Die Abenteuer von Trashman :: von William H. Gass

Der Tunnel ***¿

Fast 30 Jahre lang hat der US- Schriftsteller und Sprachfex William H. Gass an seiner erzählerischen Abhandlung über den „Faschismus des Herzens“ gearbeitet; 16 Jahre nach Erscheinen des Originals liegt die vorzügliche, über 1000 Seiten starke deutsche Übersetzung des Romans vor. „Der Tunnel“ handelt vom Historiker William Frederick Kohler, der soeben sein neuestes Werk vollendet hat: ein Buch über „Schuld und Unschuld in Hitlerdeutschland“. Doch statt seiner Profession nachzugehen, beginnt er ein neues Projekt: eine hasserfüllte Abrechnung mit sich selbst und allen anderen, die monströse Programmschrift der Partei der Enttäuschten, voller Comic-Sprechblasen und versauter Limericks, geschichtstheoretischer Exkurse, scharfsinniger Kindheitserinnerungen, schlüpfriger Bettgeschichten, geschmackloser Vergleiche und Beschwörungen der menschlichen Wertlosigkeit. Sein Rassismus, so rechtfertigt er nicht zuletzt seine antisemitischen Ausfälle, erstrecke sich auf die gesamte Menschheit. Trotz einiger äußerst ermüdender Passagen lohnt sich der literarische Höllenritt allemal. (Rowohlt, 36,95 Euro) Alexander Müller

von Carl Weissner

Nach „Manhattan Muffdiver“ legt Weissner ein weiteres New Yorker „Nachtjournal“ vor. 1968 schlägt er sich dort mit einem Fulbright-Stipendium durch und taucht tief in die lokale Underground-Szene ein. Er trifft den komischen Heiligen Allen Ginsberg, Roy Lichtenstein, Ed Sanders und die Fugs, die Superstars von Andy Warhols Factory, sieht Velvet Underground und Hendrix live, aber vor allem die Jazzer (Monk, die Aylers), wirft allerlei Drogen ein und kämpft geradezu physisch mit seinem zweiten Cut-up-Buch „The Braille Film“. Die bekannten zeithistorischen Ungeheuerlichkeiten, die er hier aufzählt und mit beinhartem Sarkasmus kommentiert, flankieren das privathistorische Chaos. Weissners Stipendium läuft aus, und er will nur noch weg, denn die Stadt, das Land zerrt an seinen Nerven. Dabei wird er langsam heimisch hier und setzt alles daran, ein amerikanischer Autor zu werden. Zugleich bemerkt er aber, fast widerwillig, dass er langsam hineinwächst in die Rolle des Übersetzers und Vermittlers des literarischen US- undergrounds in Deutschland. Dieses Tagebuch ist eine sehr persönliche Chronik jenes Jahres, die noch einmal lebendig und spannungsreich die Geschichte im Fluss zeigt. Man wird die scheinbar genüssliche Inventur der Perversion und des violenten Wahnsinns nicht als Zynismus missverstehen dürfen, Weissner dokumentiert hier bloß mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln die eigene Verstörung. (Milena, 19,90 Euro) Frank Schäfer

von Didier Daeninckx

Paris, Anfang der 20er-Jahre. In den Straßen und Sanatorien wimmelt es von traumatisierten Kriegsversehrten. Privatdetektiv und Autonarr René Griffon, der die Schützengräben des Ersten Weltkriegs aus eigener Erfahrung kennt, übernimmt einen Auftrag des hochdekorierten Colonel Fantin de Larsaudière. Dieser wird erpresst, weil seine nymphomane Gattin es mit dem ehelichen Treuegelöbnis nicht allzu genau nimmt. Spätestens als es bei der Geldübergabe drunter und drüber geht, ahnt Griffon, dass es in diesem Fall um weit mehr geht als private Eifersüchteleien. Seine Ermittlungen führen ihn gegen den Willen seines Auftraggebers mitten hinein in die französische Nachkriegshistorie, die das Verheizen von Soldaten im Nachhinein zur patriotischen Heldentat verklärt. Es ist nicht das erste Mal, dass Daeninckx, Mitbegründer des neuen Roman noir, seine Landsleute mit den Schattenseiten ihrer vermeintlich glorreichen Vergangenheit konfrontiert. „Tod auf Bewährung“, 1984 im Original erschienen, ist bitterböse Gesellschaftskritik und minutiös recherchierte Milieustudie zugleich; auf unnachahmliche Weise macht Daeninckx daraus ein spannende Genreliteratur ohne erhobenen Zeigefinger. (Liebeskind, 18,90 Euro) alexander müller

Briefe an Emma Bowlcut ***¿

von Bill Callahan

Er habe die Form des Briefromans gewählt, weil sie eine ähnliche thematische Freiheit biete wie ein Song, sagte Bill Callahan über seinen ersten Roman „Letters To Emma Bowlcut“, der nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Die 62 Briefe oder – was es besser trifft – Prosagedichte haben in der Tat einiges gemein mit den Liedern des großen amerikanischen Songwriters: den lakonisch-poetischen Tonfall, den absurden Humor, die Obsessivität und die auf Absonderlichkeiten fixierte Wahrnehmung. Der namenlose Verfasser berichtet von seiner Boxleidenschaft und seinen meteorologischen Studien zu einem geheimnisvollen, geisterhaften Wirbel – dem Vortex -, der sein Denken zu bestimmen scheint. Zwischen den Zeilen liest man aber die Einsamkeit und die Sehnsucht nach der Adressatin. Es ist ungewohnt, Callahans aus den vielen Songs so vertraute Stimme in der Übersetzung zu lesen. Naturgemäß ist die Übertragung in die silbenreiche deutsche Sprache weniger lakonisch, und die Andeutungen und Referenzen lassen sich nicht alle retten, doch Carl Weissner ist zusammen mit Evelyn Steinthaler und Vanessa Wieser eine Übertragung des Textes gelungen, die die Qualitäten, Besonderheiten und Sonderbarkeiten des Originals zu jeder Zeit einfängt. (Milena, 18,80 Euro) Maik Brüggemeyer

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