Bob Dylan

More Blood, More Tracks – The Bootleg Series, Vol. 14

Die Sessions zu Dylans Meisterwerk von 1975 sind eine Offenbarung

Wenn die „Basement Tapes“ der Heilige Gral der Bob-Dylan-Forschung sind, ist „Blood On The Tracks“ der Tadsch Mahal. Ein Weltwunder, das in seiner ganzen Schönheit offen daliegt, dessen Geheimnisse aber längst nicht alle gelüftet sind. Im Frühjahr 1974 begann Dylan ein mehrmonatiges Studium bei dem jüdischen Maler Norman Raeben in New York. Danach wollte er Lieder schrei­ben, die wie große Tableaus funktionieren, mehrere Perspektiven und Zeitebenen vereinen.

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Die Texte reflektierten die Beziehungen zu den Frauen, die wichtig gewesen waren in seinem Leben: die junge Liebe Suze Rotolo, die kriselnde Ehe mit Sara und die Affäre mit Ellen Bernstein, die er während seiner Live-Comeback-Tour mit The Band Anfang des Jahres kennengelernt hatte. Man konnte sich nicht sicher sein, welche Frau in welcher Songzeile gemeint war und ob das „he“ nun eigentlich ein „I“ oder das „I“ ein „he“ war. Neben den später veröffentlichten Liedern fanden sich in dem roten Notizbuch, das er zu jener Zeit nutzte, Texte mit Titeln wie „Little Bit Of Rain“ und „Don’t Want No Married Woman“. Aufgenommen hat er diese Lieder wohl nicht, denn sie fehlen auf der 14. Folge der „Bootleg Series“, die auf sechs CDs die Sessions zu „Blood On The Tracks“ dokumentiert. Die hier zu hörenden Outtakes sind bereits von früheren Veröffentlichungen bekannt: „Up To Me“ und „Call Letter Blues“.

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Trotzdem ist „More Blood, More Tracks“ eine Offenbarung. Allein das erste Take des ersten Songs, den Dylan am 16. September 1974 mit Tontechniker Phil Ra­mone in den New Yorker A&R-Studios aufnahm, ist Gold wert: „If You See Her, Say Hello“ hat bereits alles, was dieses Album ausmachen sollte, in Reinform: die Verletzlichkeit, die Intimität, die Schönheit. Eigentlich hatte Dylan mit dem Banjospieler Eric Weissberg aufnehmen wollen, doch den hatte sein Büro, so die Legende, anfangs nicht erreichen können. Im Laufe des Tages muss er aber mit seiner Band Deliverance im Schlepptau aufgetaucht sein. Dylan weigerte sich allerdings, den Musikern seine Songs zu erklären, und die tasteten sich mühsam voran, wurden mit jedem Take ein bisschen unsicherer. Bei „You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go“ brach dann alles auseinander.

Historiker werden ihren Spaß haben

Am nächsten Tag durfte nur der Bassist ­Tony Brown wiederkommen, mit dem Dylan sich zum Abschluss der ersten Session noch durch ein bleischweres „Tangled Up In Blue“ gespielt hatte. Auch der Pianist Paul Griffin, der bereits Mitte der Sechziger mit ihm spielte, und der Pedal-­Steel-Gitarrist Buddy ­Cage haben bei der nächsten Session kurze Auftritte. Mick Jagger schneite mit einer Champagnerflasche herein, hinterließ auf den Tracks aber keine Spuren. Am 19. September war das Album fertig – nahbar und zugleich kunstvoll komponiert –, auch die Intimität ist eine Maske.

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Als die ersten Kritiker bereits Testpressungen lauschten, beschloss Dylan, der zu Weihnachten seine Familie in Minnesota besuchte, einige der Songs noch einmal mit Band neu aufzunehmen. Ob ihm die bisherigen Versionen zu persönlich waren, ob eine Versöhnung mit seiner Frau dahintersteckte oder die Bemerkung seines Bruders, ein solch karges Album werde sicher nicht erfolgreich sein, bleibt ein Geheimnis. Die Songs verloren an emotionaler Dringlichkeit, aber zumindest „Tangled Up In Blue“, „Idiot Wind“ und „Lily, Rose­mary And The Jack Of Hearts“ gewannen an Drive. Outtakes sind von diesen Sessions nicht überliefert, für diese Box wurden aber die bekannten Tracks neu abgemischt. Komplettisten brauchen das natürlich, und Historiker werden ihren Spaß an der Genese der Songs und dem mitgelieferten Fotobuch haben.

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Für den Hausgebrauch reicht allerdings die einfache CD-/Doppel-LP-Version von „­More Blood, More Tracks“, einer intimeren, um zwei Songs erweiterten und in vielen Momenten gar überlegenen Version von „Blood On The Tracks“ mit einem furchtbar blöden Titel.