Morphine – Bootleg Detroit

Der Tod, könnte man einigermaßen emphatisch sagen, war Mark Sandmans steter Begleiter: Der freundliche Sondermann aus Cambridge, Mass. lungerte sowohl mit seiner Lyrik als auch mit seinen Liedern stets am Abgrund, spiegelte das Zwielicht der Seele in betäubt-lakonischen Beat-Fragmenten und verschwand im Lauf der eigenen Historie zusehends vor dem eröffneten düsteren Horizont. Kurz vor seinem Tod im letzten Jahr hat er noch zwei Alben fertigstellen können: „The Night“, das großartige und leider letzte Studioalbum von Morphine, weist den Weg in die nun verschlossene Zukunft des kuriosen Trios, und jetzt liegt obendrein ein von Sandman abgesegnetes Live-Album vor.

„Bootleg Detroit“ ist dabei nicht gerade eine Höhepunkt der Hi-Fi-Historie – den Mitschnitt, den ein umsichtiger Konzertgast getätigt hat hätten früher bestenfalls Hartgesottene zu horrendem Preis mit blödem Cover auf monatlich abgehaltenen Plattenbörsen erworben, um hernach bei Freunden mit der Rarität zu protzen – Morphine sind so speziell, dass sogar eine kaum mehr als mäßige Aufnahme als offizielles Album durchgeht Der vorliegende Mitschnitt dokumentiert das konzertante Schaffen Morphines auf dem Höhepunkt des Rausches -1994 hatte das Trio unlängst das entscheidende Werk “ Cure For Pain “ veröffentlicht und wunderte sich wohl selbst über den jähen Erfolg ihres obskuren Klanggartens aus Zwei-Saiten-Bass, Trommeln und Saxofon. „Bootleg Detroit“ zollt der Hitze des Momentes mit gleich einer ganzen Reihe von Liedern des besagten Albums Tribut: „Head With Wings“, „Sheila“ und „Candy“ sind im leibhaftigen Miteinander von Sandman, Colley und Conway ungestümer, grollend-grooviger und fiebriger als im entspannten Studiokonstrukt und entwickeln so noch mehr der düster schimmernden Magie, die die Tropfsteinhöhlenmusik von Morphine zu einem faszinierenden Kuriosum macht. Doch der Blick bleibt einer aus der Ferne; Sandman selbst war sich über die Schwierigkeit der technischen Reproduktion im Klaren, und die Sorgfalt mit der Retorte machte Morphines Alben sukzessive zu einer immer lohnenderen Angelegenheit „BootlegDetroit“ hingegen erlebt man bloß als Schaulustiger, den die auditive Absperrung zur Distanz zwingt – und eben diese Distanz tut der verzweifelt-verklärten Sinnlichkeit nicht gut. Darüber hinaus hätte man sich womöglich mehr über ein Bühnendokument Sandmans gefreut, das den Songwriter inmitten seines zusehends grandioser werdenden Spätwerks zeigt. Lieber die alten Platten noch einmal herausholen.

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