kam mir vor wie der Wanderprediger in „Die Nacht des Jägers“. Alles nahm eine bedrohliche Färbung an, der Geruch nach Patchouli-Öl, Poppers und Ammoniak. Ich wurde zunehmend flatteriger.

Robert wirkte leicht amüsiert. „Patti, du müsstest im Moment eigentlich alle lieben.“ Aber ich konnte mich nicht entspannen. Es schien alles auszuarten, verschwamm zu orangefarben, rosa und giftgrün schimmernden Schemen. Es war eine feucht-heiße Nacht. Kein Mond und keine Sterne, weder echte noch halluzinierte.

Robert legte mir den Arm um die Schultern und brachte mich heim. Ich brauchte eine Weile, um diesen Trip einordnen zu können, dieses Pandämonium der Stadt. Willkürlicher Sex. Flitterbesetzte Schleppen, die von muskulösen Armen flattern. Katholische Medaillons, von glattrasierten Hälsen gerissen. Dieses großartige Festival, dem ich mich nicht hatte öffnen können. Ich schrieb nichts in dieser Nacht, aber die Bilder marodierender Cockettes und Wild Boys zeugten bald darauf die Vision von einem teetrinkenden Jungen in einem Korridor.

William Burroughs war zugleich alt und jung. Halb Sheriff, halb Privatschnüffler. Hundert Prozent Dichter. Er besaß ein Medizinschränkchen, das immer abgeschlossen war, aber wenn man Schmerzen hatte, schloss er es auf. Er sah Menschen, die er mochte, nicht gerne leiden. Wer Hunger litt, den speiste er. Dann stand er plötzlich mit einem in Zeitungspapier gewickelten Fisch vor deiner Tür und briet ihn auch noch für dich. Er war für ein Mädchen unerreichbar, aber ich liebte ihn trotzdem.

Er hauste mit seiner Schreibmaschine, seiner Flinte und seinem Mantel in einer fensterlosen Unterkunft. Von Zeit zu Zeit schmiss er sich in seinen Mantel, kam zu uns rüber und setzte sich auf den eigens für ihn reservierten Platz vor der Bühne. Oft saß Robert in seiner Lederjacke an Williams Seite. Johnny and the horse.

Wir waren mitten in einem mehrwöchigen Engagement im CBGB, das im Februar begonnen hatte und bis in den Frühling andauerte. Wir traten zusammen mit Television auf, wie schon im Sommer zuvor im Max’s, und spielten von donnerstags bis sonntags abwechselnd zwei Sets. Es war das erste Mal, dass wir als Band regelmäßig auftraten, und es half uns, den roten Faden zu finden, der die unterschiedlichen Strömungen in unseren Sachen zusammenhielt.

Im November waren wir mit Jane Friedman nach Los Angeles gereist, zu unserem ersten Auftritt im Whisky a Go Go, wo schon die Doors gespielt hatten, und dann weiter nach San Francisco. Dort hatten wir über dem Ladenlokal von Rather Ripped Records in Berkeley gespielt und bei einer Audition Night im Filmore West, mit Jonathan Richman am Schlagzeug. Ich war zum ersten Mal in San Francisco, und natürlich waren wir zu City Lights gepilgert, in dessen Schaufenster die Bücher all unserer Freunde standen. Während dieser ersten Reise, die uns aus New York heraus führte, fassten wir den Entschluss, einen weiteren Gitarristen zu finden, um unseren Sound auszubauen. Wir hörten Musik in unseren Köpfen, die wir in unserer Trio-Besetzung nicht hinbekamen.

Wieder in New York, schalteten wir eine Suchanzeige in der Village Voice. Die meisten, die sich meldeten, hatten bereits konkrete Vorstellungen, was sie machen oder wie sie klingen wollten, und so gut wie keiner konnte sich für ein Mädchen als Chef erwärmen. Meinen dritten Mann fand ich schließlich in Gestalt eines reizenden Tschechen. In seiner ganzen Erscheinung und seinem musikalischen Stil huldigte er der Tradition und dem Versprechen des Rock’n’Roll, etwa so, wie die Rolling Stones den Blues zelebriert hatten. In Prag hatte er eine vielversprechende Karriere als Popstar vor sich gehabt, doch mit dem Einmarsch der Russen 1968 hatten sich all seine Träume zerschlagen. Nach der Flucht mit seiner Familie musste er wieder ganz von vorne anfangen. Er barst vor Energie, war für alles offen und bereit, unser sich ständig ausweitendes Rock’n’Roll-Konzept mit zu tragen und zu verstärken.

Wir betrachteten uns als die Sons of Liberty und sahen unsere Mission darin, den revolutionären Geist des Rock’n’Roll zu bewahren, zu schützen und weiterzutragen. Uns alle trieb die Furcht, die Musik, die unsere Muttermilch gewesen war, sei dabei, spirituell zu verkümmern. Wir fürchteten, sie würde ihre Durchschlagskraft einbüßen, wir fürchteten, sie würde in fette Hände fallen und in einem Morast von Bombast, Geschäftemacherei und leerer Virtuosität untergehen. Wir sahen uns wie Paul Revere durch die amerikanische Nacht reiten, die Menschen aus dem Schlaf reißen und zu den Waffen rufen. Auch wir wollten zu den Waffen greifen, den Waffen unserer Generation, der elektrischen Gitarre und dem Mikrofon.

Das CBGB war der ideale Ort für diesen Fanfarenstoß. Ein Klub auf der Straße der Geknechteten, der eine seltsame Klientel anzog, die wiederum noch unbesungene Künstler mit offenen Armen aufnahm. Für Hilly Kristal galt nur eins: Um dort auftreten zu dürfen, musste man neu und originell sein.

Vom tiefsten Winter bis zum Frühlingsanfang holperten und stolperten wir so dahin, bis wir unsere Gangart gefunden hatten. Während wir spielten, entwickelten die Songs ein Eigenleben und sogen nicht selten die Energie des Publikums auf, die Atmosphäre des Ladens, unser zunehmendes Selbstvertrauen und die Ereignisse, die in unserem unmittelbaren Umfeld passierten.

Ich erinnere mich an so viele einzelne Eindrücke aus dieser Zeit. Der Geruch nach Pisse und Bier. Die verschlungenen Gitarrenläufe von Richard Lloyd und Tom Verlaine, die sich zu „Kingdom Come“ formierten. Eine Version von „Land“ – „verbrannte Erde“, wie Lenny es nannte -, in der Johnny sich seinen eigenen Weg freisprengt, auf mich zurast aus der von wilden Jungs beherrschten Acid-Nacht, vom Spind auf dem Korridor zum Ozean der Möglichkeiten, als hätten wir einen direkten Draht zum dritten beziehungsweise vierten Sinn von William und Robert, die direkt vor uns saßen. Ich erinnere mich, dass Lou Reed da war, dessen Pionierleistung für die Synthese von Dichtung und Rock’n’Roll uns allen den Weg geebnet hat. Die hauchdünne Linie zwischen Bühne und Publikum, die Menschen, die Gesichter aller, die uns unterstützten. Jane Friedman, die uns strahlend mit Clive Davis, dem Präsidenten von Arista Records, bekannt machte. Sie spürte, dass er, sein Label und wir wie füreinander gemacht waren. Und an mich, wie ich am Ende jedes Abends vor der Markise mit der Aufschrift CBGB & OMFUG stehe und zusehe, wie die Jungs unser bescheidenes Equipment in den Fond von Lennys 64er Impala packen.

Zu dieser Zeit tourte Allen (Lanier, ihr damaliger Partner) so intensiv mit Blue Öyster Cult, dass sich einige schon fragten, wie ich an jemandem festhalten konnte, der praktisch nie zu Hause war. Tatsächlich lag mir sehr viel an ihm, und ich dachte, was uns verband, sei stark genug, um seine langen Abwesenheiten zu überstehen. Viel Zeit für mich zu haben, verschaffte mir den nötigen Freiraum, an meiner eigenen künstlerischen Weiterentwicklung zu arbeiten, doch nach einer Weile kam heraus, dass er wiederholt mein Vertrauen grob missbraucht hatte, wobei er uns beide gefährdete und seine Gesundheit riskierte. Dieser liebenswürdige, intelligente und scheinbar so gesittete Mann pflegte auf Tour einen Lebensstil, der nichts mit dem zu tun hatte, was ich für unser stillschweigendes Einvernehmen hielt. Unsere Beziehung ging schließlich daran kaputt, doch das änderte weder etwas an dem Respekt, den ich für ihn empfand, noch an der Dankbarkeit für alles, was er für mich getan hat, als ich mich auf unbekanntes Terrain wagten.

Der Sender WBAI war eine der letzten Bastionen revolutionärer Gesinnung in der Radiolandschaft. Am 28. Mai 1975 gaben wir zu seinen Gunsten ein Benefizkonzert in einer Kirche an der Upper East Side. Wir waren die Idealbesetzung für eine unzensierte Live-Übertragung, nicht nur in ideologischer, auch in ästhetischer Hinsicht. Weil wir uns an keinerlei Vorgaben halten mussten, konnten wir nach Belieben improvisieren, was ausgesprochen selten war, selbst bei den progressivsten FM-Sendern. Wir waren uns sehr bewusst, wie viele Menschen wir damit erreichten – unser erstes Mal im Radio.

Unser Set endete mit einer Version von „Gloria“, die im Laufe der letzten Monate Gestalt angenommen hatte und mein Gedicht „Oath“ mit Van Morrisons Klassiker verschmolz.

Alles hatte mit Richard Hells kupferrotem Danelectro-Bass angefangen, den wir ihm für vierzig Dollar abgekauft hatten. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, ihn zu spielen. Weil er so klein war, dachte ich, ich müsste damit zurechtzukommen. Lenny zeigte mir, wie man ein E spielt, und als ich es anschlug, zitierte ich: „Jesus died for somebody’s sins but not mine.“ Ich hatte diese Zeile ein paar Jahre zuvor als Manifest der Selbstbehauptung niedergeschrieben, in dem ich gelobte, die Verantwortung für mein Handeln fortan selbst zu tragen. Jesus war ein Mann, gegen den zu rebellieren sich lohnte, denn er war der Inbegriff der Rebellion.

Lenny spielte die klassischen Rock-Akkorde an, E, D, A, und die Vermählung der Akkorde mit dem Gedicht machte mich ganz aufgeregt. Drei Akkorde fusionieren mit der Allmacht des Wortes. „Ist das ein richtiger Song?“

„Der größte überhaupt“, antwortete er, ging in „Gloria“ über, und Richard stieg darauf ein.

Während der Wochen, die wir im CBGB aufgetreten waren, war uns allen klargeworden, dass wir uns zur Rock’n’Roll-Band entwickelten, allerdings zu unseren eigenen Bedingungen. Am ersten Mai bot mir Clive Davis einen Plattenvertrag bei Arista Records an, und am siebten unterschrieb ich. Wir hatten es nicht ausgesprochen, doch während der Radio-Session hatten wir alle gespürt, dass sich etwas bewegte. Als wir das improvisierte Ende von „Gloria“ erreichten, hatten wir zu uns selbst gefunden.

Lenny und ich bauten Beat und Text zusammen, Richard lieferte das Fundament, und Ivan stützte unseren Sound. Es war Zeit für den nächsten Schritt. Wir brauchten noch jemanden von unserem Schlag, der uns nicht ändern, sondern vorwärtstreiben würde, der einer von uns sein würde. Wir beendeten unseren furiosen Set mit dem Aufruf: „Wir brauchen einen Drummer, und wir wissen, du bist irgendwo da draußen.“

Er war sogar noch näher, als wir gedacht hatten. Jay Dee Daugherty hatte unseren Sound im CBGB gemischt, wofür er Bauteile seiner eigenen Stereoanlage benutzt hatte. Er war ursprünglich mit Lance Louds Mumps von Santa Barbara nach New York gekommen. Fleißig, etwas zurückhaltend und, ein großer Fan von Keith Moon, wurde er innerhalb von zwei Wochen nach unserem WBAI-Gig Teil unserer Generation.

Wenn ich jetzt in unseren Proberaum kam und den wachsenden Berg unseres Equipments anschaute, unsere Fender Amps, Richards RMI-Keyboard und jetzt auch noch Jay Dees silbernes Ludwig-Schlagzeug, konnte ich meinen Stolz darüber, Chefin einer Rock’n’Roll-Band zu sein, nicht verhehlen.

Unseren ersten Auftritt mit Drummer hatten wir im Other End, in der Nähe meiner Wohnung auf der MacDougal Street. Ich musste mir nur die Schnürsenkel binden, meine Jacke überwerfen und konnte zur Arbeit laufen. Für uns ging es bei diesem Job in erster Linie darum, ins Zusammenspiel mit Jay Dee zu finden, doch andere wollten sehen, wie wir mit dem Erwartungsdruck zurechtkamen. Am ersten der vier Abende, für die wir gebucht waren, sorgte schon die Anwesenheit von Clive Davis für eine gewisse Aufregung. Während wir uns durch die Menge zur Bühne schoben, lud sich die Atmosphäre noch mehr auf, wie vor einem Gewitter.

Dieser Abend wurde, wie man so sagt, zum Juwel in unserer Krone. Wir spielten als kompakte Einheit, und die Vitalität und Punktgenauigkeit der Band katapultierten uns in eine neue Dimension. Doch trotz des Tumults um mich herum nahm ich ebenso untrüglich, wie der Hase den Hund wittert, noch jemanden im Raum wahr. Er war da. Plötzlich begriff ich, was knisternde Spannung bedeutet. Bob Dylan hatte den Club betreten. Diese Gewissheit hatte eine seltsame Wirkung auf mich: Statt mich klein und unbedeutend zu fühlen, durchpulste mich ungeahnte Kraft. Möglicherweise ging sie von ihm aus, aber ich spürte auch deutlich, was ich und meine Band wert waren. Ich empfand diese Nacht wie eine Initiation, in der ich in Gegenwart des Menschen, nach dessen Vorbild ich mich erschaffen hatte, endgültig ich selbst wurde.

Am 2. September 1975 öffnete ich die Tür zum Electric-Lady-Studio. Auf der Treppe musste ich an den Abend denken, an dem Jimi Hendrix für einen Moment stehen geblieben war, um sich mit einem schüchternen jungen Mädchen zu unterhalten. Ich betrat das Studio A. John Cale, unser Produzent, saß am Mischpult, und im Aufnahmeraum bauten Lenny, Richard, Ivan und Jay Dee ihr Equipment auf.

Die nächsten fünf Wochen waren wir mit der Aufnahme und dem Abmischen von „Horses“, meinem ersten Album, beschäftigt. Jimi Hendrix war nie zurückgekehrt, um seine neue Musiksprache zu schaffen, doch sein Studio war uns geblieben und seine großen Hoffnungen für die Zukunft der Stimme unserer Kultur waren noch überall spürbar. Diese Dinge trieben mich um, als ich in die Vocal Booth trat: Meine Dankbarkeit für den Rock’n’Roll, der Hindurch schwierige Jahre meiner Jugend geholfen hatte. Die Freude, die ich beim Tanzen empfand. Die moralische Kraft, die ich daraus zog, eigenverantwortlich für mich und mein Tun zu sein.

All das findet sich in „Horses“ wieder, aber auch unsere Verbeugung vor denen, die uns den Weg bereitet haben. In „Birdland“ warten wir mit dem jungen Peter Reich darauf, dass sein Vater Wilhelm Reich vom Himmel herabsteigt, um ihn holen zu kommen. In „Break It Up“ erzählen Tom Verlaine und ich von einem Traum, in dem Jim Morrison wie Prometheus gefesselt ist und sich plötzlich losreißt. „Land“ verschränkt die Wild-Boys-Bildwelt mit den Stationen von Hendrix‘ Sterben. In „Elegie“ sind sie alle versammelt: gegenwärtig, gestern, heute, morgen, alle, die wir verloren hatten oder zuletzt endgültig verlieren würden.

Es hatte von Anfang an festgestanden, dass niemand anderer als Robert das Coverfoto für „Horses“ machen würde; Roberts Bild würde die Scheide für mein akustisches Schwert zieren. Ich hatte noch keine Vorstellung davon, wie das Foto aussehen sollte, ich wusste nur, dass es wahrhaftig sein sollte. Das Einzige, was ich Robert versprochen hatte, war, mir ein sauberes Hemd anzuziehen, ganz ohne Flecken. Ich kaufte mir bei der Heilsarmee auf der Bowery einen Stapel weißer Oberhemden. Einige waren mir zu groß, aber das, das mir am besten gefiel, war ordentlich gebügelt und trug ein Monogramm unter der Brusttasche. Es erinnerte mich an ein Foto von Brassai, das Jean Genet in einem weißen Hemd mit Monogramm und aufgerollten Ärmeln zeigt. In mein Hemd war ein RV eingestickt. Ich malte mir aus, es hätte früher Roger Vadim gehört, dem Regisseur von „Barbarella“. Ich trennte die Ärmelaufschläge ab, damit es unter mein schwarzes Jackett passte, das ich mit der Pferde-Anstecknadel schmückte, die mir Allen Lanier geschenkt hatte.

Robert wollte mich in der Wohnung von Sam Wagstaff fotografieren, da dessen Penthouse in der Hausnummer eins der Fifth Avenue von Tageslicht durchflutet wurde. Das Eckfenster warf ein Schattendreieck, das Robert unbedingt für die Aufnahme nutzen wollte.

Ich rollte mich aus dem Bett und stellte fest, dass ich spät dran war. In Windeseile brachte ich mein Morgenritual hinter mich: Ich lief zur marokkanischen Bäckerei um die Ecke, schnappte mir ein knuspriges Brötchen, einen Zweig Minze und ein paar Sardellen. Wieder zu Hause, setzte ich Wasser auf und steckte die Minze ins Teekännchen. Ich träufelte Olivenöl in das aufgeschnittene Brötchen, spülte die Sardellen ab, legte sie ins Brötchen und streute Cayennepfeffer drüber. Ich schenkte mir ein Glas Tee ein und wartete noch damit, mir mein neues Hemd anzuziehen, ich hätte es mir sonst mit Olivenöl vollgetropft.

Robert kam mich abholen. Er war unzufrieden, weil es sehr bedeckt war. Ich zog mich fertig an: schwarze, schmal zulaufende Hose, weiße Baumwollsocken, schwarze Capezio-Ballerinas. Dazu noch meinen Lieblingsbinder. Robert bürstete mir die Krümel vom schwarzen Jackett.

Wir gingen raus. Er hatte Hunger, weigerte sich jedoch, mein Sardellenbrötchen zu essen, also aßen wir schließlich Maisgrütze mit Eiern im Pink Tea Cup auf der Christopher Street. Irgendwie verrann der Tag. Es war bewölkt, dunkel, und Robert wartete immer noch auf Sonne. Endlich klarte es am späten Nachmittag auf. Wir überquerten gerade den Washington Square, als der Himmel sich wieder zu verdunkeln drohte. Robert hatte Angst, wir könnten das letzte Sonnenlicht verpassen, daher rannten wir den Rest des Weges zur Hausnummer eins Fifth Avenue.

Das Licht schwand bereits. Robert hatte keinen Assistenten. Wir sprachen nie darüber, was wir machen wollten und wie es aussehen sollte. Er fotografierte einfach. Ich ließ mich einfach fotografieren.

Ich konzentrierte mich ganz aufs Aussehen. Er konzentrierte sich aufs Licht. Mehr war nicht nötig.

Sams Wohnung war spartanisch eingerichtet, alles in Weiß gestrichen und nahezu unmöbliert. Am Fenster mit Blick auf die Fifth Avenue stand ein großer Avocadobaum. Ein großes Prisma brach das Licht zu Regenbogenfarben, die in Kaskaden über einen weißen Heizkörper auf die Wand gegenüber fielen. Robert platzierte mich neben dem Dreieck aus Licht. Seine Hände zitterten leicht, als er darauf wartete abzudrücken. Ich stand da.

Wolken zogen in schneller Folge vorüber. Irgendwas war mit seinem Belichtungsmesser, Robert war genervt. Er machte ein paar Aufnahmen. Er gab das mit dem Belichtungsmesser auf. Eine Wolke zog auf, und das Dreieck verschwand. Er sagte: „Das Weiß von deinem Hemd gefällt mir wirklich gut. Kannst du mal das Jackett ausziehen?“

Ich warf mir mein Jackett über die Schulter wie Frank Sinatra. Ich hatte den Kopf voller Zitate. Er nur Licht und Schatten im Kopf. „Jetzt ist es wieder da“, sagte er.

Er machte noch ein paar Aufnahmen. „Ich hab’s.“

„Woher weißt du das?“ „Ich weiß es eben.“ Er machte an dem Tag zwölf Aufnahmen.

Nach ein paar Tagen zeigte er mir die Kontaktabzüge. „Das hier hat Magie“, sagte er.

Wenn ich das Foto heute betrachte, sehe ich nie mich. Ich sehe uns.“

Patti Smith: „Just Kids“

„Die Geschichte einer Freundschaft“ ist der deutsche Untertitel von Patti Smiths Erinnerungen an die wilde New Yorker Zeit mit Robert Mapplethorpe. Ab 18. März bei Kiepenheuer & Witsch, 304 Seiten. 19,95 Euro

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