Preis für Popkultur: Auszeichnungen für Moderat, Drangsal, Kraftwerk und Böhmermann

Premiere für den „Preis für Popkultur“ im Berliner Tempodrom: Vor 2000 Gästen wurde am Freitagabend zum ersten Mal der neue deutsche Musik-Award verliehen. Zu den Gewinnern zählten Moderat, Drangsal und Kraftwerk. Die Auszeichnung mit dem sachlichen Titel will eher „Mercury Prize“ sein als „Echo“ – und ist auf dem besten Weg dahin. Mit gelegentlichen Stolperern.

Irgendetwas fehlt doch. Ja, klar, Dieter Gorny hat gar nicht gesprochen! Seit Jahren eröffnet der Lobbyist die alljährliche „Echo“-Verleihung mit einer kurzen Rede, und noch bevor die Kameras angehen und die ARD die schier endlose Selbstbeschau der deutschen Musikindustrie überträgt, lobt Gorny in wohlgesetzten Variationen Kreativität und Potenz der Branche.

Hier stolpert Bernd Begemann auf die Bühne, ein Moderator in zerknitterten Hosen, und erklärt erst einmal gar nichts. Isolation Berlin spielen, ein paar Mädchen jubeln vor der Bühne und sie jubeln noch viel lauter, wann immer K.I.Z. vom Moderator erwähnt werden, die in fast jeder Kategorie nominiert sind, am Ende aber leer ausgehen. Doch am Ende, da spielen Drangsal, frisch gekürte „Newcomer des Jahres“, und Begemann hat sein Sakko ausgezogen.

Als „Gegen-Echo“ wurde dieser neue Musikpreis mitunter angekündigt. Was die Initiatoren natürlich weit von sich weisen. Und tatsächlich präsentiert sich der schlicht und etwas sperrig getaufte „Preis für Popkultur“ vor allem als „für“. Eine Jury aus 400 Musikern, Kritikern, Tonträgerindustrieellen wählt die aus ihrer Sicht besten deutschen Bands, Künstler, Alben des Jahres. Träger des Preises ist ein Verein, der aus den Jurymitgliedern besteht. Jedes hat eine Stimme. Wie in einer Demokratie. Kommerzieller Erfolg, Verkaufszahlen und die Macht der großen Plattenlabel spielen im Gegensatz zum „Echo“ keine erkennbare Rolle.

Geschmack ist das Kriterium, Relevanz vielleicht

Und so wird der pausbackige, knallsympathische, ewig tänzelnde Bosse vor dem ebenfalls nominierten Udo Lindenberg zum „Solokünstler des Jahres“ gewählt und niemand fragt, ob der echt mehr Tonträger verkauft hat als der andere. Ob er tatsächlich besser ist – eine ganz andere Frage. Auf welchen Kriterien die Antwort beruht, die jene leider anonym bleibende Branchen- und Szene-Jury aus Tontechnikern, Plattenfirmenangestellten und Musikjournalisten gibt, ist unklar. Es muss wohl Geschmack sein, Relevanz vielleicht. Nils Frahm und DJ Koze sind in der selben Kategorie nominiert wie Udo. Das ist schon ein ganz schönes Spektrum.

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Bei den „Solokünstlerinnen“ gewinnen punktgleich (so etwas gibt es, wie ulkig! Und so etwas gibt es beim „Echo“ natürlich auch nicht) die komplett unbekannte, aber bereits hoch gehandelte Mine und die altgediente Show-Wuchtbrumme Peaches. Die war gar nicht erst die paar Meter von Prenzlauer Berg zum Tempodrom gekommen, unterstellte sie doch dem neuen Award, Peaches solle doch wieder bloß als Ausweis für Schrillness herhalten. Nö, da gab es ja genug. Sogar die tolle, eher wenig bekannte Elektronikkünstlerin Helena Hauff war nominiert.

Angenehm zügig und unprätentiös ging die Verleihung über die Bühne, Moderator Begemann vernuschelte seine Pointen, Produzentenlegende Daniel Miller hielt die nicht enden wollende Laudatio auf Kraftwerk, die – naheliegend und völlig o.k. – für ihr „Lebenswerk geehrt wurden. Damit definierte sich der neue „Preis für Popkultur“ zum ersten Mal an diesem Abend. Man hätte ja auch die Rattles oder BAP auszeichnen können. Man wählte jedoch den weltbekanntesten und eigenständigsten Exportschlager der deutschen Popkultur.

Zügig auch die Kurzgigs von Boy (nominiert, leer ausgegangen), Bosse (nominiert, gewonnen) und dem umkreischten Caspar (nominiert, gewonnen mit „Bester Song“), der sich Gastsänger Blixa Bargeld auf die Bühne holte, der wiederum den Liedtext vom Blatt absang, gravitätisch und beleibt, mit Silberhaar und dreiteiligem Anzug. Ein großer Moment. Wovon man sich ein paar mehr gewünscht hätte.

Aber ein Anfang, und das ist schon eine ganze Menge.

Die Gewinner:

Newcomer des Jahres: Drangsal

Live-Show: Deichkind

Geschichte: Jan Böhmermann für seine „Schmähkritik“

Solokünstlerin: Mine und Peaches

Solokünstler: Bosse

Bester Club: Golden Pudel, Hamburg

Spannendste Kampagne: Plus 1 (Gästelistenplätze für Flüchtlinge)

Song: Capar für „Lang lebe der Tod“

Video: Beginner für „Ahnma“

Band: Moderat

Album: Moderat für „III“

Ehrenpreis: Kraftwerk

Anmerkung: Der Autor ist nicht anonym und Mitglied der 400-köpfigen Jury.

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