Garbage :: Version 2.0

Sie sind gemacht. Sie sind gewollt. Sie sind geliebt. Und das Wichtigste: Sie sind wieder da. Das am sehnlichsten erwartete, aber auch am meisten befürchtete Album des Jahres heißt „fusion 2.0“, was uns erstens bedeutet, daß es die zweite Platte von Garbage ist, und daß zweitens so lange daran gearbeitet wurde wie an einem Software-Programm. War „Garbage“ also das „Windows 95“, so gibt es jetzt eine avancierte Fassung. Nun, nicht wirklich. Mehr Synthetik vielleicht, mehr Ohrwürmer, mehr Gedudel, mehr Cleverness. Mehr Garbage eben.

Was für eine Band! Künstlicher sind nur Modern Talking. Drei häßliche Vögel aus Amerika und ein hübscher Vogel aus Schottland fusionieren zu einer Art von Super-Pop, Super-Pulp, Super-Trash. Waren Garbage vor drei Jahren noch „das Projekt von Butch Vig, der flevermind“ produziert hat“, so sind sie heute die Band von Shirley Manson, die den Mund gern voll nimmt und mit der Hand im Höschen herumfummelt. Neuerdings findet sie dort angeblich Texte, die sie selbst schreibt, ein Coming-out mit 30 Jahren. Wer sie ärgern will, erwähnt ihre ehemalige Combo Goodbye Mr. Mackenzie, eine Art Gruft-Goth-Ensetnble, das zu den schauderhaftesten unter der Sonne gehörte. „The Goth Monkees“ taufte ein Schlauberger Butch Vigs Erfindung, dabei sind ihre Songs doch erhebend, das Morbide nur Pose, und amerikanisch ist gar nichts an Garbage. Oder bloß Vigs Ziegenbart.

Shirley möchte gern Debbie Harry und Chrissie Hynde in einer Person sein, doch sie hat bei beiden keine Chance. Für Hynde ist sie zu sehr Plastik, für Harry nicht Plastik genug. In Butch Vigs überkandideltem Mischmasch versinkt ihr Gesang ohnehin oft, die Single „Push It“ etwa kommt fast ohne sie aus. Andere Stücke gemahnen an Erasure, Soft Cell, Pet Shop Boys und – Abba. Wer das grauslich findet, der versteht freilich nichts von Pop. Denn die großen Gefühle, die Radiohead groß gemacht haben, sind hier jederzeit simuliert, immer uneigentlich. Unglaublich, wie Shirley „I Think I’m Paranoid“ trällert, als müßte sie gleich hyperventilieren, wie sie in „Medication“ zetert, als hätte sie eine Überdosis genommen, und wie sie in ihrem größten Moment, bei „Hammering In My Head“, zur ersterbenden Musik verschwörerisch flüstert: „Don’t forget what I wrote you then/ Don’t forget what I told you then/ The hammering in my head don’t stop in the bullett train from Tokyo to Los Angeles.“ Garbage sind Hollywood, und Shirley Manson ist so authentisch wie Cameron Diaz. Okay, wie Drew Barrymore.

Ist „Version 2.0“ deshalb nicht gut? Im Gegenteil. „Version 2.0“ ist POP in Großbuchstaben. Es beginnt mit „Temptation Waits“, lächerlichen Euro-Trash-Beats und flirrenden Synthies: „I’m a vampire/ I’m waiting for my moaning.“ Shirley als Disco-Queen, billig und verführerisch, albern und grandios. „I Think I’m Paranoid“ ist eine lasziv gesungene, zur Abba-Melodie lärmend rockende Nummer, so simpel wie entwaffnend, „When I Grow Up“ („Happy hours, golden showers“) süß und silberzüngig mit NRG-Backdrop, „Medication“ ein theatralischer Schleicher („Nobody gets me out of here“), „Special“ ein Kopfer, wie ihn Roxette geliebt hätten. Dann „Hammering In My Head“ – hör mal, wer da hämmert! Der Tanzflur bebt. „Push It“ mag ja den Push geben, gehört jedoch zu den verzichtbaren Songs dieses Albums. Der Ausschnitt aus „Don’t Worry Baby“ wurde von Brian Wilson genehmigt, der angeblich die Cassette behielt, weil ihm der Song so gut gefiel. Dabei macht das Sample nur die Fallhöhe von Wilson zu Vig deutlich. Anders „The Trick Is To Keep Breathing“: hypnotisch, dräuend, sexy (wenn man das mal sagen darf). Hat die Klasse einer Pet Shop Boys-Ballade. „Dumb“: bombastischer Krawall und ein sicherer Ausfall. „Sleep Together“: ein Song als Frage, nämlich: „If we sleep together/ Would you like me better?“ Man weiß es nicht, Mann schon. „Wicked Ways“ kommt noch einmal schön stöhnend und dröhnend, bevor Shirley mit „You Look So Fine“ und einem Karren voll Süßholz den Reigen beschließt.

Eine gewisse Hysterie waltet immer bei Garbage, ein Überdruck, der ihnen alles Gravitätische, alle Erdenschwere nimmt. „Version 2.0“ vereint „OK Computer“ und „This Is Hardcore “ mit „Back For Good“ – eine titanische, wenn nicht bislang undenkbare Leistung. So kann es nur ein salomonisches Urteil geben: Garbage sind der beste Trash des Universums.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates