Print-Pop von Frank Schäfer

„Am Beispiel meines Bruders“

(Kiepenheuer & Witsch, 16.90Euro)ist Uwe Timms ganz persönliche Abrechnung mit der Kriegsgeneration und ein Musterbeispiel dafür, wie man mit ehrlicher Empathie über das Leiden der Deutschen im 2. Weltkrieg schreiben kann, ohne den Blick zu verschließen für das namenlose Grauen, das sie zu verantworten haben. Man muss die Aporien einfach aushalten können, gerade wenn es um die eigene Familie geht: vor allem den großen Bruder, der sich freiwillig zur SS-Totenkopfdivision meldet und nach einer schweren Verwundung im Russland-Feldzug und der Amputation beider Beine an seinen Verletzungen stirbt. Timm verrät sie an keiner Stelle des Buches, schildert sie im Gegenteil mit warmherziger Anteilnahme und aufrichtiger Sohnes- resp. Bruderliebe, und trotzdem ist dieses Buch ein nachgeholtes Schuldeingeständnis im Namen seiner Familie.

Und die dafür gewählte Form, eine assoziative Collage aus Erinnerungssplittern, Kindheits-Anekdoten, Meta-Reflexionen des schreibenden, mit dem Stoff kämpfenden Autors, aus Feldpostbriefen und nicht zuletzt einem vermutlich geheimen Kriegstagebuch des Bruders, ist absolut adäquat, weil sie Widersprüche und Diskontinuitäten zulässt, einer nachträglichen Harmonisierung des heterogenen Gemenges noch am ehesten widersteht. Es sind vor allem die schnell hingeworfenen Sätze und Satzfetzen aus dem brüderlichen Tagebuch, die Timm umtreiben, die er immer wieder, beinahe refrainartig aufruft, weil ihre selbstverständliche Brutalität ihn verzweifeln lässt: „75 m raucht Iwan Zigaretten, ein Fressen für mein MG.“ – „Viel Beute!“ „Scheinbar haben diese Leute hier unten noch nichts mit der SS zu tun gehabt. Sie freuten sich alle, winkten, brachten uns Obst usw.“ Und dann dieser verstörende, gänzlich unausdeutbare letzte Eintrag kurz vor der Verwundung des Bruders, den der Autor gern als „Lichtstrahl in der Finsternis“ lesen würde, als eine Art Umdenken: „Hiermit schließe ich mein Tagebuch, da ich für unsinnig halte, über so grausame Dinge, wie sie manchmal geschehen, Buch zu führen.“ Aber Timm ist redlich genug zuzugeben, dass man die Notiz auch anders interpretieren kann, dass diese Lesart nur sein Wunsch ist. Aber der ist umso dringlicher insofern, als über all dem hier Protokollierten die nie ausgesprochene, schreckliche Frage schwebt, wie Uwe Timm sich selbst wohl verhalten hätte, wenn er der gleichen Indoktrination durch den Vater und den Nazi-Institutionen ausgesetzt gewesen, wenn er eben nicht erst 1940 geboren worden wäre? Ein unaufgeregtes, unbestechliches, anrührendes, ein grandioses Buch, eins, das sie alle schreiben wollten! 4,0

„MännlicheStrategien“

(Kain & Aber 7.90Euro) wirft ein kurzes, helles Schlaglicht auf die absurde, groteske, bizarre und fast immer witzige Krakel-Welt von Rattelschneck, vulgo Marcus Weimer, und Olav Westphalen. Diese „Cartoonisten“ wie soll man das sonst nennen? – haben mit Serien wie „Wonderbra-Bernd“ und „Stulli das Pausenbrot“ („schön dick mit Margarine und Fleischsalat beschmiert“) eine neue Milchstraße im Universum der Sinnfreiheit erschlossen. Sie können nicht zeichnen, sind regressiv, intellektuell im Kindesalter stehengeblieben, aber das grandios. Ihre Bildgeschichten kommen vielleicht auch deshalb so gut, weil sie als bloße Texte fast genauso funktionieren – „Vater und Sohn in den Isar-Auen“ zum Beispiel: „Papa! Hier sind Eisenstangen im Gras! Darf ich eine mitnehmen?!!!“ – „Nein!“ – „Menno!“ „Wenn, dann alle!“ Oder: „Du tot im Flur, Hans? So kenn ich dich ja gar nicht.“ Und wer mit diesem feinen Bändchen angekobert wurde, der muss auch „Das dicke Rattelschneck-Buch“ (Eulenspiegel Verlag) haben. Das ist noch besser. Einfach dicker. 3,5

„Ein einziger Hit“ (Haffmans bei 2001, 13.50 Euro) von David Huggins vermischt Krimi mit Screwball-Comedy, und das eigentlich auf ganz hübsche Weise. Andy trifft nach drei Jahren Phil wieder, den Leadsänger seiner Band Overload, die einst einen No.-1-Hit hat landen können, aber dann bald wieder schmachvoll in der Versenkung verschwunden ist. Beide sind arbeitslos, Andy bessert als Gelegenheits-Anstreicher illegal seine Stütze auf, hat seinen Bass längst verkauft, Phil dagegen versucht, wieder eine Band zusammenzustellen, und hat in Mark, den neurotischen, dummen, aber reichen Sohn, einen potenziellen Goldesel gefunden. Im Suff beschließen sie, Marks Vater zu erpressen und täuschen eine Entführung vor, aber nach der Übergabe des Lösegelds, einer wertvollen Briefmarkensammlung, finden sie den vermeintlich Entführten ermordet in Andys Wohnung auf. Wenn sie es nicht waren, wer ist dann dafür verantwortlich? Der fast bankrotte Vater, der sich Marks Erbe unter den Nagel reißen will? Der Gärtner? Nein, hier spielt ja gar keiner mit. Dafür aber eine böse, geidgeile Schwiegermutter, die Marks sehr viel älteren Vater nur aus pekuniären Erwägungen geheiratet hat: „Die Wintersonne konnte ihre Ehe nicht erwärmen. Woran mochte sie denken, wenn sie sich zurücklegte und Richard sein ausgeleiertes Herz über ihr auf Touren brachte? Liechtenstein?“ Huggins kocht über vor Sarkasmus und Sprachwitz, etwas ökonomischer eingesetzt und gelegentlich weniger forciert, hätte all das noch mehr Wirkung gezeigt. Aber auch so liest sich der Roman gut und spannend, nur darf man sich von dem quasi-genregemäßen Durcheinander und dem Aberwitz der Handlung nicht vorzeitig verdrießen lassen. 3,0

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