Bilder von Ralph Gibson: Lust der Unergründlichkeit

Ein XXL-Band versammelt die rätselhaften Leica-Bildwelten von Ralph Gibson.

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„Ich fotografiere, was ich nicht erklären kann“, sagte Ralph Gibson einmal. Damit beschreibt der Fotograf fast schon etwas nüchtern das Programm seiner vielfältigen, seit den 1960er-Jahren entstandenen Serien, die keine visuellen Genre-Grenzen kennen, aber stets mit einer Leica aufgenommen wurden.

Akte, Porträts, Stillleben – sie alle stehen bei Gibson unter dem Wunsch, eine neue Kategorien des Sehens zu finden. Seine Fotos wirken improvisiert, konzentriert, körperlich, rätselhaft. Seit den 1970er-Jahren inszeniert er Alltagsdetails, die weibliche Silhouette und den Schattenfall bei Dingen auf eine Weise, die zwischen Erotik und Abstraktion, Surrealismus und Purismus, Intimität und Distanz hin und her schwingen.

Gibsons Bilder scheinen geschnitten – als wären sie lediglich Frames eines Films. In seiner Trilogie „The Somnambulist“ (1970), „Déjà-vu“ (1973) und „Days at Sea“ (1974) setzt er auf Close-ups, harte Kontraste und mysteriöse Ausschnitte ohne Erklärung. Er fotografiert Teile – eine Schulter, eine Hand, eine Welle, eine Tür – und überlässt dem Betrachter die Montage.

Ralph Gibson inszeniert Andeutungen

Ein zentrales Thema in Gibsons Werk ist der weibliche Körper. Dabei ging es ihm aber nie um klassische Aktfotografie. Viel mehr zählt die visuelle Idee. Seine Frauenbilder sind reduziert und sie belassen es bei Andeutungen. Sie zeigen nicht die Frau, sondern sie tasten sich langsam heran. Auch das scheint aufgeladen mit Begehren.

Diese fragmentarische Erotik hat ihn zum Vorläufer einer Bildsprache gemacht, wie sie in Mode- und Musikfotografie der 80er und 90er immer präsenter wurde. Man spürt Gibson in den Cover-Artworks von Depeche Mode, in Madonna-Videos der Erotica-Phase, in der Schwarzweiß-Fotografie von Jean-Baptiste Mondino oder bei Ellen von Unwerth.

Ralp Gibson begann 1960 als Assistent bei Dorothea Lange, arbeitete auch für Robert Frank. Zuvor hatte er während seines Dienstes in der US-Marine zu fotografieren begonnen. Sein Versuch, in New York Fuß zu fassen, ist erfolgreich. Hier eröffnet er sein eigenes Atelier und machte Karriere. Gibson brachte seinen Bildern als einer der ersten Fotografen mit seinen eigenen Lustrum-Press-Publikationen eine Öffentlichkeit jenseits von Galerien.

Der Taschen-Verlag präsentiert nun in einem Retrospektive-Band (Ralph Gibson. Photographs 1960-2024. Hardcover, 552 Seiten, 60 Euro) mit vielen ausführlichen Erklärungen zu den Fotos die bisher größte in Buchform erhältliche Auswahl seines Werks.

Ralph Gibson signiert am Samstag, 28. Juni, um 12 Uhr im Kölner TASCHEN Store (Neumarkt 3, 50667 Köln) sein neues Buch. ROLLING-STONE-Leser sind herzlich eingeladen.

Ralph Gibson/Taschen
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