Jeff Buckley :: The Grace EPs
Die fünf legendären EPs, in einer Box neu versammelt
Viel Bootleg, viel Ehr. Wenn’s denn stimmt, hat Tim Buckleys Sohn es in den wenigen Jahren seines Schaffens zu um einiges größerem Nachruhm gebracht als sein Erzeuger. Von dem findet man in der Bootleg-Bibel „Hot Wacks“ ganze zwei, während von Jeff Buckley längst mehr als zwei Dutzend zirkulieren. Als Vater Tim sein erstes Meisterwerk „Goodbye And Hello“ aufnahm, war er erst zarte 19, ein frühreifes Wunderkind gleichwohl. Der Junior benötigte wie die Auswahl aus seinen Aufnahmen mit Captain Beefhearts Gitarrist Gary Lucas belegt, die jetzt unter dem Titel „Songs To No One 1991-92“ vorliegt – ein wenig länger, um es zu ähnlicher Meisterschaft zu bringen. Aber wen die Götter lieben…
Das schmale (Studio-) Werk, das er am Ende als Vermächtnis hinterließ, ist etwa so überschaubar wie das von Nick Drake. Wobei das Gegenstück zu dessen nachgelassenem „Time Of No Reply“ die Demos waren, die dann – halbwegs doch noch fertig produziert auf „Sketches For ,My Sweetheart The Drunk'“ posthum erschienen. Allenfalls mühsam zu überschauen sind dagegen die Dutzende von Singles, EPs und zu Promo-Zwecken in Mini-Auflage produzierten CDs, die Columbia in den Jahren nach „Live At Sin-é“ und dem Debütalbum weltweit veröffentlichte. Teils regulär käuflich, bisweilen auch nur regional begrenzt und bewusst in niedrigen Auflagen als rare Sammlerteile für die glühendsten Fans aufgelegt, überschnitten die sich des öfteren im Material. Weil sich die Arbeiten am Nachfolge-Werk zu „Grace“ immer mehr in die Länge zogen, wollte die Plattenfirma wohl das Interesse an ihrem Star wachhalten.
Genau genommen waren das alles Extended-play-CDs, die zwischenzeitlich veröffentlicht wurden. Mit EPs im klassischen Verständnis hatten sie wenig bis nichts gemeinsam. Beim Gros der Aufnahmen handelte es sich nicht Studioproduktionen, sondern weit überwiegend professionell während der Tourneen aufgezeichnete Soundboard-Mitschnitte, die – hier zu Lande zumindest – zunächst auch auf den Maxi-Singles erschienen, nur um dann später teilweise in Australien, England und Japan in limitierten Editionen wie der Doppel-CD von „Last Goodbye“ noch mal in geringfügig veränderter Zusammenstellung nachgereicht zu werden.
Weil man nach „Mystery White Boy“ – diesem limitiert aufgelegten, aber immer noch erhältlichen „Digest“ des konzertanten EP-Materials – und dem Mitschnitt aus dem Pariser L’Olympia nicht ein weiteres Live-Album nachlegen mochte, fasste man statt dessen die fünf wichtigsten EPs der Jahre 1994 bis 1996 zusammen. Ein paar (wenige) Überschneidungen waren so unvermeidlich. „Kanga-Roo“ auf der „Peyote Radio Theatre“-Promo ist identisch mit der Version auf der „Last Goodbye“-EP ein Jahr später: Der Alex-Chilton-Song vom dritten Big Star-Album als eine sich orgiastisch bis orgasmisch steigernde Hommage an Großmeister Nusrat Fateh Ali Kahn. Warum diese Aufnahme – nebenbei auch einer der besten mir bekannten Led Zeppelin-„THbutes“ – es dann doch nicht auf das Debütalbum schärfte, verstehe ich immer noch nicht. Warum man in diesem Set nicht konsequenterweise auch, „Live At Sin-é“ findet, bleibt ebenfalls ein Rätsel.
Das rarste unter den Sammlerteilen hier ist ein unter dem Titel „Live At Nighttown“. Kennern geläufiger Mitschnitt aus einem Rotterdamer Club vom Februar 1995. Ganz sicher nicht eines der wichtigsten Tondokumente aus Buckleys kurzer Karriere, aber ein weiterer Beweis dafür, dass er im Gegensatz zu einem manchmal doch etwas belustigt bis lustlos sein Repertoire mit der Experience abspulenden Jimi Hendrix – nie unters Niveau gehen mochte, wenn er auf der Bühne stand. Vielleicht ja auch nur, weil er gar nicht anders konnte.
Wie selbstkritisch die Band war, sieht man an den Liner Notes von Gitarrist Michael Tighe zum wohlbekannten Mitschnitt aus dem Pariser Bataclan. Angeblich waren die alle der Auffassung: „The performance was not our best.“ Ein begeistert applaudierendes Publikum, das die Cover-Versionen von Van-Morrison- und Leonard-Cohen-Songs kaum weniger frenetisch feierte als die des Medleys „Je n’en connais pas la fin/Hymne a l’amour“, war da anderer Meinung.
Technisch alles andere als perfekt, weil im Studio auf Kassette mitgeschnitten, ist das wieder an Nusrat als Idol adressierte „Tongue“, der Bonus-Track im Anschluss an die Mitschnitte der „Hard Luck Tour“ in Australien 1996. Kaum weniger rar, weil bislang nur auf der japanischen (!) Ausgabe der „Last Goodbye“-EP überhaupt limitiert veröffentlicht: Buckleys Solo-Aufnahme von Hank Williams‘ „Lost Highway“, einfach hinreißend zur Slide gesungen. Neben so vielen anderen, stark libidinös besetzten Interpretationen klingt die hier so vergeistigt, als hätte Blind Willie Johnson diesen Klassiker geschrieben. Der Mann war halt ein Sanges-Genie von Ausnahmerang.