Gene Clark – No Other :: Rhino/WSM
„Kontrovers“ ist noch untertrieben, was die Wertschätzung dieses vierten Solo-Albums von Gene Clark über die Jahre hinweg bei der Kritik angeht. Mittlerweile ein Kult-Teil allerersten Ranges, basieren viele Urteile vermutlich auf Kassetten-Kopien der 1974 veröffentlichten LP, die es damals gerade mal auf Platz 144 der „Billboard“-Hitliste schaffte. Seither wurde die genau zweimal auf CD wieder veröffentlicht. Kostproben von „No Other“ gab’s zwischendurch zumindest auf der 1998 von Sid Griffin zusammengestellten Gene-Clark-Retrospektive „Flying High“. Soviel vorweg: Auf dem Rhino-Plättchen klingt das alles noch locker eine Klasse besser als dort.
Fünf Jahre vor seinem Tod soll Gene Clark sich abschätzig über „No Other“ geäußert haben, das sei „overdub city“ gewesen. Aber das darf man nicht ernstnehmen, denn damit brachte er nur seinen ganzen Frust auf den Punkt über eine Solo-Karriere, die danach immer vor sich hin dümpeln sollte. Genau genommen war „No Other“ der durchaus lobenswerte Versuch des steinreichen Managers David Geffen, ihm endlich zu einer Erfolgskarriere zu verhelfen. Ein Jahr vorher hatten es die Byrds mit dem auch bei Geffen erschienenen Comeback-Album in Originalbesetzung auf Platz 20 der Hitparade gebracht.
Für die Aufnahmen wurden prominente Session-Cracks verpflichtet, der Produzent durfte das Budget immer weiter überziehen, und als dieser Thomas Jefferson Kaye das fertige Album ablieferte, war Geffen völlig fassungslos ob der Tatsache, dass er für 100 000 Dollar ganze acht Aufnahmen bekam. Noch der kürzeste war da mit knapp vier Minuten der Drogensong „From A Silver Phial“ – eigentlich ein nicht weniger hitverdächtiger Ohrwurm als John Lennons „Imagine“, aber wegen seiner Thematik ebenso wenig radiofreundlich wie „Sister Morphine“.
Zu den wenigen Songs, die nicht durch chemische Substanzen inspiriert waren, gehört „The True One“. Das ist ein Country-Rock-Lied von derselben Klasse wie fünfjahre vorher die „Fantastic Expeditions Of Dillard & Clark“: simpel, gleichwohl von betörender Harmonie, Clark ausnahmsweise mit sich selber im Reinen. Anderswo bekennt er: „When I’m feeling high/ Or I’m feeling low/Or diere is no change/ Somehow days keep melting into the night“ („Strength Of Strings“), und bei diesen komplexeren, auch komplexer arrangierten Songs klingt nichts mehr so tröstlich wie bei James Taylors „Fire And Rain“. Da meditiert jemand über sich paradoxerweise so ohne jedes Selbstmitleid – als geborenen Verlierer. Am Ende singt Clark in „Some Misunderstanding“: „We all need a fix at a time like this/ But doesn’t it good to stay alive…“ Von wegen „overdub city“: Gerade die einfühlsam begleitenden Joe Lala und Chris Hillman, Jesse Ed Davis und Lee Sklar sorgten dafür, dass „No Other“ neben dem ersten Album mit Doug Dillard sein gelungenstes, komplettestes überhaupt wurde. Und ohne die Backup-Sängerinnen wäre das atmosphärisch nie so dicht geworden.
Neben der Neuaufnahme von „Train Leaves Here This Morning“ (ganz famoses Session-Outtake) gibt es als Zugabe sechs Alternativ-Takes, die – komplette Aufnahmen, nix Demos! vielleicht manchen Skeptiker zu der Behauptung animieren dürften, die ganze Arbeit von Mr. Kaye sei schlicht produetion orerkill gewesen. Aber bei den teils rein akustischen Urfassungen wird nur noch einmal mehr die ganze Größe der Songs evident. Vernünftigerweise härte man die an den Anfang stellen sollen. Egal, auch so gilt für diese superbe Remaster-Ausgabe: No home should be without it!