Calvin Russell – Crossroad

Der Mann ist die wandelnde Übererfüllung des straßenweisen Hobo-Barden: Texaner mit wild oszillierendem Lebenlauf, an Halloween geboren und in einer Kneipe aufgewachsen. Wenn er wenigstens nicht so ein pockennarbiges, schicksalszerfurchtes Gesicht hätte. Und dann seine Kluft – die staubt sicher, wenn man ihm auf die Schulter klopft. Genauso trocken und gebeutelt und schrundig klingt auch seine Stimme, der er dann aber doch ein gewisses Maß an Melodik und unsentimentaler Emotionalität abtrotzt.

Abtrotzt, fürwahr, denn wenn man die erste gesprochene Ansage hört auf dieser vollakustischen, ziemlich erdigen, wunderschön intim produzierten Live-Platte, wie er da sein lakonisches, aber sichtlich gerührtes „Merci“ herausröchelt (er ist auf Frankreich-Tour!), dann staunt man nicht schlecht, dass eben dieses heisere, ausgefranste Organ solchen, ja doch verhältnismäßigen Schönklang zuwege gebracht haben soll. Er kaut die Worte, stöhnt und spricht auch mehr, als er singt, nur einmal entfährt ihm ein fast kojotenhaftes Jaulen („Let The Music Play“), dann hat er sich aber schon wieder in der Gewalt.

Sein Gitarrenspiel ist im besten Sinne rudimentär, grobkörnig und absolut unfiligran. Gerade so schnarrend, dass man Russell das Autodidaktenrum vollends abnimmt, und gerade so sauber und raffiniert, bisweilen, dass man ihm auch noch zuhört, wenn es ihm den mitleidenden Sprechgesang versagt. Angesichts des traurigen Stoffs, den er in seinen On-the-road-Elegien ausbreitet Vitale Blues’n’Country-Balladen sind das, Erzählgedichte also, die ein bisschen Agitatorik nicht scheuen, auch wenn die eher unverbindlich bleibt, und ansonsten das nordamerikanische Motiv- und Mythenarsenal dankbar durchwühlen. So das Titelstück, in dem der wandernde Protagonist an eine Straßenkreuzung kommt. Er weiß genau, eine Straße führt ins Paradies, eine ins Verderben und eine zum Frieden – aber alle sehen sie gleich aus:

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