Das rosa Schwein von einer Stadt

Das natürliche Tageslicht war verschwunden, wurde von Milliarden Smogpartikeln ersetzt, die der einbrechenden Dunkelheit den Farbton von ablaufendem Blut in einer Spüle verliehen. Dieses riesige, überfütterte, infizierte rosa Schwein von einer Stadt, das sich über die Landschaft wälzte soweit das Auge reichte, hustend, grunzend und alles verschlingend, was früher einmal natürlich und unberührt gewesen war“, schimpft Dan Fante in seinem soeben ins Deutsche übersetzten Roman „Chump Change“ (German Publishing AG).

Diese Hassliebe auf Los Angeles hat er vermutlich von seinem Vater John Fante ins Herz gepflanzt bekommen, dem erfolgreichen Hollywood-Drehbuchautor und großen Unterschätzten der amerikanischen Literatur, der 60 Jahre früher, 1939, seinen Anti-L.A.-Roman veröffentlicht hatte. Auch dieses Buch „Ich – Arturo Bandini“ (Goldmann), ist nun endlich wiederaufgelegt worden in einer neuen, guten Übersetzung von Alex Capus.

Nacheinander gelesen, zeigt sich die Verwandtschaft der Autoren recht deutlich. Es ist dieser harte, unschöne, nicht drumherum redende Realismus, dem sich beide Fantes verschrieben haben, und der keinen Zweifel daran lässt, dass fast alles in diesen Texten selbst erlebt, selbst erlitten worden ist. Nur haben sich in den letzten sechs Dekaden ein paar Beschreibungstabus in Luft aufgelöst, entsprechend ist Dan Fantes Prosa – und das, obwohl sein Vater schon weit geht, sehr viel weiter als die meisten seiner Generation – deutlich schmieriger. Hier nimmt die Segnung rückläufiger Peristaltik geradezu leitmotivische Züge an, hat man sich eine gewisse Libertinage, ja Perversion im Sexuellen auferlegt, hier wäscht man sich nicht mehr und trinkt auch, wenn man fährt.

Nun geht es in „Chump Change“ ja nicht zuletzt um die ziemlich harte Säufer-Karriere des Autors bzw. seines Alter egos Bruno Dante – mit Tremor, Absenzen, Messer im Bauch. Er wird frühzeitig aus der Entziehungskur entlassen, weil sein Vater, eben jener John Fante (hier entsprechend: Dante!), im Sterben liegt. Die beiden sind sich fremd geworden in all den Jahren, und vermutlich hat der stolze, halsstarrige, auch verbitterte Alte es keinem leicht gemacht, ihn zu mögen. Seine Romane bleiben erfolglos zu Lebzeiten, und die gut dotierte Arbeit für die Filmindustrie hat er stets als Vergeudung seines Talents empfunden. Noch im Sterben zeigt er sich als eigensinniger Knochen, sein Herz macht einfach weiter, obwohl alle anderen Organe schon längst nicht mehr funktionieren. Bruno/Dan nimmt also Abschied, und zu seinem eigenen Erstaunen empfindet er doch noch etwas für ihn, Liebe auch, vor allem aber Hochachtung für dessen literarische Größe. Und dass die nach seinem Ableben auf ewig verschüttet bleiben soll, macht ihn erst richtig fertig. Die probaten 3-Liter-Flaschen Mad Dog 20-20, ein billiger Rotwein, helfen zwar eine Weile, aber das ist doch keine Lösung! Also hört er auf zu saufen und fängt wieder an zu schreiben („Chump Change“ eben!). Für seinen Vater. Damit er allen, die seine Sache gut finden, sagen kann, dass es da noch einen anderen Fante gab, und der war viel besser!

Das ist eigentlich allzu ehrenwert und altruistisch für einen Hurensohn wie Bruno, mit anderen Worten, dieser totale Gesinnungswechsel hängt ein bisschen unmotiviert in der Luft. Aber das weiß er selber. An einer Stelle bezichtigt er sich, nur des Vaters „Temperament, und nicht sein Talent“ geerbt zu haben. Nun, das ist nicht wenig, und diese kompromisslose Rabaukendiktion weist schon mal den richtigen Weg.

Auch in „Ich – Arturo Bandini“, Fantes bedeutendstem Roman nicht nur nach Meinung seines Sohnes, beschreibt der Erzähler die Initiation eines Schriftstellers. Seine eigene. Leider hat er noch nicht viel erlebt, worüber es sich zu schreiben lohnte, schon gar nicht mit den Frauen, und das trifft so einen jungen italienischstämmigen Hengst naturgemäß am härtesten. Also läuft er durch die heißen Straßen der Stadt auf der Suche nach dem großen Abenteuer, aber sein katholischer Glaube macht ihm stets einen Strich durch die Rechnung. Trotz Nietzsche- und Voltaire-Lektüre, trotz seines angelesenen Atheismus also ist ihm die Frömmelei mitsamt dem Erbsünde-Dogma tief eingebrannt, und gerade letzteres wirkt ziemlich lusthemmend auf ihn.

Schließlich lernt er Camilla Lopez kennen, verfällt ihr total, dieser bildschönen, versauten „Mexe“. Und auch bei ihr versagt er zunächst, aber nachdem er mit der todunglücklichen, körperlich verunstalteten Vera Rivken etwas geübt hat, klappt es doch noch. Allerdings ist für ihn dauerhaft kein Platz an ihrer Seite, er passt nicht zu „Camillas fiebriger, verlorener Existenz“. Sie zieht weiter, und er hat am Ende seinen ersten Roman in den Buchläden.

Bandini ist „weder Fisch noch Vogel noch ein braver roter Hering“, ein innerlich Zerrissener, ständig schwankend zwischen hedonistischer Haltlosigkeit und gottgefälligem Moralismus, zwischen Hartherzigkeit und tiefem Mitgefühl für die Leidenden, zwischen machohafter Großspurigkeit und Minderwertigskeitskomplexen, literarischen Omnipotenz-Fantasien und Versagensängsten. All diese Widersprüche entspringen aber nur dem einen existenziellen Konflikt dieses Charakters: Bandini ist in den USA geboren und besitzt Patriotismus für zwei, aber er bleibt in den Augen der anderen doch immer das Immigranten-Kind, der Amerikaner zweiter Klasse, der „Greaser“, „Dago“ oder „Wob“.

Und das macht ihn wütend: „Ich habe auf ihre Zeitungen gekotzt, habe ihre Literatur gelesen und ihre Sitten und Gebräuche angenommen. Ich habe ihre Nahrung gegessen, ihre Frauen begehrt, ihre Kunst begafft. Aber ich bin arm, und mein Name endet mit einem Vokal, und sie hassen mich und meinen Vater und meines Vaters Vater, und sie würden mich gern zur Ader lassen und auf mir herumtrampeln, aber sie sind jetzt alt und sterben in der Sonne und im heißen Straßenstaub. Ich aber bin jung und voller Hoffnung und Liebe für mein Land und für meine Zeit“. Bandinis entscheidende Konfession. Er will sich als Autor in die amerikanische Literaturgeschichte einschreiben, um es denen zu zeigen – um seine Emanzipation ein für allemal zu besiegeln.

Bandini ist auf dem besten Weg dahin. John Fante hat es schließlich geschafft, aber es hat lange gedauert. Vermutlich, weil zuvor noch viele alte Amerikaner in der Sonne und im heißen Straßenstaub sterben mussten. Und Dan Fante? Der hat nun wirklich ganz andere Sorgen.

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