Nick Cave & The Bad Seeds :: Abattoir Blues/The Lyre Of Orpheus

Seit Herr Cave jeden Tag zu seiner Dichterstube geht wie ein Beamter oder der junge Hemingway in Paris, ist er der produktivste aller Songschreiber, emsiger sogar als Van Morrison. Seit „No More Shall We Part“ ist der einstige Schmerzensmann nicht mehr zu bremsen. Notorisch eloquent war er stets, aber noch „The Good Son“ war dem Leben in Rio de Janeiro abgerungen, die „Murder Ballads“ kündeten von wüsten Gedanken und blutiger Phantasie, und „The Boatman’s Call“ war Kontemplation und Konfession zugleich: die Liebe im Angesicht des großen Nichts.

Der Cave des neuen Jahrtausends legt Wert auf Handwerk, Kontinuität und Ordnung. Das liegt natürlich in seiner Vergangenheit begründet, aber auch in der glücklichen Routine, die ihn mit den Bad Seeds verbindet, Musikern aus eigenem Recht ebenso wie eine zuverlässige, effektive Begleitband. Der Abschied von Blixa Bargeld macht sich – wer hätte es gedacht? – überhaupt nicht bemerkbar, anders die Mitwirkung von James Johnston an der Orgel, vor allem auf „The Lyre Of Orpheus“.

Wie kann man die beiden Alben mit Schlagworten unterscheiden? „Abattoir Blues“ ist Cave als wilder Mann, der die Bad Seeds loslässt – es trommelt der brachiale James Sclavunos. „The Lyre Of Orpheus“ ist säkularer Gospel mit größerem Spielraum für Warren Ellis‘ Geige – es trommelt der behutsame Thomas Wydler. Der London Gospel Choir beseelt das eine wie das andere Werk.

Doch während man noch versucht, die eine von der anderen Arbeit zu trennen, sich zu entscheiden – da merkt man, dass Cave hier vielleicht mehr der Alte, dort mehr der Neue ist, was aber wunderbarerweise kaum ins Gewicht fallt Das majestätische

„Messiah Ward“ und das tobende „There She Goes My Beautiful World“, der grabestiefe „Abattoir Blues“ und der rustikale, geradlinige „Nature Boy“ müssen dem Cave-Freund der frühen Jahre gefallen. „Breathless“ und „Easy Money“, „Spell“ und „O Children“ begeistern dagegen den Hörer des späteren, elegischen Cave-Werks.

Um ein wenig unzulässig abzukürzen: In diesen Liedern durchmisst der große Songschreiber die Strecke vom Sinnlichen zum Übersinnlichen, schreckt vorm Mythischen („The Lyre Of Orpheus“) nicht zurück und versucht sich an der Fabel („Of The Brown Ape“). Und doch sind die schlichtesten Stücke die ergreifendsten, die Liebeslieder naturgemäß: „Breathless“, „Carry Me“. Und es ist da dieser gewaltige Schlussgesang, „O Children“, eine Klassenfahrt gen Himmel, eine Bahnreise ins Elysium: „Hey little train/ We are all jumping on/ The train that goes to the Kingdom/ We’re happy, Ma, we’re having fun/ And the train ain’t even left the Station.“

Jetzt lernt der alte Fuchs noch das Lachen. Der doppelte Cave ist der beste Cave, den wir je hatten.

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