Marcus Stiglegger :: Kurosawa. Die Ästhetik des langen Abschieds

Er kenne keine ausländische Besprechung, sagte Akira Kurosawa (1910–1998) einmal, „die nicht falsche Bedeutungen in meine Filme hineingelesen hätte“. Zu sehr bedient Kurosawas Werk bei aller Einzigartigkeit des gefeierten „Auteurs“ auch bekannte Japan-Klischees: todesmutige Samurai und liebliche Geishas, höchst poetische Natur und rätselhafte Zeichen.

Der Interpretationsspielraum ist also ebenso groß wie die Gefahr, nur zu wiederholen, was andere bereits geschrieben haben – kein zweiter asiatischer Filmemacher ist derart gut erschlossen: Dutzende von Büchern sind erschienen, darunter Kurosawas glänzend geschriebene Memoiren. Die Filme gibt es fast alle auf DVD. Aber der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger nutzt, ganz zenbuddhistisch, die Kraft der anderen und geht neue Wege. Keine Biografie sei sein Buch, sondern „ein zutiefst persönlicher Essay“. Das bedeutet aber nicht, dass hier einer subjektivistisch herumfabulieren würde. Stiglegger weiß viel über japanische Kultur, teilt mit Kurosawa persönliche Erfahrungen mit japanischem Kampfsport und dessen philosophischen Fundamenten und verbindet dies mit einer genauen Neulektüre der Filme. Besonders interessiert er sich für deren internationale Wirkung, die 1951 einsetzte, als „Rashomon“ den Goldenen Löwen gewann. Im Folgenden war mit Kurosawas Namen die Entdeckung der Filme Japans und des Kinos als globaler Kunst verbunden: Kurosawa inspirierte Remakes wie „Die glorreichen Sieben“, „Für eine Handvoll Dollar“ und „Last Man Standing“. Umgekehrt adaptierte der Japaner Werke von Dostojewski, Gorki und vor allem Shakespeare.

Doch kein marmorner Klassizist sei Kurosawa, sondern ein ästhetisch konservativer, politisch linker Moderner – ein Existentialist des Kinos. Sehr treffend arbeitet Stigl-eggers schlankes, aber inhaltlich gewichtiges Buch heraus, dass Kurosawa ein Zerrissener war, der Kino als Instrument moderner Mythologie ebenso verstand wie als Medium der Verführung – die „Ästhetik des langen Abschieds“, die Stiglegger bei Kurosawa entdeckt, ist prächtig und schön. (Das Buch wurde vom Autor selbst auf einer Website ergänzt und fortgeschrieben: kurosawaakira.wordpress.com.) (edition text + kritik, 29,80 Euro)

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