Holy Motors

Ein absurdes Meisterwerk: Carax montiert aus Traumgespinsten mit labyrinthischer Logik ein Spiel voller Melancholie

Denis Lavant, Édith Scob

Regie: Leos Carax

Start: 30.8.

„Wo bleiben nachts eigentlich all die Limousinen?“ fragte gerade erst Robert Pattinson in David Cronenbergs „Cosmopolis“. Die Antwort liefert nun Leos Carax‘ neuer Film „Holy Motors“. Da versammeln sich am Ende des Tages die Stretch-Limousinen der Stadt in einer Garage im Randbezirk, „Holy Motors“ steht in flackernden Neonlettern über dem Gebäude – und tatsächlich erinnert der Auflauf an eine religiöse Prozession. Auch das Wunder lässt nicht lange auf sich warten. Als der letzte Chauffeur die Halle verlassen hat, erwachen die Autos zum Leben und beginnen, über ihren Arbeitstag zu klagen. Das Gespräch spannt den großen philosophischen Bogen vom Profanen zum Erhabenen: Arbeitgeber, Fahrtstrecken und der Tod. Die heiligen Maschinen, deren Geist längst unseren Alltag transzendiert hat und deren Schicksal darin besteht, von immer kleineren Prozessoren ersetzt zu werden. Mögen sie in Frieden ruhen. Amen.

Diese bizarre Schlusseinstellung fügt sich nahtlos in Carax‘ unberechenbaren kleinen Geniestreich von Film, der trotz zahlreicher Absurditäten eine geradezu musikalische Melancholie in sich trägt. Der Tod ist ein ständiger Begleiter von Monsieur Oscar. Neun „Verabredungen“ hat er im Auftrag einer ominösen Agentur zu erledigen; für jedes Treffen liegt ein kleiner Ordner bereit, der ihn über seinen nächsten Auftrag informiert. So lässt er sich im Fond der Limousine von Termin zu Termin befördern, umsorgt von seiner treuen Chauffeurin Claire. Verlässt er den Wagen, schlüpft er in eine neue Rolle: eine verkrüppelte Sinti-Bettlerin, einen besorgten Familienvater, einen rothaarigen Gnom. Monsieur Oscar verfügt über viele Avatare. Ein Job führt ihn buchstäblich in die virtuelle Realität. Für ein Fantasyrollenspiel zeichnet er im Motion-Capture-Verfahren Martial-Arts-Übungen auf, später hat er mit einer Latex-Gespielin Drachensex.

13 Jahre liegen zwischen „Pola X“ und „Holy Motors“, zwischenzeitlich hat Leos Carax lediglich einen Beitrag zum Episodenfilm „Tokyo“ (2008) gedreht. Motive der Episode „Merde“ haben Spuren in seinem neuen Film hinterlassen, ebenso wie David Lynchs hypnotische Traumgespinste und die labyrinthische Logik eines Jorge Luis Borges. „Holy Motors“, so Carax, sei aus seinem Unvermögen entstanden, in den Bildern, die ihm vorschwebten, eine Geschichte zu entdecken. Stattdessen nun also dieser Fundus an opernhaften Tableaus, theatralischen Miniaturen, existenziellen Stimmungsschwankungen, großen Gefühlen und so grandiosem wie irritierendem Unsinn. Vorneweg natürlich die Zwergen-Episode, eine Groteske um einen Modefotografen und sein Supermodel (Eva Mendes) auf einem Pariser Friedhof. Der als Gnom verkleidete Monsieur beißt der Foto-Assistentin zwei Finger ab und entführt die Schöne dann in die Unterwelt, wo er ihr Designerkleid wie ein Tschador herrichtet und sich schließlich mit erigiertem Schwanz in den Schlaf singen lässt.

Diese irrwitzige kleine Szene gehört nicht mal zu den stärksten Momenten in „Holy Motors“. Im Grunde ist Monsieur Oscar nämlich eine tragische Figur: ein ewiger Shapeshifter, eine Hülle ohne eigene Identität. Einem Abgesandten der Agentur (Michel Piccoli) erklärt er, dass er das Kino vermisse. Die Kameras würden immer kleiner, bis sie irgendwann unsichtbar seien. Das Gefühl von Tod und Vergänglichkeit ist im Film allgegenwärtig. Mit einer Kollegin spielt Monsieur Oscar eine unglaublich bedrückende Sterbeszene durch. Ein anderes Mal tötet er einen Kriminellen, verwandelt ihn in seinen Doppelgänger und legt sich zum Sterben neben sein Ebenbild.

Hauptdarsteller Denis Lavant, ein alter Bekannter aus früheren Carax-Filmen, ist mit seinem sehnigen Körper und diesen tiefl iegenden Augen, deren Müdigkeit weder Gesichtsprothesen noch Theaterschminke verbergen können, schon physisch nicht für eine tragischen Heldentod geschaffen. Dieses Privileg genießt nur eine Diva wie Kylie Minogue, die Lavant beim Schlendern durch die verfallene Pracht der „Samaritaine“-Korridore ein Liebeslied singt, das die Mauern zum Weinen bringen könnte. Wer waren wir, was ist aus uns geworden? Die Liebenden haben sich in Monster verwandelt. Zum Sterben schön. Monsieur Oscar aber muss weiter zu einer Schimpansenfamilie. Sein leerer Blick aus dem Fenster spricht Bände, am Ende eines langen Arbeitstages.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates