Neil Sedaka – The Complete Recordinqs 1956-66

Immer wieder gern kolportiert, aber durch Serien wie „The Golden Age Of American Rock’n’Roll“ längst definitiv widerlegt: die Behauptung, dass mit Elvis Weggang in die Armee 1958 ein ganz finsteres Mittelalter für die Rockmusik anbrach und auf Jahre hinaus talentlose gegelte Pop-Heinis die Hitparaden dominierten, bevor die Beatles dem ganzen Spuk ein Ende machten. Dabei waren das die großen Jahre der Everly Brothers und Platters, von Lloyd Price und Wilbert Harrison, Dion & The Belmonts, Drifters, Sam Cooke, Shirelles, Ricky Nelson. Nicht zu vergessen: Phil Spector! Der junge Ray Charles! Und die Four Seasons. Amerika suchte damals keine Superstars in Sachen Pop, die waren alle da.

Auch dieser Typ aus Brooklyn, der schon – blutjunge 17 – 1956 mit den Tokens seine ersten Aufnahmen gemacht hatte, aber brav in der Schule klassisches Piano so eifrig spielte, dass er ein Stipendium für die Juilliard School erhielt. Der Legende zufolge hatte ihn sogar Maestro Arthur Rubinstein persönlich eingeladen, das so erreichte Können mit dem Auftritt bei einem New Yorker Klassik-Sender zu demonstrieren. Aber eigentlich fühlte sich dieser Neil Sedaka doch nicht zu Höherem berufen. DooWop galt seine erste und Pop bald seine ganze Leidenschaft. In letzterem Genre entwickelte er sich rasant zum Meister. Seinen ersten Hit „Stupid Cupid“, kein tiefgründiges Werk fürwahr – sang jemand anders, nämlich Connie Francis. Den nächsten potenziellen mit dem Titel „The Diary“ wollte niemand aufnehmen. Also machte er das im selben Jahr 1958 – mittlerweile bei RCA unter Vertrag – selbst und kam damit sofort in die Top Twenty. Der nächste – das wieder mit Howard Greenfield als Texter geschriebene „I Go Ape“ (ziemlicher Chuck Berry-Klau, angereichert mit Rockabilly-Piano und New-Orleans-Saxofon) – war nicht ganz so erfolgreich.

Aber mit dem folgenden Song fand Sedaka seinen ganz eigenen Stil: „Oh! Carol“, seine Hymne an die ein paar Blocks weiter wohnende Carole King (damals sweet little seventeen), war ein so inbrünstig vorgetragener Pop-Schmachtfetzen, dass es schwerfiel, sich nicht damit zu identifizieren. Zwei Minuten und zwanzig Sekunden Schmerz und Balzen: („Darling I love you/ Though you treat me cruel/ You hurt me/And you made me cry/ But if you leave me/ I will surely die“ – alles nicht wirklich so ganz ernst gemeint, aber perfektes make believe, und direkter haben so was auch die jungen Beatles nicht auf den Punkt gebracht. Ein Song mit dem Titel „Stairway To Heaven“ wurde Jahre später von einer anderen Band noch populärer. Der von Neil Sedaka war aber auch nicht Übel.

„Calendar Girl“, „Little Devil“, „Happy Birthday, Sweet Sixteen“, der Multimillionenseller „Breaking Up Is Hard To Do“ und „Next Door To An Angel“: Top-Hits in Serie, und die alle – absolut ungewöhnlich für diese Zeit – aus der eigenen Feder. Dass ausgerechnet „King Of Clowns“ – ganz große Pop-Symphonie, vielleicht sein größter Song überhaupt – gnadenlos floppte (nur Platz 45 in Amerika, in England nirgendwo), konnte den Mann nicht in Selbstzweifel stürzen oder aber zur Rückkehr auf die Juilliard School bewegen. In den zehn Jahren seit den Aufnahmen mit den Tokens und Willows auf dem Melba-Label hatte er zwischenzeitlich international Millionen gescheffelt.

Dass das Gitarren-Intro zu „Let’s Go Steady Again“ vom Everly Brothers-Hit „Walk Right Back“ zwei Jahre zuvor – vorsichtig ausgedrückt – „inspiriert“ war, blieb juristisch folgenlos. Diese ganzen George-Harrison-beklaut-die-Chiffons-Händel von Anwälten gab es damals noch nicht.

Und um’s mit einem George-Harrison-Songtitel zu formulieren: „It’s All Too Much“ kann man natürlich auch zu diesen Box Set sagen. Acht CDs, die so ziemlich jede im Tonstudio auf Band konservierte Note enthalten, die Neil Sedaka je spielte, manches hier für seine glühendsten Bewunderer auch noch erstmals in Stereo remixed.

Die Liner Notes schwelgen in Superlativen. Allerdings erklärt der Autor ab und an doch ganz aufrecht, welche Aufnahmen den Pop-Meister zu bestimmten Arrangements seiner Songs „inspirierten“. Sagt man doch höflicherweise so.

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