Gene – Drawn To The Deep End

Cool sind Gene nicht. Das könnte man nachsehen. Schlimm ist, daß sie keinen Wert auf Coolness legen und sich ostentativ heraushalten aus den Grabenkämpfen und Image-Offensiven, die den Pop-Alltag bestimmen im United Kingdom. Tribalismus ist nicht ihre Sache, Leisetreter sind sie dennoch nicht. Martin Rossiter, Morrissey-Schüler in Stimme und Sturheit, nimmt den Mund gern sehr voll und trägt einen nazistischen Individualismus zur Schau, der von einer Abgrenzung in die nächste taumelt und vor lauter Ich-denke-also-bin-ich und trunkener Selbstverliebtheit keine Zeit mehr hat für so profane Dinge wie Perspektive oder Karriere. „We Could Be Kings“ trompetet die aktuelle Single. Zu Recht An Talent herrscht kein Mangel, an Cleverness schon.

Das galt bereits für „Olympian“, die nicht ganz zu Unrecht als eine Smiths-Reproduktion verschrieene, nichtsdestotrotz formidable Debüt-LP von 1995. Trotzig hatte man dem vorauseilenden Gones-Yerdacht noch ein Lichtlein aufgesetzt, indem man das Album-Cover auch noch smithsonisch gestaltete. Jetzt erst recht. Kindisch.

Zwei Jahre haben Gene sich für das Foltow-Up Zeit gelassen, zwei Jahre, in denen sich die Topographie Pop-Britanniens grundlegend veränderte. Das herrschende Oligopol heißt Oasis, und wer seinen Kotau vor King Noel nicht macht, darf sich über Gegenwind nicht wundern. Paul Weller hätte sich kaum so gehässig über den Gene-Gitarristen Steve Mason geäußert, würden Gene in Noelrock machen. Masons Power-Riffing, höhnte Weller, sei von The Jam geklaut, und das gelte auch für seine Frisur. So weit ist es gekommen. Pop-Paläontologen, greisenhafte Gelehrte, die noch Erinnerung daran haben, was sich in grauer Vorzeit abspielte (in einer Epoche, die man gemeinhin „Beat-Tertiär“ nennt oder auch „Sixties“), widersprachen indes mutig, obwohl sie Repressalien durch Fronvogt Liam den Kahlen fürchten mußten. Diese unerschrockenen Zeitzeugen wußten von den Power-Chords eines gewissen Pete Townshend zu berichten und vom Mittelscheitel eines längst verblichenen Steve Marriott. Worauf Weller leicht errötend das Weite gesucht haben soll.

Wie auch immer: Gene sind nicht aus der Schußlinie. Mit JDrmm To The Deep End“ stehen sie nackt vor ihren Peinigern. Angekündigt war eine Art Soul-Album, harsch und muskulös. Herausgekommen ist eine LP (auf Vinyl: Doppel-LP), die in ihrer prekären Ambiguität immer zu kippen droht. Vieles scheint überambitioniert, zu durchdacht und entworfen, zu wenig konzis. Gleich der erste, fast siebenminütige Track zieht alle Register: eine Minute Intro, zuerst langsam, monoton, dann allmählich mit Melodie angereichert, mit verfremdeten, nach hinten gemixten Vocals, plötzlicher Tempo-Zwischensprint, Rückfell ins Lethargo, dann Rasanz, der erste Vers, choppige Gitarren, Break, Beinahe-Stillstand, lyrisches Piano, flüssige, quecksilbrige Gitarrenläufe, abermals Tempowechsel, Vers, Refrain, Vers, Stop & Go & Stop, Blues-Riffe, Atomic fucking Rooster, Rock-Finish, Fadeout mit Sound-Samples. Und das ist nur der Lead-offTrack. „New Amüsements“ heißt diese Verschachtelung. Well, thanks a lot.

Einen Title-Track gibt es, aber nicht auf dem Album. Man hat ihn auf die B-Seite der letzten Single „Fighting Fit“ verbannt, ähnlich wie einst Elvis Costello, dessen „Almost Blue“ ja auch schon apriori zu vernehmen war auf, JmperialBedroom“. Kleine Charaden wie diese untermauern den Verdacht, das Quartett habe sich im Studio verzettelt, um dann in wochenlanger Kleinstarbeit Risse zu kitten und Fragmente wieder zusammenzufügen.

Also muß man einige Zeit investieren in dieses Album, der sophistication suchend auf die Schliche kommen, den stets bittersüßen, zuweilen sinistren Worten lauschen. „This bed feels cold and empty/ The girls will come and get me/ So won’t you please stay here. I’m scared.“ Die Antithese zu Freddie Mercurys berühmter Tunten-Theatralik. Schwul ohne schwüL Martin Rossiter kann das, vielleicht weil seine drei Mitmusiker straight sind wie die sprichwörtlichen arrows.

Melancholie, multidimensional.

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