Aerosmith

Nine Lives

Columbia/Sony Music

Hat Tyier nun, oder hat er nicht? War der geschaßte Manager nun ein Lump, oder war er die Florence Nightingale des Rock-Biz? Nun: Who cares! Denn was zählt, ist schlußendlich nur die Musik, und die steht auf „Nine Lives“ voll im Saft.

Mußten Tyler/Perry früher mit diesem doofen, musikalisch durch nichts gerechtfertigten Stones-Clones-Vorwurf leben (oder lag’s nur daran, daß sie Jagger/Richards optisch so ähnlich waren), so kann man ihnen spätestens seit „Pump“ attestieren, daß sie auf höchstem Led Zeppelin-Niveau angelangt sind. Spielten Aerosmitli nämlich in den Siebzigern und bis Mitte der Achtziger Stadion-kompatiblen Hardrock (teilweise der Güteklasse A, man erinnere sich nur an „Walk This Way“ oder „Chip Away The Stone“), so erweiterten sie ab Ende der Achtziger ihr Spektrum und ließen wie Led Zep Folk- und asiatische Elemente in ihre Musik einfließen.

Zugegeben, Tyler/Perry hießen für geraume Zeit nicht umsonst „die toxic twins“, und ihr ’82er Album „Rock In A Hard Place“ war, bezogen auf seinen Titel, der glatte Hohn, aber mit „Pump“ stopften sie allen, die schon von einer „ausgebrannten Band“ laberten, knallhart und stilvoll die Mäuler.

Stil muß man auch „Nine Lives“ attestieren, denn ihre Experimentierfreude hebt Aerosmith weit heraus aus dem Hardrock-Einerlei der „Konkurrenz“. Der Song „Taste Of India“ etwa heißt nicht nur so, sondern läßt zu fernöstlichen Rhythmen einen Dudelsack erklingen, und „Hole In My Soul“ ist mit Abstand die schönste und filigranste Ballade, die Tyler/Perry bis dato komponiert haben. Natürlich sind sie sich auch ihrer Tradition bewußt und lassen es wieder mächtig krachen. „Crash“ etwa ist mit seinen Space-Chören unter den Rockern wie „Nine Lives“, „Something’s Gotta Give“ oder „Attitude Adjustment“ absolutes Highlight, denn so bösartig hat Joe Perry seine Gitarre noch nie malträtiert, und so atemlos hat Steven Tyler einen Song noch nie herausgeschrieen.

Da werden die üblichen Skandalgeschichten und investigativen Betrachtungen zu akademischen Angelegenheiten für Erbsenzähler. Die Arbeit selbst verbietet sophistische Nörgeleien. Nein, „Nine Lives“ ist ein lautes, überzeugendes Lebenszeichen, bis ins Detail: Kevin „Caveman“ Shirleys State of the art-Produktion, bei der man sich mitten im Studio zu sitzen wähnt, macht J^ine Lives“zu Album, dem selbst erklärte Hardrock-Hasser Bewunderung zollen dürften. Jörg Gülden