Elvis Costello & The Brodsky Quartet – The Juliet Letters
Der Abschluss der ambitiösesten, vielleicht auch hybridesten Wiederveröffentlichungs-Serie aller Zeiten: Parallel zu jährlich mindestens einem neuen Album legte Elvis Costello jene Platten wieder auf, die er von 1977 bis 1993 für Demon und Warner produziert hatte. Und fünf Jahre brauchte es, bis dieser Katalog abgearbeitet war,jedes Album mit einer zweiten CD versehen, die unveröffentlichte Stücke, Demos, Live-Aufnahmen der entsprechenden Phase beinhaltet. Die konzeptionelle Gliederung leuchtete niemals ein (je drei nach dubiosen Kriterien verwandte Alben sollten zusammengefasst werden) – und „The Juliet Letters“ passt ohnehin in keine Werkgruppe.
1993 war Costellos Konzept-Album mit dem britischen Brodsky Quartet der erste seiner Grenzgänge (weit über die Kooperationen von „Spike“ hinaus). Schon 1991, als er mit „Mighty Like A Rose“ das Pop-Songwriting sprengen und McCartney, Wilson und Mahler zugleich sein wollte, arbeitete er mit dem Streichquartett, das für Bartok- und Schubert-Abende einigermaßen berühmt war. Mit Michael Thomas schrieb er dann die 20 Stücke für diesen Reigen, der auf der Idee eines Veroneser Akademikers beruht, der sämtliche an „Juliet Capulet“ gerichteten Briefe beantwortet. Costello hatte davon in der Zeitung gelesen. Nun soll man nicht alles glauben, was in der Zeitung steht, aber die Evidenz jenes Schwarmgeistes ist hier so unwichtig wie die Existenz der Wunschzettelbearbeiter von Himmelpforten. In schönster romantischer Tradition ziselierte Elvis seine Texte, die neben schwermütigsten Balladen auch ins Derb-Frivole („Swine“) und heiter-beschwingte („I Almost Had A Weakness“) reichen und musikalisch entsprechend elegisch, burlesk und erhebend illustriert sind. Im Konzert war auch in Deutschland zu hören, wie gut das funktionierte, wobei Costello mit seinen charmanteloquenten Vorträgen und Einleitungen dazu beitrug, dass man andächtig lauschte. Wenn man auch insgeheim den alten, ungebärdigen und bösen Elvis vermisste. Aber peinlich war dieser Kammermusik-Abend nicht, und immerhin trug der Künstler ja seit je diese spektakuläre Brille.
In seinen retrospektiven Liner Notes erinnert sich Costello an die Zumutung, die so ein Album für die Pop-Abteilung von Warner bedeutete (in den USA hatte sie freilich jahrelang Randy Newman und Van Dyke Parks betreut). Gern erinnert sich Elvis daran, dass am Ende mehr als 100 000 Exemplare der „Juliet Letters“ verkauft worden waren, indes die Besprechungen natürlich Fahnenflucht beklagten und mit unausgegorenem Vokabular jonglierten, in der Hoffnung, auch die Leser würden es wohl nicht so genau verstehen.
Man will ja nicht denselben Fehler begehen – aber die kammermusikalischen Versionen von „God Only Knows“, „She Moved Throught The Fair“, „Lost In The Stars“ (und die „Fire Suite“!) auf der zweiten CD sind tatsächlich, na ja- preziös. Delikat. Sagen wir es so.