Phantom Power

Als „phantom record“ bezeichnet Shawn Colvin mittlerweile ihr letztes Album, das 2001 erschienene ,“Whole New You“ eine Platte, die es nicht wirklich gibt. Sie meint damit zunächst die Ignoranz ihres damaligen Labels, die das Werk nicht mochte und verhungern ließ, doch nicht nur das: „Whole New You“ war insgesamt eine Krisenplatte.

Shawn Colvin war just Mutter geworden und fand während der großen Umbrüche und Veränderungen einfach keine Poesie in ihrem Leben, aus der schöne Lieder hätten werden können. Dazu kam der schlimme Druck, den „Grammy“-Erfolg des Vorgängers, „A Few Small Repairs“ (die Hitsingle „Sunny Came Home“ wurde als bester Song und beste Platte des Jahres ausgezeichnet), wiederholen zu müssen – Colvin sagte damals etwas lapidar, man müsse sich auch mal auf die eigenen Standards verlassen können aber jeder weiß natürlich, dass man das nur in den wenigsten Fällen kann. „Whole New You“ ist dabei eigentlich gar keine schlechte Platte, weil Colvins Langzeitkomplize John Leventhal hier ja einen Großteil der musikalischen Verantwortung trägt und einiges verschleiern kann. Aber es ist doch etwas Bleiernes in diesen Liedern, die vor allem davon handeln, nirgendwo zu sein. Die Fans spürten den Zerriss der Künstlerin und goutierten ihn nicht – bis heute verkauft sich die Platte nicht mal nach den Konzerten, obwohl diese Diskografie doch ohnehin kaum Einträge hat. „Ich habe drei Jahre lang kein Wort getextet“, sagt Shawn Colvin heute, „es hat lange gedauert, bis ich diesen gigantischen Rollenwechsel – von der ewig Heranwachsenden zur Mutter – vollzogen hatte. Ich wollte irgendwo ankommen und mir nicht mehr ständig nur auf den eigenen Nabel gucken. Ich bin dann in einen Vorort von Houston gezogen und dachte mir, dass das wirklich ein guter Ort zum Sterben ist. Ich stelle das Abendbrot auf den Tisch, ich mähe den Rasen, mein Kind fährt mit dem Rad zur Schule. Es ist nicht alles gut – ich habe viele Dinge falsch gemacht, die nicht mehr gerade zu biegen sind, und es gibt Sachen, die ich mir für mein Leben vorgenommen hatte, die ich aller Voraussicht nach niemals machen werde. Aber das Leben ist nun mal nicht perfekt und wird es auch nicht mehr. Ich musste mich daran erst gewöhnen.“

Weil das neue Werk, „These Four Walls“, von eben solchen Einsichten handelt, nennt es die „New York Times“ eine „midlife crisis record“, doch das ist nicht richtig. Colvin, die mittlerweile 50 Jahre alt ist, singt wohl von der Reue und dem Tod, aber der Grundton ist doch eher versöhnlich und vorsichtig hoffnungsvoll, als verlöre der ganze Irrwitz der Existenz bei genauem Hinsehen seinen Schrecken.

Die Inhalte müssen ohnehin hinter der wichtigeren Nachricht zurückstehen: Colvin hat ihre Poesie wieder und findet schöne Melodien zu Leventhals Premium-Folkpop-Playbacks, die diesmal bei aller Gleichförmigkeit doch gut gelingen – es liegt ein Geheimnis in diesen Liedern, weil Colvin nicht leicht zu haben ist und selbst in den empathischten Momenten auf Distanz bleibt zu ihren Charakteren wie zum Publikum. „Ich bin in den gelungensten Momenten selbst davon überrascht, was aus meinem Mund kommt und wie die Worte ein Eigenleben entwickeln. Früher konnte ich beliebig lang darauf warten, bis diese Momente kommen. Heute muss die Kreativität dann kommen, wenn ich für sie Zeit habe.“

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