Betty Serveert – Lamprey

Grand Central Station, New York. Elina Lowensohn streift durch die Menschenmenge, auf den Ohren die Kopfhörer ihres Walkman, um die Lippen ein entrücktes Lächeln. Während sie durch die Vorhalle des riesigen Bahnhofs treibt, verschwinden die Leute um sie herum im Grau der Masse. Wir befinden uns in „Amateur“, einem Film von Hai Hartley. Was das mit der neuen Platte von Bettie Serveert zu tun hat? Ganz einfach: Elina Lowensohn

hört „Tom Boy“, den Hit der Band. Das macht Sinn. Versucht der US-Regisseur, innerhalb eines konventionellen Erzähl-Musters originäre Einstellungen zu finden, so fahnden die Folk-Rocker aus Holland nach unverbrauchten Klängen, ohne die klassischen Koordinaten zu verlassen. Was dem einen Beleuchtung oder Blenden sind, sind dem anderen Hall oder Phrasierung. Nebenbei bemerkt: Im selbstproduzierten Video zu „Tom Boy“ tauchen Bettie Serveert die Szenerie bei den beschwörenden Worten „Yellow Light“ in ein warmes Gelb. Eine aus finanzieller Not geborene Idee, die von Hartley stammen könnte.

Ob Musiker oder Filmemacher – nur wer die Geschichte seines Fachs kennt, kann ihr wirklich ein paar neue Elemente hinzufügen. Die thirty-somethings von Bettie Serveert, daran gibt es keinen Zweifel, sind Kenner. Auf „Lamprey“, ihrem zweiten Album, gleiten sie die Achse zwischen Byrds und Hüsker Du genauso behend entlang wie die, die Neil bung und Dinosaur Jr. verbindet. Manchmal in einem Song. Bei „Cybor D“ etwa flirrt die Rickenbacker anfänglich, als werde sie von Roger McGuinn persönlich gezupft, um sich schließlich in Akkord-Schüben Mould’scher Prägung zu überschlagen. So materialisiert sich Historie. Wichtiger sind jedoch die Momente, in denen sich das Quartett über Vorhandenes erhebt. Während „21 Days“ schiebt sich Carol van Dijks Stimme derart massiv vor die Instrumente, daß man glaubt, sie stände leibhaftig im Raum. Für „D. Feathers“ ignoriert Herman Bunskoeke alle Beschränkungen, die man Bassisten gemeinhin auferlegt, und übernimmt auf seinen vier Saiten die melodische Federführung.

Bei Bettie Serveert geht es nicht darum, ob ein Akkord schon mal gespielt wurde oder nicht. Viel dringlicher ist die Frage: Hat man ihn schon einmal in dieser Form gehört? Die vier Freunde sind normalerweise nicht fürs Epos zu haben. Das Modulieren weniger Töne ist wichtiger als die symphonische Komposition, und Carol van Dijks Lyrismen arbeiten virtous mit der Verknappung.

Bei „Something So Wild“ macht die gebürtige Kanadierin jetzt eine Ausnahme. In dem Song erhöht sich das persönliche Glück oder Leid nicht zur universellen punchline, sondern erzählt mit dem Blick fürs Detail: Da ist diese

Freundin, sehr intelligent, verdammt wild. Sie wird von allen bewundert, läßt sich aber von einem saudummen Typen rumkommandieren. Man kennt das. Eine Geschichte wie aus einem Film von Hai Hartley.

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