Dave Gahan :: Hourglass

Große Stimme, doch eher kleine Song-Ideen vom Depeche-Sänger

Statt ins Schnapsglas schaut Dave Gahan jetzt aufs Stundenglas. Und die Sanduhr läuft offensichtlich schneller, als ihm lieb ist. Er spricht von einem „Wettlauf gegen die Zeit“, und man hört auf „Hourglass“ förmlich das Ticken. Schnell noch was Sinnvolles machen, bevor es vorbei ist! Bei Depeche Mode singt Gahan bekanntermaßen vor allem die Songs von Martin Gore; der Wunsch nach etwas Eigenem ist also verständlich. Schade nur, dass er sich immer am Kollegen messen lassen muss, denn im Zweifelsfall gewinnt der jedes Mal.

Dave Gahan ist ein großer Sänger, er kriegt diese Spannung zwischen Dringlichkeit und Distanziertheit, zwischen ungeniertem Pathos und unglaublicher Lässigkeit perfekt hin. Er macht das sogar so gut, dass man zwischendurch fast vergisst, auf die Lieder zu achten – die leider eher durchschnittlich geraten sind.

Nachdem sich Gahan vor vier Jahren mit seinem Debüt „Parier Monsters“ freigeschwommen hatte, treibt er nun hinauf aufs offene Meer, ohne Erwartungsdruck, aber immerhin mit einer hilfsbereiten Crew. Es fehlt nur ein richtiger Steuermann. Tour-Schlagzeuger Christian Eigner und Programmierer Andrew Phillpott fabrizierten das Album gemeinsam mit Gahan. Ein professioneller Produzent hätte vielleicht auf manch lästiges Computer-Gedöns verzichtet und dafür die Melodien etwas prägnanter herausgearbeitet. So verfranst sich selbst der Stampfer „Deeper & Deeper“, den Gahan als „sehr sexuell und animalisch“ verstanden wissen will, in öden Synthie-Sounds und Getrommel, das die schlimmsten 80er Jahre in Erinnerung ruft. Die letzten ein, zwei Minuten hätte er sich bei fast jedem Stück sparen können.

Ein genialer Texter ist Gahan nun auch nicht, obwohl immerhin „Miracles“ auf eine schlichte Weise sehr anrührend ist (und dabei verflixt nach Martin Gore klingt), während „Use You“ noch einmal allen Selbsthass in die Welt hinausposaunt, den Gahan doch gar nicht mehr spüren will. Am Ende, in „Down“, singt er: „Just lay down beside me/ You know what I like/ Take what you want from me/ You don’t have to fight/ Take my body and soul/ I feel so old.“ Da ist alles untergebracht, was man sich so unter Gahans Gefühlswelt vorstellt: Begehren und Apathie, verzweifelte Leidenschaft und fast wohlige Resignation. „And the world keeps turning“ ist das allzu realistische, wenig tröstliche Fazit.

So sitzt „Hourglass“ungemütlich zwischen allen Stühlen, hat hier ein paar Rock-Riffs und da viel Electro-Pop, nimmt sich manchmal sehr zurück und geht dann wieder ein bisschen ab, aber nie hat man das Gefühl, dass eine Idee hundertprozentig durchgesetzt wurde. Das ist wohl das Dilemma des Dave Gahan: Die Zeit verrinnt, doch er hat immer noch nicht ganz zu sich gefunden. Zu spät erwachsen geworden, zu früh gealtert.

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