Keane live in Berlin: „Wow, schon zehn Jahre geschafft!“

"Greatest Hits"-Konzerte zu geben, kann auch eine Bürde sein. Rückschau, Abschluss einer Ära? An diesem Abend sah es aber nicht so aus, als würden Keane sich verabschieden wollen. Sie haben eine zweite Chance verdient.

Wie schön, dass die Geografen-Geste unter den Frontmännern wieder auflebt! „I walked across an empty land / I knew the pathway like the back of my hand“, singt Tom Chaplin und zeichnet dabei mit ausgestrecktem Arm imaginäre Flächen ab: ein Hügel hier, ein tiefes Tal dort. Cinemascope! Gefühle im Breitwandformat. Kommt ihr mit auf die Reise.

Meister der Geografen-Disziplin war bislang Simple-Minds-Sänger Jim Kerr, auch er ein Mann „großer Gesten“ und Verweise auf Traumlandschaften. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass an diesem Abend Keane-Frontmann Tom Chaplin in die Fußstapfen des 80er-Jahre-Barden Kerr tritt: In den Augen vieler Kritiker sind Keane innerhalb von zwei Alben eine Band geworden, die beliebig klingt, ohne Profil, Saturn und Media Markt, Pop für Leute, die ausnahmslos Fertig-Gerichte essen und Konzerte zuhause auf dem Flat Screen gucken.

Nun feiert die Band ihr zehnjähriges Bestehen mit einer „Best Of“-Platte und einem Konzert, das vornehmlich aus den Singles besteht. Zirka 400 Leute haben Keane ins Westberliner „Goya“ geladen, ein ehemaliges Schauspielhaus, das sich als „verführerische Event-Location“ verkauft. Dabei sieht es drinnen gar nicht so schlecht aus: Die drei Musiker – Chaplin, Pianist Tim Rice-Oxley sowie Schlagzeuger Richard Hughes – spielen unter Balkonen, Brüstungen und allerlei schön verziertem Schnickschnack. Der Auftritt wird weltweit in Kinos übertragen.

„Wow! Schon zehn Jahre!“, ruft Tom Chaplin mehrmals ins Publikum. Er selbst wirkt etwas verwundert: Ist er überrascht, dass die Zeit seit der Band-Gründung so schnell verflogen ist – oder dass es die Gruppe überhaupt noch gibt? Zuletzt waren Keane damit beschäftigt, Trennungsgerüchte zu widerlegen. Denn obwohl ihre Alben in der britischen Heimat noch immer auf Platz eins landen, hacken die Kritiker mehr und mehr auf ihnen rum.

Und wie sehr man doch die drei Musiker unterschätzt. Die drei frühen Singles „Somewhere Only We Know“, „Everybody’s Changing“ und „Is It Any Wonder?“ gehören in den Kanon großer Popmusik. Live wird das Schwermütige mit sehr schnellen Bewegungen umgesetzt. Wie die Bandmitglieder aufeinander zugehen, wie sie sich umkreisen, dazu der dichte Aufbau ihrer Instrumente und Verstärker, das spricht für ein starkes Energiefeld. Die Goya-Bühne ist schon recht klein – Keane selbst benötigen nur einen Radius von ein paar Metern. Ab und zu stupst Chaplin auch seinen Kollegen Rice-Oxley an, indem er seinen bestiefelten Fuß auf dessen E-Piano stellt. Überhaupt, Piano. Es ist immer noch wundersam zu sehen, dass es mit Keane eine Britpop-Band gibt, die weitestgehend auf Gitarren verzichten könnte. (Für einen Song schnallt Tom Chaplin sich eine um, und er spielt ein paar Akkorde – auf einer jener Live-Gitarren, die ganz ohne Kabel auskommen und scheinbar einen Mini-Funker haben. Oder was war das für ein technisches Wunderwerk?).

Warum gelten Keane eigentlich als so uncool wie noch nie. Band-Komponist Tim Rice-Oxley hat zu Beginn ihrer Karriere immer wieder darauf verwiesen, dass er den „perfekten Pop-Song“ schreiben wolle (wie auch immer er definiert sein soll), und nannte Kate Bush sowie A-ha als Vorbilder. Dieser Wunsch wird manchmal zum Druck, und das führt zu Entscheidungen, die vielleicht nicht die besten sind: Keane-Alben klangen zuletzt ein wenig nach Chris-de-Burgh-Produktionen. Vielleicht glauben die Musiker, dass perfekte Lieder so vielen Menschen wie möglich gefallen müssen.  

Hey, Tom Chaplin ist wieder fit! Lange Zeit sprach er in Interviews vom Druck des Erfolgs und seiner Kokainsucht, die ihn bis vor ein paar Jahren plagte. Das tat einem besonders leid, weil Chaplin noch immer so unschuldig aussieht, ein wenig wie der Comic-Reporter Tim, der immer mitten drin ist in der Action und gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Chaplins Stimme ist die des jungen Mannes, der lernen will, und der sich manchmal aufregt. Und sie ist immer noch eine der besten.

„Greatest Hits“-Konzerte zu geben, kann auch eine Bürde sein. Solche Auftritte haben oft was von Rückschau, Abschluss einer Ära, das vordefinierte Set lässt keinen Raum für Überraschungen. An diesem Abend sah es aber nicht so aus, als würden Keane sich verabschieden wollen. Sie haben eine zweite Chance verdient.

Setlist:

Bend & Break
Sovereign Light Café
We Might as Well Be Strangers
Disconnected
Everybody’s Changing
Won’t Be Broken
Atlantic
Silenced by the Night
Try Again
A Bad Dream
Perfect Symmetry
Spiralling
Hamburg Song
Nothing in My Way
Is It Any Wonder?
This Is the Last Time
Somewhere Only We Know
Bedshaped

Zugaben:

Sea Fog
Higher Than the Sun
Crystal Ball

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