Goffin & King :: A Gerry Goffin & Carole King Song Collection 1961-1967
Die frühen Stücke des legendären Songschreiber-Gespanns
Mit Begriffen wie „Tin Pan Alley“ und „Brill Building Sound“ assoziiert man gewöhnlich schnöden Kommerz und genau das, was Joni Mitchell in „Free Man In Paris“ meinte mit „stoking the star-maker machinery behind the popular song“. Über das englische Gegenstück, die Denmark Street, fiel Ray Davies für „Lola Versus Powerman And The Moneygoround“ ja auch nicht viel Freundliches ein, neben dem gleichnamigen Song weitere Satiren wie „Get Back In Line“, „Top Of The Pops“ und „The Moneygoround“.
Aber es gab auch Zeiten, in denen nicht jeder auf den Beruf des angestellten Lohnschreibers von (hoffentlich) populären Liedern so verächtlich herabblickte. Viele der Ohrwürmer, die diese Tin-Pan-Alley-Komponisten von Irving Berlin bis Fats Waller seinerzeit schrieben, sind ja schon ewig geschätzte Standards. Und egal, wie der berühmt-berüchtigte Don Kirshner seine Teams im Brill Building anblaffte, unter Druck setzte und gegeneinander auszuspielen versuchte: Die Hits, die seinen Angestellten mit schöner Regelmäßigkeit einfielen, waren alles andere als Fließbandprodukte.
Zunächst großer Fan und gefördert von Jerry Leiber/Mike Stoller, verdingte sich auch Carole King bei besagtem Manager. Später äußerte sie sich schon mal sehr abschätzig über den Charakter dieses Verlegers. Aber als sie mit ihrem neuen Songschreiber-Partner (und dann Ehemann) Gerry Goffin die ersten Hits wie „Will You Love Me Tomorrow“ und „Take Good Care Of My Baby“ geschrieben hatte, gehörte sie langsam zu derselben Elite wie die Teams Pomus/Shuman, Sedaka/Greenfield, Greenwich/ Barry und Mann/Weil.
Sie alle konnten nichts nach Schema F oder irgendwelchen Mustern stricken, mussten für eine höchst unterschiedliche Klientel möglichst maßgeschneiderte Songs schreiben. Im Fall der Chiffons war „One Fine Day“ eine ideale Steil-Vorlage, für die Drifters wiederum „Up On The Roof“. Ein paarmal versuchte sie erneut, nebenbei eine Solo-Karriere zu starten. Aber „It Might As Well Rain Until September“ schaffte es 1962 ganz knapp nicht in die Top Twenty, und „He’s A Bad Boy“ blieb gut ein halbes Jahr später ein so enttäuschender Flop, dass sie die nächsten Jahre lieber weiter in Lohn und Brot mit Gerry Goffin arbeitete.
Erfolg war ihren ersten Singles für ABC/Paramount nicht beschieden gewesen. Und ihrer Einspielung von „To Know Him ls To Love Him“ gab man erst gar keine Chance, verbannte die ins Archiv. Die Firma konnte Carole Klein, gerade zarte 16, davon überzeugen, dass sie den Künstler-Nachnamen King annehmen sollte. Der Grund war auch in ihrem Fall wie üblich wieder der, dass man antisemitischen Ressentiments „vorbeugen“ wollte. Solche Überlegungen musste der ebenfalls bald als Lohnschreiber tätige Randy Newman damals nicht anstellen. Aber er hatte in Hollywood ja auch ein paar richtig berühmte Verwandte desselben Namens.
Allein mit den Aufnahmen, die namhafte Interpreten von Beatles und Byrds bis Bobby Vee von Goffin/King-Songs machten, hätte man mühelos diese CD füllen können. Aber „Chains“ von „Phase Please Me“ (war 1962 Top 17 der Single-Hitparade für die Cookies gewesen) fehlt hier genauso wie „The Locomotion“ und viele andere Evergreens der beiden – allerdings dürften die eigentlich eh in keiner besseren Plattensammlung unvergänglicher Popsongs fehlen und tauchten zudem schon reichlich auf CDs der „Golden Age Of American Rock’n’Roll“-Serie auf. Eben deswegen ist das wohl auch nicht „The Gerry Goffin… Collection 1961 -1967“, sondern nur „A Gerry Goffin…“‚. Vielleicht wollte man sich etliche große Cover-Versionen ja auch für eine künftige Folge aufheben. Aber ein paar ganz berühmte waren denn doch unverzichtbar. „Wasn’t Born To Follow“ in der Aufnahme von Dusty Springfield, Tony Orlandos „Halfway To Paradise“, „Don’t Bring Me Down“ in der Einspielung der Animals 1966 und die bekannte überragende von „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“, nach der niemand mehr an Aretha Franklins Talent zweifeln konnte, als das 1967 einer von fünf Top-Hits für sie wurde.
Aber die Raritäten für Kenner sind natürlich ganz andere hier, etwa „Don’t Ever Change“, mit dem die Crickets 1962 auf Top 5 der englischen Hitparade kamen und diesmal mehr denn je wie die Everly Brothers klangen. Als große Goffin/King-Fans spielten die Beatles damals nicht nur diesen Song, sondern (neben „Chains“) auch „Take Good Care Of My Baby“, „Sharing You“ und „Keep Your Hands Off My Baby“ bei ihren Live-Auftritten. Obwohl 1964 populär in England, dürfte das wunderbare „He’s In Town“ in der Aufnahme der Tokens den Pop-Fans kaum mehr weithin geläufig sein. Die Rockin‘ Berries kamen mit ihrer Cover-Version im Oktober 1964 bis auf Platz 3 der UK-Hitparade und nisteten sich mit eben derselben gleich für 13 Wochen dort ein.
Zu den vielen famosen Raritäten hier gehört auch „The Idol“ in der Aufnahme von Bobby Vee. Gerry Goffin bekennt in den Liner Notes: „Ich hab’s gehasst, das zu schreiben, aber ich schrieb es trotzdem. Es war ein Auftrag.“ (Ein Schuft, wer da an bezahlte Killer denkt. Das hatte zwar bei weitem nicht die Klasse von Rickie Nelsons „Teen Age Idol“, war aber auch kein so übler Job.) Zu den prominenteren Interpreten hier zählen auch die Chiffons, Drifters, Jackie DeShannon, Everly Brothers, P. J. Proby und die Righteous Brothers mit dem eingestandenermaßen Curtis Mayfield und „People Get Ready“ nachempfundenen „A Man Without A Dream“. Nicht nur mit der Vorlage für Aretha Franklin, sondern auch dem für Ben E. King komponierten „So Much Love“ bewies das Team, wie firm es in Sachen Soul war. Solche Songs erstmals oder wieder zu entdecken, ist das vornehmste Verdienst dieser Retrospektive.